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Am alten Platz. Der balsamierte Leichnam von Wladimir Iljitsch Lenin im Mausoleum.

© dpa

Streit um Lenins Leichnam: Aufarbeitung auf Russisch

In Moskau gibt es Streit darüber, ob Lenins Leiche aus dem Mausoleum auf dem Roten Platz entfernt werden soll – der Kreml zögert. Mitglieder der Regierungspartei fordern eine "menschliche Bestattung", die Kommunisten gehen gegen die Umbettung auf die Barrikaden.

Das Mausoleum auf dem Roten Platz in Moskau gehört längst zum Weltkulturerbe. Unklar ließ die Unesco jedoch, ob der „Bewohner“ ebenfalls den Tatbestand eines schützenswerten Kulturguts erfüllt: Wladimir Iljitsch Lenin, der in dem roten Klinkerbau seit Januar 1924 aufgebahrt liegt. Ebendiese Definitionslücke hat Russlands Regierungspartei „Einiges Russland“ jetzt offenbar bewogen, erneut eine Diskussion anzufachen, über die das postkommunistische Russland seit dem Ende der Sowjetunion 1991 heillos zerstritten ist: Was tun mit der einbalsamierten Mumie des Revolutionsführers?

Lenins Leiche, sagt Waleri Medinski, der für „Einiges Russland“ in der Duma – Russlands Parlament – sitzt, müsse endlich „menschlich bestattet“ werden. Am besten in St. Petersburg, wie es angeblich schon Lenins Familie wollte. So jedenfalls steht es in einem Schreiben des Abgeordneten an Präsident Dmitri Medwedew, aus dem die Tageszeitung „Wedomosti“ zitierte. Am Freitag jährte sich Lenins Todestag zum 87. Mal.

Die Reigerungspartei weiß ausnahmsweise Bürgerrechtler und liberale Opposition hinter sich. Arseni Roginski, der Vorsitzende der Menschenrechtsbewegung „Memorial“, glaubt, ohne Lenins Entfernung vom Roten Platz – in Volkes Meinung das Herz Russlands – werde es keine Wende im „gesellschaftlichen Bewusstsein“ geben. Gemeint ist eine kritische Aufarbeitung der Vergangenheit, mit der sich die Herrscher des postkommunistischen Russlands nach wie vor extrem schwertun.

Zwar heißt Leningrad wieder St. Petersburg, das Umland jedoch nach wie vor Leningrader Gebiet und Simbirsk – Lenins Geburtsstadt an der Wolga – noch immer Uljanowsk. Auch in Moskau prangt Lenins Name nach wie vor in goldenen Lettern über dem Eingang aller Metrostationen. Auch eine der Hauptstraßen ist nach ihm benannt. Nur die Leninberge heißen inzwischen wieder Sperlingsberge.

Gegen die Tilgung von Lenins Namen gehen vor allem die Kommunisten auf die Barrikaden. KP-Chef Gennadi Sjuganow spricht von politischer Provokation und geißelte den neuen Umbettungsvorstoß als Grabschändung. Um sie zu verhindern, wollen die Genossen ab diesem Montag Unterschriften auf dem Roten Platz sammeln. „Einiges Russland“ dagegen lässt über die Umbettung bereits seit Freitag abstimmen – per Mausklick auf einem eigens dazu eingerichteten Portal mit dem Namen „Goodbye Lenin“. 70 Prozent, sagt ein Parteisprecher, hätten sich für eine Umbettung ausgesprochen.

Medwedew dagegen steht dem Vorhaben offenbar skeptisch gegenüber. So jedenfalls meldet die Nachrichtenagentur RIA Nowosti unter Berufung auf eine hochrangige Quelle in der Kremladministration. Auch Beobachter fürchten, Lenins Umbettung könnte die Gräben zwischen Verlierern und Gewinnern des Systemwechsels weiter vertiefen. Sie raten daher zu einer Politik der kleinen Schritte: Bevor Lenin das Mausoleum verlässt, sollten Politiker und Helden der Sowjetära, die bis 1980 an der Kremlmauer beigesetzt wurden, auf einem Soldatenfriedhof begraben werden. Er entsteht derzeit südöstlich von Moskau und soll 2012 geweiht werden.

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