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Politik: Strategie: Glück

Von Malte Lehming

Zu Julklapp ist es Sitte, ein klitzekleines Geschenk mehrfach einzupacken, damit es groß aussieht. Erst freut sich der Beschenkte, dann wird sein Gesicht immer länger. Am Ende muss er gute Miene machen und sich bedanken. Schließlich hat er nicht nichts bekommen. In Istanbul treffen sich heute und morgen die NatoLänder zum Julklapp-Gipfel. Ihr Opfer heißt George W. Bush. Der US-Präsident hat seine letzte große Auslandsreise vor den Präsidentschaftswahlen angetreten. Sein Ziel ist es, sich vor heimischem Publikum als Diplomat zu präsentieren. Dass er entschlossen, konsequent und auch dickköpfig sein kann, wissen die Amerikaner. Nun soll ihnen beigebracht werden, wie umgänglich, charmant und partnerschaftlich er in Wahrheit sei. In Irland, beim Treffen mit den EU-Spitzen, wurde Bush von einem Reporter gefragt, wie er sich sein mieses Ansehen in Europa erklärt. Ihn interessiere mehr, antwortete er, für wen im November die Amerikaner ihre Stimme abgeben. Seine Prioritäten sind klar.

Geschenkt, sagen die Europäer. Gönnen wir Bush die Harmonie. Soll er doch stolz verkünden, alle Differenzen über den Irakkrieg seien ausgeräumt. Soll er angeben damit, die Nato wieder geeint zu haben. Wenn er uns dafür mit seinen Forderungen in Ruhe lässt, soll’s geschehen. Ein bisschen werden wir ihm unter die Arme greifen und ein paar irakische Sicherheitskräfte ausbilden. Unverändert bleibt unser begrenztes Engagement in Afghanistan. Aber das war’s. EU und Nato tun genug, um Bush nicht zu brüskieren. Mehr nicht. Weil der US-Präsident im Wahlkampf selbst das als Erfolg verkaufen muss, hatte er seine Ansprüche nach unten geschraubt. Wer sich von den Nato-Partnern kaum noch substanzielle Hilfe erhofft, darf über kleine Gesten jubilieren. So ist das beim Julklapp.

Beide Gipfel-Treffen, in Irland wie in der Türkei, sind überlagert vom amerikanischen Wahlkampf. Auf der Agenda des Weißen Hauses steht an oberster Stelle ein Minimalkonsens. Bloß kein neuer Streit, heißt die Devise. Den Europäern verschafft das eine Verschnaufpause von jenen US-Energien, die sie in den vergangenen zweieinhalb Jahren unablässig angetrieben haben. Im Stakkatorhythmus wechselten die Kommandos ab: Afghanistan, Antiterrorkampf, Erhöhung des Wehretats, Irak, Modernisierung, Erweiterung. Ist jetzt endlich mal Ruhe?

Hoffentlich nicht für lange. Denn allen Nato-Staaten muss bewusst sein, dass ihre Kapazitäten stagnieren, während die Probleme sich zuspitzen. Im Irak droht nach dem Machttransfer ein Bürgerkrieg. Ist die Allianz dafür gewappnet? Sollen Iran und Syrien stillschweigend als neue Ordnungsmächte geduldet werden? Die Sicherheit in Afghanistan wiederum beschränkt sich nach wie vor auf Kabul. Rund 250 deutsche Soldaten sind zusätzlich in Kundus stationiert. Das sind lächerlich wenige. Doch die Nato-Partner lassen Deutschland im Stich. Und nur nebenbei bemerkt: Im Sudan droht eine menschliche Katastrophe.

Amerikas Armee ist im Irak gebunden, die Nato schon in Afghanistan überfordert. Da bleibt kaum noch Kraft für eine globale Friedenssicherung. So geeint wie gelähmt hinkt das Bündnis der Entwicklung hinterher. Es stöhnt unter den Belastungen der Gegenwart. Die nahe Zukunft ist ihm aus dem Blick geraten. Man rafft sich gerade noch auf für ein trautes Gruppenfoto mit Bush. Er wird zufrieden sein und hoffen, dass sich das Chaos Zeit lässt bis nach den Wahlen. Strategien, Perspektiven? Das war einmal. Das Bündnis setzt auf einen neuen Faktor – Glück.

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