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Seit ihrem Erfolg mit dem Elterngeld ist das Selbstbewusstsein von Sozialministerin Ursula von der Leyen noch gewachsen.

© dapd

Streit um die Zuschussrente: Die Methode Leyen

Mit ihrem Vorpreschen in der Rentenpolitik hat Sozialministerin Ursula von der Leyen ein Thema gesetzt – auch wenn es einige ärgert. Der Eindruck, dass sie geradewegs auf eine Niederlage zusteuert, könnte jedenfalls täuschen.

Von Robert Birnbaum

Es gibt im politischen Betrieb mehrere Möglichkeiten, einem Parteifreund mitzuteilen, was man von seinen Ideen hält. Volker Kauder hat an sich ein Faible für direkte Sprache. Aber bei Ursula von der Leyens jüngstem Einfall, der Zuschussrente, zieht er die indirekte Rede vor: Wenn es um das Problem der Altersarmut gehe, hat der Unionsfraktionschef der „Recklinghäuser Zeitung“ erklärt, dann bedürfe es einer „systematischen Grundlösung“. Das ist die höfliche Form einer Art Absage. Ein gutes Jahr vor der Bundestagswahl ist an systematische Grundlösungen schließlich kaum mehr zu denken.

Kauder weiß das. Angela Merkel wusste es auch, als sie tags zuvor in Recklinghausen vor der Senioren-Union verkündete: „Wir stehen in der Union vor einer langen Debatte, um die Probleme zu lösen.“ Prononcierter äußern mochte sich auch die Kanzlerin allerdings nicht zu den umstrittenen Zuschussrentenplänen ihrer Arbeits- und Sozialministerin. Dahinter steckt nicht nur Merkels Abneigung gegen frühe Festlegungen zumal in koalitionär strittigen Fragen. Dahinter steckt offenkundig auch der Respekt vor dem heißen Eisen, das von der Leyen da mal eben medial auf Rotglut erhitzt hat. Wer das Thema Rente falsch anpackt, das weiß Merkel sehr genau, kann problemlos seine treuesten Wähler verlieren.

Der Eindruck, dass Ursula von der Leyen mal wieder geradewegs auf eine Niederlage zusteuert, könnte infolgedessen täuschen. Dabei kann man den Eindruck leicht gewinnen. Nicht nur die Opposition, die Sozialverbände und der Koalitionspartner FDP lehnen ihren Plan ab, per Zuschuss die Rente für untere Gehaltsklassen auf 850 Euro und damit über das Sozialhilfeniveau anzuheben. Auch in den eigenen Reihen steht sie unter Beschuss: Der Wirtschaftsflügel plädiert stattdessen für eine steuerfinanzierte Grundsicherung, die Jungen in der Fraktion warnen vor einer Scheinlösung zulasten ihrer Generation, die ohnehin schon mit immer weniger Beschäftigten immer mehr Rentner finanzieren muss.

Nur ein Teil der harschen Reaktionen ist streng inhaltlich begründet. Bei der Kritik der Opposition etwa ist der Ärger darüber unüberhörbar, dass die Christdemokratin vorgeprescht ist, während Grüne und SPD noch an eigenen Konzepten zur Rente der Zukunft arbeiten. Dass in den roten und grünen Vorentwürfen ebenfalls die Zahl 850 Euro als Mindestgrenze für eine Alterssicherung jenseits der Sozialhilfe eine Rolle spielt, macht den Ärger nur größer. „Das soll dann mal im Wahlkampf einer auf einem Marktplatz erklären, weshalb seine 850 Euro so viel besser sein sollen als unsere“, feixt ein Verteidiger von von der Leyens Vorstoß. Selbst manche Skeptiker in der Union sagen, die umfassende Lösung für das Problem biete das Modell zwar nicht, indes: „Das Thema ist schon richtig.“

Ein berechnender Wille und kleine Tricks

Was vielen trotzdem übel aufstößt, ist die Methode. Der Gesetzentwurf, in dem die Zuschussrente stand, tauchte in der Sommerpause im Kabinett auf. Für die meisten in der Partei war das überraschend, auch wenn das Kanzleramt im Bilde war. Die Überfalltaktik hat Methode. Seit die Niedersächsin die eigene Regierung und Fraktion im Handstreich zum Elterngeld getrieben hat, hat sie das damals so erfolgreiche Rezept immer wieder versucht.

Spektakuläre Triumphe hat ihr das nicht mehr beschert, eher im Gegenteil – dass sich die CDU-Spitze im Streit um Frauenquoten für die Wirtschaft auf die Seite von Familienministerin Kristina Schröder und ihrer Flexi-Quote gestellt hat, erklärt sich nicht zuletzt durch einen gewissen Sympathiefaktor unter den CDU-Oberen für die Jüngste im Kabinett, die die Älteren allzu offensichtlich auszumanövrieren versuchte.

Hinter von der Leyens allzeit bereitem Lächeln verbirgt sich ein kühl berechnender Wille und ein beträchtliches Repertoire kleiner Tricks. Andererseits kann die 53-Jährige mit diesem Ruf ganz gut leben. In der CDU wird Machtbewusstsein und Kampfbereitschaft im Grunde honoriert; nicht zufällig kommt von der Leyen in allen Gedankenspielen über eine Zeit nach Merkel ziemlich prominent vor. Richtig geschadet haben ihr die Niederlagen auch nicht. Die Selbstbewerbung um das Bundespräsidentenamt erscheint nach dem traurigen Ende des Christian Wulff in ganz anderem Licht; im Quotenstreit ist sie aus der Sicht vieler Frauen, die um die Realität in deutschen Führungsetagen wissen, moralische Siegerin geblieben.

Ob der Zank um die Zuschussrente ähnlich ausgeht, ist noch schwer zu sagen. Die Ministerin hat die zuletzt im Kabinett bekräftigte Zusage, dass ihr Anliegen bis Oktober auf höchster politischer Ebene im Koalitionsausschuss behandelt wird. Einen Kuhhandel der Preislage „FDP kriegt Wegfall der Praxisgebühr – CDU bekommt Zuschussrente“ halten führende Unionskreise zwar derzeit für undenkbar. Aber dass sich in der unübersichtliche Beschlusslage einer Koalitionsrunde nicht doch zumindest ein für von der Leyen gesichtswahrender Ausweg auftut, ist keineswegs ausgeschlossen.

Dabei könnte ihr ausgerechnet ein Umstand helfen, der ihre Kritiker besonders empört. „Brandgefährlich“ sei das, zürnt einer von ihnen, wie die Frau Ministerin da mal eben mit zweifelhaften Zahlen eine Legitimationskrise des Rentensystems heraufbeschwöre und obendrein diejenigen düpiere, die für ihre kleine Rente ein Leben lang gearbeitet hätten: „Da werden Millionen Rentner verunsichert, nur damit sie ihr Projekt durchbringt.“ Das mag so sein. Dann stimmt allerdings auch, was einer der wenigen Verteidiger von der Leyens zu bedenken gibt: Dass sich vom politischen Gegner bis in die eigenen Reihen alle aufregten, führe dazu, „dass man jetzt was machen muss“. Bis nach der Wahl vertagen könne man das Thema jedenfalls nicht mehr.

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