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Jens Spahn (CDU), Bundesminister für Gesundheit, am 9. Juni im Bundestag.

© Kay Nietfeld/dpa

Streit um hunderte Millionen Euro: Schrottmasken geliefert – Länder verweigern Zahlungen an den Bund

Zwischen dem Ministerium von Jens Spahn und mehreren Bundesländern gibt es erbitterten Streit um ausstehende Masken-Rechnungen. Die werden vielleicht nie beglichen.

Bodo Ramelow (Linke) ist für Jens Spahn (CDU) nicht zu erreichen: Der eine, der Thüringer Ministerpräsident, schuldet dem anderen, dem Bundesgesundheitsminister, noch Geld, und irgendwie reagiert man im Grünen Herzen Deutschlands nicht so recht auf die Kontaktanbahnungen aus der Hauptstadt.

Natürlich geht es nicht um persönliche Schulden, sondern solche des Freistaats bei der Bundesregierung – und Thüringen ist hier zwar besonders abwehrend, aber in bester Gesellschaft mit anderen Bundesländern. Auch dort warten offene Rechnungen in teils dreistelliger Millionenhöhe, keine dürfte jemals komplett beglichen werden. Es geht nicht nur, aber vor allem um Persönliche Schutzausrüstungen (PSA), vulgo Masken, die Spahns Bundesgesundheitsministerium (BMG) gerne bezahlt bekommen will.

Der Hauptgrund für die Querelen mit den Ländern: Mangelnde oder strittige Qualität der BMG-Lieferungen. Und einige Staatskanzleien können sich mit dem Bund nicht einmal darauf einigen, wie viele PSA eigentlich geliefert worden ist.

Es ist ein Thema, das zwischen Bund und Ländern seit Beginn der Pandemie schwelt, ein Konflikt um Zuständigkeiten und Kompetenzen, vielleicht aber auch – aus Sicht einiger Staatskanzleien – um Übergriffigkeiten des BMG. Auch im gerade an den Haushaltsausschuss des Bundestags verschickten Bericht des Bundesrechnungshofs (BRH) zur Prüfung „ausgewählter coronabedingter Ausgabepositionen“ ging es bekanntlich – wenn auch im Kontext der Abgabe von Masken an vulnerable Bevölkerungsgruppen an die Apotheken – um die konfliktreiche Beziehung von Bund und Ländern in diesem Feld. 

„Für die Erfüllung der Aufgaben des öffentlichen Gesundheitsschutzes sowie der allgemeinen Gefahrenabwehr und des Katastrophenschutzes sind nach den Bestimmungen des Grundgesetzes grundsätzlich die Länder zuständig“, heißt es im Bericht. Könnten diese der Aufgabe nicht nachkommen, sei eine Unterstützung durch den Bund angemessen. Dann allerdings, so der Rechnungshof weiter, dürften die Länder nicht „aus der Verantwortung entlassen“ werden bei der „Finanzierung von Aufgaben des öffentlichen Gesundheitsschutzes“. 

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Das BMG, diese Conclusio zieht sich quer durch den gesamten Bericht, sei hier zu defensiv aufgetreten. „Der Einwand drohender langwieriger Verhandlungen mit den Ländern erscheint in diesem Zusammenhang allerdings nicht stichhaltig“, schreiben die Prüfer. „Zumindest dem Grunde nach“, meinen sie mit Blick auf die Maskenverteilung an vulnerable Bevölkerungsgruppen Anfang 2021, „hätte trotz der gebotenen Eile eine Beteiligung vereinbart werden können“.

Das BMG dürfte das anders sehen: Denn noch immer rennt es, das zeigen Recherchen von Tagesspiegel Background, Geld für Maskenlieferungen hinterher, die bereits vor mehr als einem Jahr an die Länder gingen. Es scheint, so viel kann man sagen, keine ganz einfache Geschäftsbeziehung zu sein.

Vereinbarung oder Mitteilung?

Bei der im aktuellsten BRH-Bericht thematisierten Masken-Verteilaktion über die Apotheken war es nicht der Bund, der lieferte, sondern der pharmazeutische Großhandel – der Bund allerdings übernahm die Kosten für die aus Sicht des Rechnungshof ineffiziente und viel zu teure Aktion.

Ein Jahr zuvor gab es eine andere Konstellation: Der Bund lieferte Masken aus eigenen Beständen und damit auch erst einmal auf eigene Kosten. Die desolate Lage auf dem Weltmarkt zu Beginn der Pandemie ist mittlerweile hinlänglich bekannt, über die Masken-Qualitätsansprüche des BMG ist gerade ein erbitterter Streit innerhalb der Bundesregierung entbrannt.

Und auch bei den bis heute offenbar ungeklärten Forderungen des Bundes an die Länder geht es immer wieder um, gelinde gesagt, unterschiedliche Auffassungen zur Qualität der gelieferten PSA.

Im Grunde ist man sicher aber noch nicht mal einig, worauf man sich am 29. März 2020 geeinigt hatte. An jenem Sonntag nämlich schalteten sich der Chef des Bundeskanzleramts, Helge Braun (CDU), mit den Chefs und Chefinnen der Staats- und Senatskanzleien der Länder zusammen, um sich über eine Kostenbeteiligung der Länder für Bund beigesteuerte und noch beizusteuernde PSA zu verständigen.

In einem Bericht, den das BMG vor einigen Wochen dem Haushaltsausschuss des Bundestags erteilte, war die Rede von einer „politischen Vereinbarung“, die man damals mit den Ländern getroffen habe. Darin einigte man sich laut BMG darauf, dass der Bund zur Unterstützung von Kliniken und Arztpraxen PSA liefert, als Grundlage für die Kostenberechnung diente eine für das Treffen vorbereitete Preistabelle. 

In der Berliner Senatskanzlei indes stellt man auf Anfrage hingegen klar, dass man das damals Besprochene nicht als Vereinbarung ansehe. „Es gab lediglich eine Mitteilung des Bundes“, betont eine Sprecherin.

Auftrag an EY

Mit seinem Bericht an den Haushaltsausschuss – er stammt vom 31. März dieses Jahres – kam das BMG der Forderung des Haushaltsausschusses nach, laut der der Bund sicherzustellen habe, dass die „zwischen Bund und Ländern geeinten Preise“ auch abgerechnet werden.

Seit 2020 fänden, berichtete das BMG, „intensive Abstimmungen“ mit den Ländern über die Abrechnung von PSA und „sonstiger Verbrauchsgüter“ statt, als „Betriebsführer“ für das Ministerium sei das Beratungsunternehmen Ernst & Young (EY) tätig.

Man wolle bei den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) und den Ländern, so das vom BMG formulierte Ziel, „einen pauschalierten Beitrag“ von mindestens 500 Millionen Euro eintreiben, also jene Summe, die im Haushaltsplan 2020 dafür als Globale Minderausgabe eingestellt wurde. Über den realen Wert der Lieferungen ist damit nichts gesagt: Dem BMG geht es primär darum, mit einer schwarzen Null heraus zu kommen. 

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Wiederholte Anfragen beim BMG zum Thema bleiben unbeantwortet – unter anderem also auch zu der Frage, wieviel das Ministerium an EY für den Auftrag zahlt. Im Haushaltsausschuss-Bericht indes erklärte das Ministerium vor ein paar Wochen, die Verhandlungen mit den Ländern seien „teilweise schwierig“, die Bereitschaft zu Erstattungen an den Bund „unterschiedlich ausgeprägt“.

Einige Länder hätten PSA zurückgeschickt, „um Zahlungsverpflichtungen zu reduzieren“. Man bemühe sich nun, Erstattungsaufforderungen über jene Beträge zu schicken, die „zwischen Bund und Ländern unstreitig“ seien. 

Keine Rechnungen an Saarland und Thüringen

Aufgelistet wurde in dem Bericht auch, in welchen Stadien sich die Verhandlungen mit den Ländern befinden: Nur mit zweien gab es damals eine Einigung über die abzurechnende Menge sowie zur gemeinsamen Beurteilung der Qualität. „Von einem Land konnte bisher keine Rückmeldung verzeichnet werden“, hieß es weiter – dabei geht es um Thüringen.

Auf Anfrage heißt es im Erfurter Gesundheitsministerium, dass man den im BMG-Bericht dargestellten „Sachverhalt nicht nachvollziehen“ könne. Man habe den größten Teil des PSA-Bedarfs seinerzeit „selbst beschafft“.

An den Bund sei Ware zurückgeschickt worden, insbesondere Masken, „zu denen nicht alle benötigten Dokumente vorgelegt wurden“. Dem Freistaat lägen bislang auch keine Rechnungen des Bundes vor. Tatsächlich war Thüringen das erste Land, das bereits im Mai 2020 den Bund darum bat, die PSA-Lieferungen einzustellen. Auch im Saarland erklärt die Landesregierung auf Anfrage, bislang noch keine Rechnung erhalten zu haben.

Auf eine Frage des FDP-Haushaltspolitikers Karsten Klein, mit welchen Ländern das BMG sich inzwischen über zu zahlenden Erstattung geeinigt habe, und auf welche Höhe diese sich insgesamt belaufen, gab das BMG vor zwei Tagen nur eine spärliche Auskunft. Am 10. Mai habe man allen Ländern, heißt es in der dem Tagesspiegel Background vorliegenden Antwort, „eine Zahlungsaufforderung für einen relevanten Teil der Bund bezogenen PSA sowie Beatmungsgeräte übermittelt“.

Dabei gehe es um ein Gesamtvolumen von 300 Millionen, „auf der Grundlage einer politischen Verständigung“ – die restlichen 190 Millionen entfallen auf die KZBV und KVen, deren Anteil aber durch Entnahme aus der Liquiditätsreserve der Gesetzlichen Krankenkassen beglichen werden.

„Eine Reihe von Ländern“, heißt es weiter in der BMG-Antwort auf Karsten Kleins Anfrage, „hat bereits eine grundsätzliche Zahlungsbereitschaft für die bisher vom Bund geltend gemachten Forderungen signalisiert“. Und mit „einzelnen Ländern“ habe man sich „auf erste Erstattungszahlungen“ geeinigt.

Im Haushaltsausschuss diese Woche, berichten Teilnehmer, habe das BMG die Auskunft gegeben, dass bislang 23 Millionen Euro aus den Ländern beim Bund eingegangen seien. „Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass die Bundesländer den Bund endlich für die gelieferte PSA bezahlen oder zumindest umgehend nachvollziehbar darlegen, warum sie eine Erstattung ablehnen“, meint Karsten Klein. 

Und: „Wenn sich einzelne Bundesländer vor einer Kostenerstattung weiterhin vehement drücken sollten, muss die Bundesregierung in Erwägung ziehen, die Kosten anderweitig zu verrechnen.“

Sachsen, Hessen, Brandenburg zahlen, Bayern verhandelt

Eines der wenigen Länder, das seine PSA-Schulden beim Bund schon beglichen hat – oder den Teil der Schulden, auf den man sich geeinigt hat – ist Sachsen. 9 Millionen Euro, heißt es aus dem Sozialministerium in Dresden, betrage die Erstattungsaufforderung aus dem BMG, für PSA und Beatmungsgeräte. Man habe den Betrag beglichen, allerdings einen pauschalen Abschlag einbehalten für „nicht verwendbare Materialien“. Im hessischen Ministerium gibt man an, 3,2 Millionen Euro der geforderten 4,2 gezahlt zu haben – der Diffenzbetrag ergebe sich aus den gelieferten Beatmungsgeräten. 

Beim Brandenburger Gesundheitsministerium heißt es, man habe eine Rechnung über 15,5 Millionen Euro bekommen, 12 Millionen davon entfielen auf PSA – man bereite die Auszahlung gerade vor. Offenbar lief in Potsdam die Zusammenarbeit mit dem Bund recht reibungslos, nur in Einzelfällen habe man Ware retourniert oder nicht angenommen.

„Betroffen waren Produkte, die eine Verkehrsfähigkeit aufgrund von Ausnahmeregelungen im Zusammenhang mit der pandemischen Lage besaßen, jedoch die Voraussetzungen für ein Inverkehrbringen außerhalb der pandemischen Lage nicht erfüllten.“

In anderen Ländern gab es anscheinend weit mehr Qualitätsmängel. „Ein Teil der vom Bund erhaltenen PSA wurde seitens des Freistaats Bayern“, heißt es vom dortigen Gesundheitsministerium, „aufgrund von fehlenden, falschen oder unklaren Konformitätsangaben gesperrt und konnte nicht an die Bedarfsträger ausgegeben werden. Dieser Teil wurde an den Bund zurückgesendet.“ Derzeit befinde man sich mit dem Bund in „finalen Verhandlungen“ über das zu erstattende Geld. Man werde sich aber einigen, beteuert das Ministerium.

Auch aus Bremen wird berichtet, dass die Verhandlungen fast abgeschlossen seien, hier liege eine Rechnung von 5,5 Millionen Euro vor. Waren im Wert von 3 Millionen würden beim Bund allerdings noch reklamiert. Mit dem Stadtstaat Berlin einigte sich das BMG auf eine zu erstattende Summe von 8,7 Millionen Euro, bei einem tatsächlichen Warenwert von 10,4 Millionen Euro. 

EY mit Retoure beauftragt

In Baden-Württemberg ist man noch ganz am Anfang der Gespräche: Hier gibt es weder eine Einigung über die gelieferte Menge, und damit erst recht nicht über den zu zahlenden Gesamtpreis. „Im Rahmen der Anfang 2021 durchgeführten Nachprüfungen aller im Landeslager befindlichen Schutzmasken wurden auch bei vom Bund gelieferten Schutzmasken Normabweichungen festgestellt“, erklärt das Gesundheitsministerium in Stuttgart. „Über den Umgang mit diesen Masken wird ebenfalls mit dem Bund noch verhandelt.“ 

Rheinland-Pfalz erhielt laut dem Landesamt für Soziales eine Zahlungsaufforderung von 16 Millionen Euro – 6 Millionen habe man nun, „nach einem intensiven Austausch“, gezahlt. Strittig sei nichts mehr. „Es ist momentan lediglich die Frage offen, wie mit den nicht verkehrsfähigen Waren umzugehen ist.“ Dazu stehe man mit dem vom BMG beauftragten EY in Austausch. Man habe den „abzuholende Bestand an Schutzausrüstungsgütern mitgeteilt“, so das Landesamt. „Weiterhin wurde um Vereinbarung eines Abholtermins gebeten.“ 

Schleswig-Holstein hingegen hat die Pakete selbst losgeschickt. Die „als nicht verkehrsfähig beurteilten Medizinprodukte sowie PSA wurde an den Bund zurückgesendet“, so das Sozialministerium in Kiel. Über die zu zahlenden Beträge für die verwendbaren PSA werde noch verhandelt. Es gehe jetzt darum, „zunächst über Menge und Qualität der vom Bund an das Land SH gelieferten PSA ein gemeinsames Verständnis zu erzielen“. 

Über den größten offenen Posten indes berichtet das Bundesland von Kanzlerkandidat und Spahn-Parteifreund Armin Laschet. Hier habe der Bund eine Erstattungsaufforderung in Höhe von 100 Millionen Euro geschickt, erklärt Laschets Staatskanzlei auf Anfrage.

Ein Viertel des Geldes entfalle auf Beatmungsgeräte. Man habe zu Beginn der Pandemie – wie fast alle anderen Länder auch – selbst Schutzausrüstungen beschafft, und dies auch „nicht mit dem Bund abgestimmt“. Stand jetzt prüft NRW nach eigenen Angaben noch die Erstattungsforderung des Bundes, „daher können zum Verhandlungsstand und zu gegebenenfalls strittigen Beträgen noch keine genauen Angaben gemacht werden“.

Beatmungsgeräte werden „verwertet“

Während die PSA-Verhandlungen mit einem Großteil der Länder weit fortgeschritten oder bestenfalls auch abgeschlossen sind, steht bei anderen Produkten, zum Beispiel den Beatmungsgeräten, noch einige Arbeit bevor. Hierzu wurde vom BMG zusammen mit EY die VEBEG GmbH, eine bundeseigene Treuhandgesellschaft zur Verwertung von Bundeseigentum, beauftragt.

In einem Pilotprojekt sollen dabei zunächst maximal 810.000 Pulsoximeter verwertet werden. „Anschließend“, berichtete das BMG im März an den Haushaltsausschuss, „könnten Desinfektionsmittel, Maskenprüfgeräte und ggf. Beatmungsgeräte folgen“. Die Abwicklung finde „mittels eines Kommissionsgeschäfts statt“, Kunden müssten die Produkte im BMG-Lager abholen. „Neben den Pulsoximetern ist das BMG und EY als Betriebsführer in Gesprächen mit der VEBEG bzgl. der Verwertbarkeit eines Maskenprüfgeräts.“ Auch auf die hier erzielten Preise dürfte der Bundesrechnungshof in mittlerer Zukunft wohl etwas genauer schauen.

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