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Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und US-Außenminister Mike Pompeo beim Nato-Treffen in Brüssel.

© John Thys/AFP

Streit um den INF-Vertrag zur Abrüstung: Nato wirft Russland erstmals Vertragsbruch vor - USA setzen 60-Tage-Frist

Washington will den Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen kündigen, wartet damit aber auf Wunsch der Europäer noch zwei Monate.

Die Ankündigung aus Washington hatte die Verbündeten in Europa aufgeschreckt: Im Oktober teilte US-Präsident Donald Trump mit, er wolle den Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag) kündigen, eines der wichtigsten Abrüstungsabkommen überhaupt. Das Thema beschäftigte am Dienstag auch die Außenminister der Nato-Staaten.

Mit der Unterzeichnung im Jahr 1987 hatten sich die USA und die Sowjetunion verpflichtet, landgestützte Atomraketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern zu vernichten und keine neuen Waffen dieses Typs mehr zu entwickeln. Die sowjetischen SS20-Raketen und die amerikanischen Pershing II verschwanden aus Europa, der Kalte Krieg war vorbei. Doch Russland soll US-Angaben zufolge den INF-Vertrag seit Jahren gebrochen und neue landgestützte Marschflugkörper entwickelt, getestet und stationiert haben. Aus diesem Grund wollen die USA nun das Abkommen kündigen.

Nato will Geschlossenheit demonstrieren

Vor dem Treffen der Nato-Außenminister wurde allerdings bekannt, dass die Amerikaner Moskau eine letzte Frist setzen wollen. Russland habe 60 Tage Zeit, sich an das Abkommen zu halten, sagte US-Außenminister Mike Pompeo. Damit kommt die US-Regierung einem Wunsch ihrer europäischen Partner nach. Deutschland und andere Länder wollen Zeit haben, um Gespräche mit Russland führen zu können. Sie argumentierten in Washington damit, die Nato müsse gegenüber Russland Geschlossenheit zeigen.  

Diesem Zweck diente auch eine gemeinsame Erklärung aller Nato-Staaten: Darin stellte das Bündnis am Dienstag erstmals fest, dass Russland gegen das Abkommen verstoßen habe. “Es ist nun Sache Russlands, den INF-Vertrag zu bewahren”, heißt es in der Erklärung. Wenn Russland nicht unverzüglich Schritte einleite, um den Vertrag wieder einzuhalten, werde die Nato angemessen und entschlossen reagieren, sagte der Generalsekretär des Bündnisses, Jens Stoltenberg.

Die USA hatten ihre Nato-Partner detailliert über die von Russland entwickelten SSC-8-Marschflugkörper und die entsprechenden Tests informiert. An dieser Darstellung gibt es in Berlin offenbar keine Zweifel. Am vergangenen Freitag wurden Abgeordnete des Bundestages über die geheim gehaltenen deutschen Erkenntnisse zur Vertragsverletzung in Kenntnis gesetzt.

Schon Obama-Regierung sah Verstoß Russlands

Russland dagegen sieht die Schuld für das bevorstehende Scheitern des INF-Vertrages bei Trump und seinem Berater für Nationale Sicherheit, John Bolton – eine Argumentation, die russische Regierungsvertreter in den vergangenen Wochen dem Vernehmen nach vergeblich in europäischen Hauptstädten vorbrachten. Denn der Vorwurf an Russland ist keineswegs neu: Hinweise auf eine Vertragsverletzung hatte bereits die US-Regierung von Präsident Barack Obama, 2013 sprachen die Amerikaner das Thema erstmals in Russland an. Doch die russischen Regierungsvertreter stritten ab, ein neues Mittelstreckensystem entwickelt zu haben. Obama, der bei seinem Amtsantritt einen „Reset“ in den Beziehungen zu Russland anstrebte, versuchte es weiter mit Appellen. Mehr als 30 Mal sollen Amerikaner und Russen seitdem über den INF-Vertrag geredet haben. Am Ende gaben die Russen die Existenz neuer Marschflugkörper zwar zu, bestritten aber, dass diese eine Reichweite von mehr als 500 Kilometern hätten.

China, Indien und Pakistan verfügen über solche Waffen

Ein Abkommen, das von einem Partner über Jahre verletzt wird, gilt in Berlin und anderen Hauptstädten als kaum zu rechtfertigen. Um den INF-Vertrag doch noch zu retten, müssten die Europäer Russland zum Einlenken bewegen. Aber dass Moskau nach Jahren der Entwicklung nun auf das neue Waffensystem verzichtet, ist unwahrscheinlich – zumal Staaten wie China, Indien und Pakistan längst über nukleare Mittelstreckenraketen verfügen. Wenn die USA tatsächlich aus dem Vertrag aussteigen, gilt noch eine sechsmonatige Kündigungsfrist. Und dann? Eine sofortige Nachrüstung stehe nicht zur Debatte, heißt es in europäischen Nato-Staaten. Allerdings würde das Bündnis wohl verstärkt in Raketenabwehr investieren.

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