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Teils friedlich, teils gewalttätig gingen Hunderttausende in den vergangenen Tagen in Frankreich auf die Straße.

© Jean-Philippe Ksiazek/AFP

Streiks und Proteste in Frankreich: Blockade gegen den Fußball

Wenn sich der Protest gegen die Arbeitsmarktreform in Frankreich zuspitzt, ist auch die Fußball-EM gefährdet. Lässt sich die Eskalation abwenden? Fragen und Antworten.

Nach den Streiks der vergangenen Woche sollen die landesweiten Proteste gegen die Reform des Arbeitsrechts in den kommenden Tagen weitergehen. Zum 14. Juni haben Frankreichs größte Gewerkschaft, die kommunistisch orientierte CGT, und sechs kleinere Organisationen zu einem „nationalen Aktionstag“ aufgerufen.

Droht dem Land eine Dauerlähmung?

Bisher haben sich die Engpässe, zum Beispiel bei der Versorgung mit Benzin und Diesel, durch die Blockade der Raffinerien, in Grenzen gehalten. Es gab auch keine Ausweitung der Protestbewegung. Die Zahl der Teilnehmer war zuletzt geringer als vor zwei Monaten. Dafür haben sich die Proteste weiter zugespitzt.

Mit radikalen Aktionen gegen neuralgische Punkte in der Energieversorgung, der Eisenbahn, den Pariser Verkehrsbetrieben, den Häfen oder den Flugplätzen wollen die CGT und die mit ihr verbündeten Gewerkschaften die Regierung weiter unter Druck setzen. Dabei geht es jedoch nicht nur um das Arbeitsgesetz, sondern auch um andere gewerkschaftliche Forderungen wie Löhne oder Arbeitsbedingungen.

Zimperlich wird es auch in Zukunft nicht zugehen. Ein Beispiel für die Radikalisierung: Vergangene Woche schickte CGT-Chef Philippe Martinez den Zeitungen ein Flugblatt mit der Aufforderung zu, es im Wortlaut abzudrucken, was die Redaktionen natürlich ablehnten. Daraufhin verhinderte die in den Druckereien führende CGT das Erscheinen aller Zeitungen. Nur das kommunistische Parteiblatt „L’Humanité“ erschien, das das Pamphlet veröffentlicht hatte.

Was trägt alles zu dieser Krise bei?

Präsident François Hollande hat wiederholt erklärt, es gehe Frankreich besser. In der Tat: Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit geht zurück, die Unternehmen investieren und die Nachfrage der privaten Haushalte nimmt zu. Aber gut geht es dem Land damit noch nicht. Die Arbeitslosigkeit, vor allem der Jugend, ist eine drückende Last.

Um den Trend umzukehren, wie es Hollande versprochen hat, setzte die Regierung vergangenes Jahr ein Gesetz zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen durch. Dem soll nun die Lockerung der starren Regelungen für Arbeitszeit und Entlassungen in dem mit 3689 Seiten undurchschaubar gewordenen Arbeitsrecht folgen. Damit soll es den Unternehmen erleichtert werden, Jobs zu schaffen, indem sie Arbeitszeiten und Personalbestand an Änderungen der Nachfrage flexibel anpassen können. Das lehnte die CGT als „Geschenk an die Arbeitgeber“ ab und blieb den Gesprächen mit der Regierung fern.

Anders die zweitgrößte Gewerkschaft Frankreichs, die reformistische CFDT. Sie einigte sich in entscheidenden Punkten mit der Regierung. Der jetzt dem Parlament vorliegende Text beruht auf diesen Kompromissen. Damit steckt die Regierung in einem Dilemma. Gäbe sie den Protesten nach, änderte das Gesetz oder nähme es ganz zurück, würde das von der CFDT als Verrat empfunden.

Erweist sich Frankreich damit erneut als reformunfähig?

„Unser Land hat ein Problem mit der Idee der Reformen“, gibt Premierminister Manuel Valls zu. Dabei haben die verschiedenen Regierungen in den vergangenen Jahren zahlreiche Reformen etwa bei den Renten oder der Berufsausbildung durchgesetzt. „Das Problem ist, dass wir die Reformen nicht gut machen, sagt Jean Pisani-Ferry, Chef des der Regierung unterstellten Beratungsgremiums France-Stratégie. Oft mangele es zum Beispiel an der nötigen Aufklärung.

So ließ auch Präsident Hollande die überfällige Reform des Arbeitsrechts statt zu Beginn erst zum Schluss seiner Amtszeit und ohne ausreichende Vorbereitung auf die Tagesordnung setzen und von einer unerfahrenen Ministerin im Parlament vertreten. Das rächt sich jetzt.

Gibt es einen praktikablen Ausweg aus dieser Konfrontation?

Von Maurice Thorez, dem legendären Parteiführer der französischen Kommunisten, stammt der Ausspruch: „Man muss einen Streik auch beenden können.“ Zu dieser Einsicht scheint Philippe Martinez nicht bereit. Obwohl er nicht der kommunistischen Partei angehört, wurde der ehemalige Renault-Techniker 2015 zum Generalsekretär der CGT gewählt. Die einst machtvolle Gewerkschaft leidet unter Mitgliederschwund.

Ihre Bastionen, vor allem im öffentlichen Dienst, sucht sie durch besondere Radikalität gegen die Konkurrenz der CFDT zu verteidigen. Bei den Delegiertenwahlen zu den Betriebsvertretungen im nächsten Jahr könnte sie von der CFDT auf den zweiten Platz verwiesen werden. Anders als in Deutschland gibt es in Frankreich auch keine Dachorganisation. Die Zerstrittenheit der Gewerkschaften ist einer der wichtigsten Gründe, warum Arbeitskonflikte in Frankreich schnell ausbrechen und mit viel größerer Härte als anderswo geführt werden.

Hinzu kommen persönliche Animositäten, die zur Verhärtung der Fronten beitragen. So glaubt sich Martinez von der Regierung über den Tisch gezogen. Seine Organisation hatte 2012 zur Wahl von Hollande aufgerufen. Von der Reform des Arbeitsrechts habe damals aber nichts in dessen Programm gestanden. Inzwischen scheut sich Martinez sogar nicht, Hollande mit Putin zu vergleichen.

Muss man sich also auf einen langen Konflikt einstellen?

Die Forderung der CGT, die Regierung solle das Reformgesetz „einfach und klar“ zurücknehmen, ist weder für Valls noch für Hollande annehmbar. Das Gesetz werde durchgezogen, versicherte der Premier wiederholt. „Wir lassen uns nicht erpressen“, heißt es in seiner Umgebung. In dieser Haltung wird Valls von Präsident Hollande bestärkt. „Es ist nicht die CGT, die den Inhalt von Gesetzen bestimmt“, erklärte der. Ein Ausweg aus dieser Sackgasse erscheint damit nur denkbar, wenn eine der beiden Seiten kapituliert. Im Moment ist das aber nicht zu abzusehen.

Auch Präsident Hollande steht mit dem Rücken zur Wand. Er hatte schon kürzlich mit der Rücknahme des Gesetzes über die Aberkennung der Staatsbürgerschaft von verurteilten Terroristen einen peinlichen Rückzieher machen müssen. Ein neuerliches Zurückweichen wäre für ihn der politische Tod, genauso wie für Premier Valls. „Wir befinden uns an einem entscheidenden Punkt“, sagte Hollande der Zeitung „Journal du Dimanche“. Bei der Reform gehe es um eine Weichenstellung für die Zukunft der französischen Gesellschaft: Festhalten am Überkommenen oder Modernisierung.

Was kann die Regierung bis zum Beginn der Europameisterschaft noch tun, um einen störungsfreien Verlauf zu sichern?

Um die Krise zu lösen und der Welt Szenen aus Frankreich zu ersparen, in denen Fußballern der Weg in die Stadien durch brennende Barrikaden versperrt wird, sucht die Regierung den Dialog mit den Gewerkschaften. Sie will diesen Entgegenkommen auf anderen Gebieten als der Reform des Arbeitsrechts signalisieren.

Am Wochenende telefonierte Valls mit den Führern aller Gewerkschaften, auch der CGT, um ihnen ins Gewissen zu reden. Was die Gespräche erbracht haben, ist unbekannt. Nur so viel ist sicher: Die Regierung wird an dem Gesetz festhalten und denkt auch nicht daran, die Europameisterschaft abzublasen, wie Valls erklärte. Den Fußballfans bleibt damit derzeit nur die Hoffnung, dass CGT-Chef Martinez, der in jungen Jahren als Stürmer den Ball in der Renault-Mannschaft trat, es nicht zulassen wird, dass ihnen der Spaß verdorben wird.

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