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Georg Cremer, Caritas-Chef und Professor für Volkswirtschaftslehre.

© promo

Streit um Armut: Caritas-Chef Georg Cremer wendet sich gegen Empörungskultur

Georg Cremer, Caritas-Chef, steht in der Kritik. Weil er die wohlfeile moralische Skandalisierung von Armut anprangert. Er setzt auf Fakten und konkretes Handeln, statt auf Empörungskultur. Ein Portrait.

Von Andreas Oswald

Es gibt Sätze, die haben sich tief eingegraben in die Denkbahnen der Gesellschaft. „Die Armen werden immer ärmer“, lautet einer. Es gibt einen Experten, für den Armutsbekämpfung das oberste Ziel ist. Georg Cremer ist Generalsekretär der Caritas. Er wendet sich gegen eine Empörungskultur, die Armut skandalisiert. Sie gehe an den Fakten vorbei, helfe keinem Armen, verunsichere die Mittelschicht und spiele Populisten in die Hände. Dabei gerate aus dem Blick, „dass wir in einem relativ gefestigten und gut regierten Land leben“.

Das heißt keinesfalls, dass Cremer Armut bagatellisiert. Im Gegenteil. Er fordert Handeln, das sich an Fakten orientiert und mit dem Armut gezielt bekämpft werden kann. Warum gibt es Gemeinden, so fragt er, in denen jeder zehnte keinen Schulabschluss habe und andere, in denen nur jeder 50. betroffen ist? Obwohl beide Gemeinden ähnliche Strukturen haben? Frühe präventive Arbeit sei wichtig, damit Jugendliche einen Schulabschluss machen und eine Ausbildung beginnen. Nicht alle Kommunen gäben sich die nötige Mühe. Ein weiteres Armutsrisiko sind laut Cremer Familien mit mehr als zwei Kindern. Da deren Zahl aber gering ist, sei es weniger lohnend, für sie Politik zu machen.

"Neoliberal" - ein immer inflationärer verwendeter Begriff

Es sei viel einfacher, sich zu empören, als konkret Verantwortung zu übernehmen, sagt der 64-jährige Professor für Volkswirtschaft, dessen Buch „Armut in Deutschland“ am Freitag von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles vorgestellt wurde. Sie nahm ihn dabei in Schutz. (Einen Bericht darüber lesen Sie hier.)

Cremer sieht statische Definitionen von Armut als problematisch an. Die gängigste Definition lautet: Wer ein geringeres Einkommen hat als 60 Prozent des mittleren Einkommens, ist von Armut bedroht. Diese Definition wird seit langem kritisiert, weil danach die Armut gleich bleiben kann, selbst wenn das Einkommen aller - also auch der Armen - deutlich steigt. Cremer wendet vor allem ein, dass sich unter diesen Armen sehr viele Auszubildende und Studenten befinden. Deren Lage ist aber zeitlich begrenzt. Mittelfristig sind sie am wenigsten von Armut bedroht, weil sie große Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.

Cremer zieht Kritik auf sich. Rolf Rosenbrock, Chef der Konkurrenz Paritätischer Wohlfahrtsverband, beschimpfte ihn als „neoliberal“, ein immer inflationärer verwendeter Begriff. Der Vorwurf geht wohl ins Leere. Cremer weist vor allem auf die Notwendigkeit hin, Niedriglöhne im Dienstleistungssektor zu bekämpfen. Das, so sagt der angeblich Neoliberale, könnten nur die Gewerkschaften.

Eine ausführliche Rezension des Buchs "Armut in Deutschland" von Georg Cremer finden Sie hier.

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