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Bundeswehrsoldaten bei einer Übung.

© dpa

Strategiedebatte: "Deutschland muss mehr Führung zeigen"

Deutsche Soldaten müssen im Zweifel auch dazu bereit sein, ihre Gegner zu erschießen, sagt der renommierte Politikwissenschaftler Robert O. Keohane. Sonst werde Berlin keine Friedensmacht.

Außenpolitische Themen haben im Bundestagswahlkampf keine Rolle gespielt, bei den Koalitionsverhandlungen will niemand das Außenministerium "haben". Machen es sich die Deutschen in einer außenpolitischen Kuschelecke bequem?

Im Gegenteil: Es wäre überraschend, würde sich die deutsche Öffentlichkeit anders verhalten. In einem Wohlfahrtsstaat interessiert den Wähler vor allem das eigene Wohlergehen. Deshalb bringen Politiker in einer Demokratie außenpolitische Themen möglichst selten auf die Tagesordnung, da diese vor allem mit Kosten und Risiken verbunden werden. Das war zum Beispiel in den USA so in den Jahren vor 1940. Allerdings entbindet das die politisch Verantwortlichen nicht davor, sich über die deutsche Rolle im internationalen und im europäischen Umfeld Gedanken zu machen.

Welche Erwartungen haben Sie an die deutsche Außenpolitik?

Deutschland sucht offenbar noch nach seiner Rolle in der Welt. Nehmen Sie den März  2011. Damals hat sich Deutschland völlig unerwartet im UN-Sicherheitsrat bei der  Libyen-Resolution enthalten. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges hatte sich die Bundesrepublik vor allem gegenüber den USA immer als sehr verlässlicher Partner gezeigt, der die Struktur der Allianz nicht gefährden wollte. 2011 hat die deutsche Regierung mit diesem Prinzip gebrochen. Dabei war die Sicherheitsratsresolution noch nicht einmal wirklich relevant für Deutschland. Zum einen ging es nicht um einen Kampfeinsatz und eine mögliche deutsche Teilnahme daran. Zum anderen war klar, dass das deutsche Verhalten das Ergebnis in Libyen nicht beeinflussen würde. Dafür war aber sehr klar, dass die deutsche Enthaltung die wichtigsten Verbündeten nachhaltig irritieren würde.

Was raten Sie einer neuen Bundesregierung?

Will sie sich als treibende Friedenskraft verstehen, müsste die Regierung beispielsweise mehr Führung bei der Entwicklungshilfe zeigen. Das gleiche gilt für humanitäre Interventionen, also Militäreinsätze, um schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Deutschland könnte zu einer Schutzmacht der so genannten „Responsibility to Protect“ werden. Im Fall Libyens hätte man sich sogar mit dem Hinweis enthalten können, dass die Intervention auf Regimewechsel abzielt und dies nicht das Ziel des von der UN entwickelten Konzeptes ist. Wenn das nächste Mal über diese Schutzfunktion als Grundlage für einen Einsatz diskutiert wird, könnten die Deutschen theoretisch ein deutlich vertrauenswürdigerer Vertreter einer solchen Position sein als Briten oder Amerikaner.

Robert O. Keohane.
Robert O. Keohane.

© Michael Fahrig

Aber diese Entwicklung sehen Sie nicht?

Zumindest nicht konkret. So kürzt Deutschland seit langem sein Verteidigungsbudget. Für humanitäre Interventionen brauchen sie aber entsprechend trainierte Einheiten, wie sie die Briten oder die Franzosen  haben. Deren Mitglieder müssen nicht nur schnell in einen Konflikt eingreifen können, sondern im Zweifel auch dazu bereit sein, ihre Gegner zu erschießen. Damit das gesellschaftlich mitgetragen wird, müsste als erstes die politische Klasse es als deutsches Interesse definieren, sich aus Kriegseinsätzen herauszuhalten, sich aber in Friedensmissionen zu engagieren.

Sie unterscheiden bewusst zwischen Außenpolitik und europäischer Politik?

In der Eurokrise verhält sich die Bundesregierung bisher ausgesprochen geschickt. Die EU ist das klassische Beispiel dafür, dass in einer friedlichen Situation, in der man seine Forderungen nicht mit Gewalt durchsetzt, der kleine Akteur immer „stärker“ ist als der Große. Die EU bringt sehr vielen Menschen viele wirtschaftliche und sicherheitspolitische Vorteile. Diese werden zwar von den großen Mitgliedern geschaffen und gesichert. Gerade aber weil die Kleinen wissen, dass ihr Verhalten keinen großen Einfluss hat, und es zugleich keine dramatischen Drohmittel gegen sie gibt, können sie sich viel erlauben.

Eurokrise? Athen wird nie sagen, danke, es reicht.

Und was bedeutet das in der Eurokrise?

Konkret wird sich eine griechische Regierung nie mit dem zufrieden geben, was sie bekommt. Deshalb muss die deutsche Regierung sich deutlich restriktiver geben, als sie es ist. Beide Seiten betreiben eine Art Schattenboxen für die Öffentlichkeit. Die deutsche Regierung verhält sich also absolut nachvollziehbar. Zentralbankchef Draghi hätte auch nie sagen können, „wir tun alles, um die Euro-Zone zu retten“, wenn nicht schon vorher klar gewesen wäre, dass Berlin dazu vordergründig „Nein“ sagen würde. Problematisch wird es, wenn die beteiligten Regierungen überziehen und dadurch antieuropäische, rechte und möglicherweise gewalttätige Stimmungen schüren.

Wie wird sich der NSA-Skandal auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen auswirken?

Das hängt davon ab, ob die US-Regierung klare Schritte unternimmt und die Überwachung befreundeter Führer stoppt. Es sieht auch so aus, als ob Präsident Barack Obama bereits entsprechende Entscheidungen getroffen hat. Wenn diese Entscheidung getroffen und durchgeführt ist, dann werden die langfristigen Folgen des Skandals eher gering sein, da die USA und Deutschland starke gemeinsame Interessen und Werte verbinden.

Dabei heißt es doch immer, die USA würden sich von Europa abwenden.

Vorweg: Die amerikanische Politik gegenüber Europa nach dem Zweiten Weltkrieg ist vielleicht die erfolgreichste Außenpolitik überhaupt. Den USA ist es gelungen, die EU in ihrer erfolgreichen Entwicklung zu unterstützen, ohne dass daraus eine Rivalität geworden ist. Das ist historisch gesehen etwas absolut einzigartiges. Auf die aktuelle Situation bezogen würde ich sagen: Potenzielle Bedrohungen ziehen unsere Aufmerksamkeit an. Die EU ist keine potenzielle Bedrohung für die Amerikaner, dass ihre Aufmerksamkeit also nicht ständig darum kreist, ist keine Überraschung. Der beeindruckende Aufstieg Chinas verdient auch deshalb mehr Aufmerksamkeit, weil das erfahrungsgemäß die gefährlichsten Perioden sind, wenn sich eine Macht im Aufstieg befindet und sich neu positioniert.

Also alles Harmonie und Gleichklang?

Das habe ich nicht gesagt. Europa ist in den 90er Jahren deutlich „moralischer“ geworden. Man hat ohne die Amerikaner den Vertrag zum Verbot von Landminen verabschiedet, den Internationalen Strafgerichtshof ins Leben gerufen. Die amerikanische Öffentlichkeit wiederum ist aufgrund der Erfahrungen im Irak und in Afghanistan inzwischen sehr viel skeptischer, was das internationale Engagement der USA und deren Rolle als „Weltpolizist“ betrifft. Aber insgesamt sind die Verbindungen sehr zwischen den USA und Europa gut. Die amerikanischen Eliten haben nach wie vor sehr starke Bindungen nach Europa, besonders auch nach Deutschland. Und vergessen Sie nicht: Kooperation entsteht aus Uneinigkeit. Wäre man sich in allem einig, müsste man nicht kooperieren.

Robert O. Keohane lehrt Politikwissenschaften an der Woodrow-Wilson-Fakultät der Princeton University. Er ist einer der renommiertesten Vertreter der zeitgenössischen Theorie der internationalen Beziehungen. Keohane gastierte bis vor kurzem als Fellow an der American Academy in Berlin.

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