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Linksfraktionschefs Amira Mohamed Ali, Dietmar Bartsch.

© imago images/Christian Thiel

Streit um die Russlandpolitik: Linker wirft Genossen „faktenfreie Propaganda“ vor

Die Linke debattiert über Russland. Moskau werde zu sehr geschont, kritisiert Matthias Höhn - und attackiert scharf Äußerungen aus dem linken Parteiflügel.

Von Matthias Meisner

In der Linksfraktion des Bundestages gibt es neue scharfe Kontroversen um die Außenpolitik, vor allem das Verhältnis zu Russland. Der Abgeordnete Matthias Höhn, früherer Bundesgeschäftsführer der Partei und heute im Parlament als Verteidigungspolitiker, bilanzierte am Wochenende eine Schieflage bei Anträgen, Anfragen und Presseerklärungen der Fraktion beziehungsweise ihres für die Außenpolitik zuständigen Arbeitskreises zu Gunsten autoritärer Regime wie Russland, China oder Iran.

Zugleich ging Höhn den Abgeordneten Alexander Neu vom linken Flügel hart an, der Doppelstandards auch seiner Parteifreunde gegenüber Russland behauptet hatte.

Eine dem Tagesspiegel vorliegende E-Mail Höhns an Neu vom Wochenende liest sich, aufgehängt an Äußerungen von Neu, wie ein Wutausbruch über die eigenen Leute. Der zuständige außenpolitische Arbeitskreis wird seit Jahren vom linken Flügel um Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht dominiert. Wortführer sind unter anderen die beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Heike Hänsel und Andrej Hunko, daneben auch Neu und die Abgeordnete Sevim Dagdelen, eine enge Vertraute von Wagenknecht. Die Fraktionsführung um Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali vermeidet offene Kritik an diesem Zirkel.

Linken-Bundestagsabgeordneter Alexander Neu.
Linken-Bundestagsabgeordneter Alexander Neu.

© Achim Melde/Deutscher Bundestag

Auslöser des neuen Konflikts: Der nordrhein-westfälische Abgeordnete Neu hatte seine Genossen auf dem Portal „Die Freiheitsliebe“ davor gewarnt, sich zu sehr in angeblich innenpolitische Angelegenheiten Russlands einzumischen. „Zuallererst ist die Linke eine deutsche Oppositionspartei , die die politischen Entscheidungen und Entscheidungsprozesse in Deutschland zu kontrollieren und zu hinterfragen hat, nicht die russischen, die chinesischen, die US-amerikanischen oder die äthiopischen“, verlangt er. Kritik an Moskau, so Neu weiter, habe hierzulande einen instrumentellen Charakter, „um das Land zu demütigen und im Kampf der Großmächte die ,moralische Überlegenheit des Westens' zu demonstrieren“.

Linken-Bundestagsabgeordneter Matthias Höhn.
Linken-Bundestagsabgeordneter Matthias Höhn.

© Thilo Rückeis

Höhn, der dem realpolitischen Flügel zugerechnet wird, beobachtet dagegen ein Übergewicht bei Äußerungen der Fraktion zu Völkerrechtsbrüchen, Militäraktionen und Menschenrechtsverletzungen der USA oder der Türkei. Nach seiner Einschätzung wird vergleichbares Verhalten der russischen, syrischen, iranischen oder chinesischen Regierung wiederum zu selten gerügt.

Mit Blick auf Russland schreibt der aus Sachsen-Anhalt stammende Politiker Höhn seinem Fraktionskollegen, es sei „an Zynismus schwer zu überbieten“, wenn er die Aufgabe der Auseinandersetzung mit der Politik des Kremls der russischen Opposition zuschiebe. Denn das seien Leute, von denen ein großer Teil im Land systematisch ausgegrenzt werde und dessen Vertreterinnen und Vertreter in den vergangenen Jahren mehrfach Opfer von Mordanschlägen geworden seien.

„Verharmlosung der Queerfeindlichkeit in Russland“

In der Sache gibt es Streit zwischen Höhn und Neu unter anderem um Homophobie in Russland. Neu meint, dieses Thema werde in der deutschen Politik - eigene Parteifreunde nimmt er bei diesem Vorwurf nicht aus - instrumentalisiert, mit dem Ziel, Russland als kulturell minderwertig darzustellen und das Land vorzuführen. Um Homophobie zu kritisieren, müsse man nicht unbedingt nur nach Russland schauen, „da reichen auch Blicke in die deutsche Provinz oder in andere osteuropäische Staaten“, argumentiert er im Blog-Eintrag. Bei verbündeten Staaten und Regierungen würden jedoch „alle Augen zugedrückt".

Höhn dagegen sieht in Russland zweifelsfrei eine „staatliche Homofeindlichkeit“, die auch von der Linken in Deutschland offen angesprochen werden müsse und auch werde. „Die staatliche Queerfeindlichkeit in Russland mit dem Alltag in der deutschen Provinz zu vergleichen, ist eine schlimme Verharmlosung der Situation in Russland und der Lage, in der sich queere Menschen dort befinden“, wirft er Neu vor. Zu behaupten, dass beispielsweise die Queerfeindlichkeit der polnischen Regierung in Deutschland nicht thematisiert werde, sei „schlichte Unwissenheit oder faktenfreie Propaganda“.

Auseinandersetzung um Vergiftung Nawalnys

Auch der Streit um die Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny, der schon im Spätsommer zu einem Schlagabtausch bei den Linken geführt hatte, flammte neu auf. Für Neu ist es weiterhin nur eine Spekulation, ob die russische Regierung oder nachgeordnete russische Stellen die Täter seien. Interessant sei aber, meint er, dass die deutsche Seite vier Rechtshilfeersuchen Russlands bislang nicht positiv beantwortet habe.

Höhn entgegnet auch bei diesem Thema unmissverständlich: „Die Aufklärung der Umstände dieses Anschlags scheitern an Russland, an niemandem sonst.“ Es sei ein Bruch des Chemiewaffenübereinkommens, dass ein solches Nervengift in Russland im Umlauf und zum Einsatz gekommen sei, „ein Völkerrechtsbruch“. Und nur Russland könne diesbezügliche Fragen beantworten. „Meine Prognose: Es wird nicht geschehen. Wie bei anderen Fällen zuvor. Dazu kann es keine Nachsicht geben, keine Ausreden, kein Verweisen auf andere. Es ist inakzeptabel.“ Noch 2018 hatte Höhn in einem Gastbeitrag für die Zeitung „Neues Deutschland“ geschrieben, Russland sei keine globale Bedrohung - und für eine Entspannungspolitik gegenüber Moskau plädiert.

Gysi mischt sich in den Streit nur indirekt ein

Der frühere Fraktionschef Gregor Gysi wollte auf Anfrage auf die neue Auseinandersetzung um die Russlandpolitik nur indirekt eingehen. Dem Tagesspiegel sagte Gysi am Montag: „Glaubwürdigkeit in der Menschrechtsfrage verlangt, dass man sie für alle Länder gleich behandelt. Es geht nicht, dass man sie in bestimmten Ländern scharf verurteilt und in anderen Ländern eher übersieht. Diesen Anforderungen wird weder die Bundesregierung noch die Opposition gerecht.“ Beide müssten sie aber künftig bedenken.

Gysi sagte weiter: „Deutschland und die EU benötigen aus geostrategischen Gründen gute und vertrauensvolle Beziehungen zu den USA, zu Russland und zu China. Die Bundesregierung hat zu allen drei Staaten nicht ein solches Verhältnis.“ Gysi ist - als Nachfolger von Stefan Liebich - neuer außenpolitischer Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion. Außenpolitische Fragen werden von SPD und Grünen immer wieder als Hemmnis für eine Regierungsbeteiligung der Linken im Bund angeführt.

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