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Weder einheitlich ausgebildet noch staatlich geprüft: Ärzte dürfen mit Heilpraktikern nicht kooperieren. Das Bild zeigt eine sogenannte Moxibustion, bei der Akupunktur-Punkte mit Hitze stimuliert werden. Foto: Ottmar Winter

© PNN / Ottmar Winter

Streit über verbotene Zusammenarbeit: „Man ist entweder Arzt oder Heilpraktiker“

Der CDU-Politiker Alexander Krauß fordert, das Kooperationsverbot zwischen Heilpraktikern und Ärzten zu streichen. Die Bundesärztekammer warnt davor.

Ob Homöopathie oder Ayurveda, Chiropraktik oder Iris-Diagnostik: Umfragen zufolge erfreuen sich sogenannte alternative Behandlungsmethoden bei den Patienten immer größerer Beliebtheit. Grund genug für manche Gesundheitspolitiker, nun auch mal eine Zusammenarbeit zwischen Heilpraktikern und Ärzten zu fordern. „Dass es seitens der Ärzteschaft ein Kooperationsverbot gibt, ist überholt“, findet etwa der CDU-Politiker Alexander Krauß. Die Patienten sollten selber entscheiden können, ob sie nicht von Arzt und Heilpraktiker gemeinsam behandelt werden wollten, meint der Abgeordnete. Und hat schon mal von den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestages ausloten lassen, wie sich die bisherige Rechtslage ändern ließe.

Ergebnis: Der Beruf des Heilpraktikers könne entweder formell in den Katalog der Berufe aufgenommen werden, mit denen Ärzte zusammenarbeiten dürfen. Oder – aus Sicht von Krauß die bessere Lösung – er werde in einen staatlichen Ausbildungsberuf umgewandelt, was dann automatisch eine Zusammenarbeit mit Ärzten ermöglichen würde. In der Realität, so der sächsische CDU-Politiker, sei es heute oft schon so, dass sich Ärzte und Heilpraktiker um dieselben Patienten kümmerten. „Doch häufig weiß der eine nicht vom anderen.“

Ärztepräsident: Kooperationsverbot ist gerechtfertigt

Die Bundesärztekammer hält überhaupt nichts von solchen Kooperationsmöglichkeiten. „Die Menschen in unserem Land müssen sich darauf verlassen können, dass der Staat bei seinen Regelungen zur Ausübung von Heilkunde der Sicherheit von Patientinnen und Patienten höchste Priorität einräumt“, sagte Präsident Klaus Reinhardt dem Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health. „Damit ist das fast unbegrenzte Spektrum der zulässigen Betätigung von Heilpraktikern in keiner Weise vereinbar.“ Das Heilpraktikerwesen stehe „außerhalb der sonst im Gesundheitswesen geltenden Anforderungen an klar definierte fachliche Qualifikationen auf der Basis fundierter Standards“. Und auch das sei „ein Grund, warum das berufsrechtliche Kooperationsverbot von Ärzten mit Heilpraktikern gerechtfertigt und notwendig ist“.

Auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach lehnt den Vorstoß in Bausch und Bogen ab. „Eine Aufwertung des Heilpraktikerberufs durch Kooperation mit Ärzten halte ich für vollkommen verfehlt“, sagte er dem Tagesspiegel. „Man ist entweder Arzt oder Heilpraktiker.“ Die Medizin werde „immer stärker zu einer durch wissenschaftliche Erkenntnisse geprägten Disziplin“, in der es darum gehe, „auf menschliche Art und Weise das wissenschaftlich Gesicherte zu tun“. Diese Vorgehensweise, so Lauterbach, habe „nichts mit der Arbeit von Heilpraktikern zu tun“.

Koalitionsvertrag verspricht Überprüfung des Tätigkeitsspektrums

Tatsächlich schließt die Muster-Berufsordnung der Ärzte (MBO-Ä) bisher jede gemeinsame Arbeit am Patienten aus. Aus Reinhardts Sicht ist das richtig so. Statt sich mit berufsrechtlichen Vorgaben zur ärztlichen Berufsausübung zu befassen, solle die Koalition lieber „das Spektrum der heilpraktischen Behandlung überprüfen und dringend begrenzen“, fordert der Ärztepräsident. Er erinnert daran, dass sich die Regierenden zumindest ersteres auch vorgenommen haben. Auf Seite 101 des Koalitionsvertrages findet sich der entsprechende Passus. „Im Sinne einer verstärkten Patientensicherheit wollen wir das Spektrum der heilpraktischen Behandlung überprüfen“, heißt es dort.

Bisher ist es beim bloßen Versprechen geblieben. Das Bundesgesundheitsministerium hat ein Rechtsgutachten zu der Frage ausgeschrieben, wie sich der Satz aus dem Koalitionsvertrag umsetzen lässt, und das war es schon. Eine Begrenzung des Tätigkeitsspektrums von Heilpraktikern zum Schutz der Patienten ist nach wie vor nur ein Wunschtraum besorgter Schulmediziner.

„Behandlung von Krebserkrankungen muss ausgeschlossen werden“

„Unbedingt aus dem Tätigkeitsbereich von Heilpraktikern auszuschließen“, wären nach Reinhardts Worten „insbesondere alle invasiven Maßnahmen aber auch die Behandlung von Krebserkrankungen“. Außerdem werde leider „noch immer die Komplexität des medizinischen Kontextes, insbesondere das Ausmaß des notwendigen medizinischen Wissens, verkannt, welches für eine gefahrenminimierte Ausübung der Heilkunde notwendig ist“, so der Ärztepräsident. Trotz neuer, im März 2018 in Kraft getretener Leitlinien des Bundesgesundheitsministeriums müssten sich Heilpraktikeranwärter nach wie vor nur einer „Überprüfung“ unterziehen. „Es erfolgt keine positive Feststellung einer theoretisch oder praktisch erworbenen Qualifikation, sondern allenfalls die negative Feststellung, dass von der betreffenden Person keine Gefahr ausgehen soll.“

Dabei war der Vorsatz ein weit ehrgeizigerer. Die Leitlinien sollten „zu mehr Qualitätssicherung beitragen und insbesondere eine gerechtere Überprüfung von Heilpraktikeranwärtern, die eine Erlaubnis anstreben, ermöglichen“, heißt es in der Analyse der Wissenschaftlichen Dienste. Überprüft würden aber lediglich medizinische und rechtliche Kenntnisse, „damit sichergestellt ist, dass den Anwärtern die möglichen Gefahren für die Gesundheit der Patienten und die daraus resultierende Verantwortung bewusst sind“. Ob und inwieweit die angehenden Heilpraktiker über naturheilkundliche Fähigkeiten verfügen, interessiert den Staat auch weiterhin nicht. Schließlich seien diese angeblichen oder tatsächlichen Verfahren wissenschaftlich häufig nicht anerkannt, so die Gutachter. Und man wolle „auch nicht den Eindruck erwecken, sie anzuerkennen“.

Bislang keine einheitliche Ausbildung

Das ist immens weit weg von dem Wunsch des CDU-Politikers Krauß, die Heilpraktikerei zum staatlichen Ausbildungsberuf zu machen. Und es ging ja auch zunächst mal nur um Gefahrenbegrenzung. Die Vorfälle vom Sommer 2016 saßen allen noch in den Knochen. Damals waren drei Krebspatienten, die in einer alternativen Krebsklinik in Brüggen-Bracht behandelt worden waren, gestorben. Nach Überzeugung der Justiz haben Infusionen mit überdosiertem 3-Bromopyruvat zu ihrem Tod geführt, der verantwortliche Heilpraktiker wurde zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.

Der Vorfall habe zu der Frage geführt, ob das Heilpraktikergesetz nicht „restriktivere Regelungen für die Berufstätigkeit der Heilpraktiker vorhalten müsste, um weitere tragische Behandlungsfolgen möglichst zu verhindern“, so die Wissenschaftlichen Dienste. Tatsächlich sei dieses Gesetz „vorkonstitutionelles Recht“. Es stammt aus dem Jahr 1939 – und „die Frage eines grundsätzlichen Reformbedarfs“ ist, wie die Bundestags-Gutachter schreiben, „nach wie vor offen“. Bislang, so der Wissenschaftler-Befund, gebe es „keine einheitliche und staatlich geregelte Ausbildung zum Heilpraktiker“. Und auch die aktuell geltende Berufsordnung, die von sechs Verbänden verabschiedet worden sei, entfalte „nur Wirkungen für die Heilpraktiker, die einem dieser Verbände angehören“.

Entweder Komplettabschaffung oder mehr Kompetenz

Faktisch ist es momentan so, dass Heilpraktiker-Anwärter lediglich nachweisen müssen, dass sie einen Hauptschulabschluss haben und mindestens 25 Jahre alt sind. Und die Prüfung hat laut Gesetz nur sicherzustellen, dass von Heilpraktikern „keine Gefahr für die Volksgesundheit“ ausgeht. Dabei gab es immer wieder Bemühungen zu einer echten Reform. Lauterbach etwa forderte schon mal, Register einzuführen, um Heilpraktiker-Behandlungen wenigstens verlässlich zu dokumentieren und dadurch mehr Transparenz zu schaffen. Und der Münsteraner Kreis- ein Zusammenschluss von 17 Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen mit Expertise im Bereich der komplementären und alternativen Medizin - verlangte im August 2017 per Memorandum entweder eine Komplettabschaffung des Berufs oder aber eine echte Weiterentwicklung in Richtung Kompetenz, also mit wissenschaftlicher Ausbildung und entsprechender Prüfung. 

Im derzeitigen Zustand sehen die „Münsteraner“ vor allem die Gefahr, dass Patienten im Vertrauen auf ihre Heilpraktiker sinnvolle Therapien unterlassen und dass dadurch Krankheiten verschleppt oder verschlimmert werden. Auch in Berlin beispielsweise gab es vor zwei Jahren eine erhebliche Verletzung durch eine hochaggressive Kochsalzlösung, die einer Patientin von ihrer Heilpraktikerin verabreicht wurde.

46 Millionen Patientenkontakte im Jahr

Wie viele Heilpraktiker in Deutschland momentan zugange sind, ist nicht zweifelsfrei bekannt. Der Bund Deutscher Heilpraktiker geht von 47.000 Praktizierenden und 60.000 Beschäftigten in entsprechenden Praxen aus, drei Viertel davon Frauen. Das klingt wenig, denn allein in Bayern – dem einzigen Bundesland, das hierzu genau Buch führt – sind es schon mehr als 23.200. Damit liegt ihre Zahl dort doppelt so hoch wie die der Hausärzte. Hochrechnungen des Bundes Deutscher Heilpraktiker ergaben rund 128.000 Patientenkontakte pro Tag und rund 46 Millionen Patientenkontakte im Jahr. 

Umfragen zufolge sind Akupunktur, Entschlackung und die Behandlung mit homöopathischen Mitteln die häufigsten Therapieansätze. Deutschlandweit gibt es derzeit mehrere hundert Heilpraktiker-Schulen. Die Dauer der individuell konzipierten Lehrgänge ist unterschiedlich, sie liegt bei acht Monaten bis drei Jahren. Nach eigenen Angaben hat sich hochgerechnet schon mehr als die Hälfte der Bundesbürger mindestens einmal in die Hände eines Heilpraktikers oder einer Heilpraktikerin begeben. Bei den 34- bis 49-Jährigen waren es sogar 75 Prozent. Und in allen Altersklassen gab es einen Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren. 85 Prozent gaben an, bei einer Erkältung alternative Heilmethoden der Schulmedizin vorzuziehen. Bei Krebserkrankungen waren es zehn Prozent.

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