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Politik: Streit um die Rote Laterne

Die Debatte war erregt, doch der Eklat blieb aus. Den Jahreswirtschaftsbericht wollte der Bundestag am Donnerstag debattieren, und natürlich wurde daraus eine Wahlkampfschlacht über die Ökonomie der Bundesrepublik.

Die Debatte war erregt, doch der Eklat blieb aus. Den Jahreswirtschaftsbericht wollte der Bundestag am Donnerstag debattieren, und natürlich wurde daraus eine Wahlkampfschlacht über die Ökonomie der Bundesrepublik. Als Wirtschaftsminister Werner Müller sprach, meldete sich Ernst Hinsken von der CSU zunächst zweimal mit Zwischenfragen. Dann versuchte sich der Bäcker und Ex-Staatssekretär in dem, was die Verkürzung komplexer Diskussionen auf ein einprägsames Bild werden sollte.

Hinsken zauberte unter seinem Tisch eine gewaltige rote Laterne hervor, stand auf, näherte sich grinsend der Regierungsbank und versuchte, das symbolische Schlusslicht der Konjunktur in Europoa daselbst zu übergeben. Sicherheitsminister Schily wehrte sich erregt und wedelte mit dem Arm; Hinsken grinste weiter; Kanzler Schröder lächelte und lehnte sich zurück. Es folgte ein kurzer Tumult. Hinsken kehrte schließlich samt Laterne an seinen Platz zurück. Unions-Geschäftsführer Repnik eilte zu ihm und sprach seinerseits erregt auf Hinsken ein.

Soweit die fernsehgerechte Darstellung der Materie. Inhaltlich lässt sich die fast dreistündige Debatte so zusammenfassen: Die Regierung warf der Opposition Konzeptionslosigkeit vor und verlangte, Alternativen endlich konkret und "auf Heller und Pfennig" ausgerechnet zu präsentieren. Die bürgerlichen Oppositionsparteien warfen der Regierung ebenfalls Konzeptionslosigkeit und Passivität vor und zeichneten ein drastisch-düsteres Bild der Leistungsbilanz von Rot-Grün.

Finanzminister Eichel rief die Bundesländer auf, ihren Verpflichtungen im Rahmen des Stabilitätspaktes nachzukommen. Er lasse sich keine Blauen Briefe für seinen strikten Konsolidierungskurs im Bund zuschicken, während die Länder immer höhere Defizite vor sich herschöben. Den von der Opposition immer wieder zu hörenden Vorwurf, der Bund wälze zu viele Lasten auf die Länder ab, ließ Eichel nicht gelten: "Das ist durch das Verfassungsrecht in Deutschland widerlegt." Unionsfraktionschef Merz räumte ein, Eichels Idee eines "nationalen Stabilitätspakts" zum Erreichen des nahezu ausgeglichenen Etats 2004 sei sinnvoll. "Aber den bekommen Sie nie, wenn Sie den Bundeshaushalt weiter auf Kosten von Ländern und Gemeinden sanieren." Merz listete die Mängel der Regierung auf: europäisches Schlusslicht beim Wachstum, neue Jobs nur durch die geänderte Erfassung von Nebentätigkeiten, passives Warten auf den Aufschwung aus Amerika, Mittelstandsfeindlichkeit, mehr Bürokratie statt effektiver Arbeitsvermittlung. Es war Müller, der eine Gegenrechnung aufmachte. "Ohne dass wir die Großen halten, bricht uns der Mittelstand glatt weg", verteidigte der Minister die Entlastung der Kapitalgesellschaften. Was wiederum die PDS zu dem Kommentar veranlasste, es sei schon bemerkenswert, wie "Union und FDP als Kampftruppe gegen das Großkapital" aufträten. Zwar sei "das Wachstum nicht das, was wir uns alle wünschen", sagte Müller. Doch sei das Schlechtreden Deutschlands "völlig unverantwortlich". Im Schnitt der letzten sieben Kohl-Jahre seien 1,3 Prozent Wachstum erzielt worden; unter Schröder seien es 1,6 Prozent. Die Auslandsinvestitionen hätten sich auf 50 Milliarden Euro verdoppelt.Rot-Grün habe für "qualitativ wertvolleres, weil subventionsfreieres Wachstum" gesorgt. "Wir haben Doping aus dem Wachstumsprozess herausgezogen und trotzdem mehr erreicht", meinte Müller. Rotgrün stehe für "weniger Ruf nach dem Staat". Der Union fehle jede Stringenz: "Es ist bezeichnend, wer bei einer leichten konjunkturellen Eintrübung als erstes nach Konjunkturprogrammen ruft."

Grünen-Fraktionschef Schlauch verteidigte die Ökosteuer. Regenerative Energiequellen seien "eine Jobmaschine für den Mittelstand". Die hoffnungslos verworrene Union feile jetzt "an der steuerpolitischen Wiederauferstehung von Edmund Stoiber". FDP-Vize Brüderle hielt dagegen: Walter Riester bezeichnete er als "BundesarbeitslosMinister", der ein Teil der an ihren Sesseln klebenden "Pattex-Riege auf der Regierungsbank" sei. Die Bundesanstalt für Arbeit solle ins Wirtschaftsministerium integriert werden, verlangte Brüderle. "Nahe Null ist die Zauberformel der Bundesregierung: null Ahnung, null Wachstum, null Arbeitsplätze." Nur einen kleinen Seitenhieb richtete die FDP an die Union: "Die Ökosteuer ist und bleibt Unfug!"

Beide Minister sahen mehr als einen Streif am Horizont. "Wir stehen vor einem neuen Aufschwung", sagte Eichel. Das Wachstum komme wieder, er könne nur nicht genau sagen, ob im zweiten oder dritten Quartal, meinte Müller. Er zog auch gleich die Konsequenz: "Wir werden weiter regieren!"

R. von Rimscha

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