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Umstrittene Kampagne des Bundesinnenminsteriums.

© BMI/Montage: Tsp

Streit um Plakataktion: Kampagne des Innenministeriums empört Muslime

Das Innenministerium will für die „Beratungsstelle Radikalisierung“ werben – die Aktion empört Muslime. Sie fühlen sich kriminalisiert.

Ahmad ist in Gefahr. Hassan und Fatima sind es womöglich auch. Gleiches gilt für Tim. Die drei jungen Migranten und der Deutsche werden vermisst. Von ihren Familien und Freunden. Aber nicht, weil sie spurlos verschwunden wären. Sondern weil Ahmad, Hassan, Fatima und Tim sich verändert haben, ihren Angehörigen fremd geworden sind. Denn sie werden immer radikaler. Und diejenigen, die ihnen nahestehen, fürchten, dass sie die Jugendlichen bald ganz verlieren könnten – an religiöse Fanatiker oder sogar Terrorgruppen.

Ahmad, Hassan, Fatima und Tim gibt es so nicht wirklich. Sie sind vielmehr Teil einer neuen Kampagne des Bundesinnenministeriums. Mit der Plakataktion soll vor den Gefahren des islamistischen Fundamentalismus gewarnt und gleichzeitig für eine „Beratungsstelle Radikalisierung“ geworben werden. Sie war im Januar im Rahmen der gemeinsam mit muslimischen Verbänden gestarteten „Initiative Sicherheitspartnerschaft“ eingerichtet worden.

Doch diese Kooperation haben die Türkisch-Islamische Union (DITIB), der Verband der Islamischen Kulturzentren, der Zentralrat der Muslime und die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland jetzt „auf Eis gelegt“, wie sie gemeinsam erklärten. Denn sie sind empört über die geplante „Vermisst“-Plakataktion. Der Zorn richtet sich nicht nur gegen den Inhalt der etwa 300 000 Euro teuren Initiative, beklagt wird in scharfem Ton auch die mangelnde Kommunikationsbereitschaft des Innenministeriums.

Einer der Vorwürfe lautet, die Behörde habe auf frühzeitig geäußerte Vorbehalte und Bedenken weder reagiert noch diese berücksichtigt. Von einer bedarfsgerechten, zielorientierten Kooperation auf Augenhöhe könne deshalb keine Rede sein, kritisieren die vier Verbände. Man fühle sich zum Statisten degradiert.

Auch die Form der Kampagne sei untragbar. Nicht nur fühle sich die Zielgruppe „zur Fahndung“ ausgeschrieben und damit kriminalisiert. „Vielmehr wird eine gesellschaftliche Paranoia heraufbeschworen, die geeignet ist, das gesellschaftliche Miteinander nachhaltig zu beeinträchtigen und Misstrauen bis in die Tiefen der Gesellschaft zu säen.“

Das sieht Ali Kizilkaya vom Islamrat ähnlich. Das Vorhaben fördere eine „Kultur des Misstrauens“, weil damit alle in Deutschland lebenden Muslime unter Beobachtung und Generalverdacht gestellt würden. Dies sei eines Rechtsstaats nicht würdig und „torpediere“ zudem die Integrationspolitik. Für Kizilkaya steht deshalb fest: Die Aktion muss umgehend gestoppt werden.

Kritik kommt auch von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Deren Leiterin, Christine Lüders, empfiehlt im Gespräch mit dem Tagesspiegel, die Kampagne auszusetzen. Es wäre ihrer Meinung nach fatal, wenn der Eindruck einer Stigmatisierung entstünde. „Ich hätte mir bei einem so grundlegenden Thema mehr Sensibilität gewünscht.“ Das Bundesinnenministerium sei eine Sicherheitspartnerschaft mit muslimischen Verbänden eingegangen und habe damit auch in ihrem Namen Plakate vorgestellt. „Da kann man erwarten, dass die Kampagne auch einvernehmlich abgesprochen wird“, sagt Lüders. Prinzipiell hält sie allerdings den Versuch, das Beratungstelefon bekannter zu machen, für „wichtig und richtig“. Lüders ruft deshalb alle Beteiligten auf, sich an einen Tisch zu setzen.

Im Innenministerium wundert man sich über die Aufregung und betont, dass die Anzeigen mit denjenigen abgestimmt worden seien, die als muslimische Vertreter der Initiative Sicherheitspartnerschaft angehören. Dieser Dialog solle weitergeführt werden. Auch inhaltlich wird die „Vermisst“-Kampagne verteidigt.

Der Vorwurf, man schüre Vorurteile gegenüber Muslimen und bediene Stereotypen, sei nicht nachvollziehbar. Schließlich habe man nicht ausschließlich Jugendliche mit Migrationshintergrund im Blick, sondern auch deutsche Konvertiten. Die mögliche Radikalisierung hält das Innenministerium nämlich für ein gesamtgesellschaftliches Problem. Gerade deshalb soll die beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg angesiedelte Beratungsstelle einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Die Behörde will folglich an der bundesweiten Aktion festhalten, trotz aller Kritik.

Es ist nicht das erste Mal, dass Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU bei hier lebenden Muslimen für Verdruss sorgt. Als fast schon legendär gilt sein Satz: „Dass aber der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt.“ Bei einer in seinem Haus entstandenen Studie zur Integration von Muslimen lief Anfang des Jahres ebenfalls einiges schief. Ein Teil der Ergebnisse war vorab in der „Bild“-Zeitung zu lesen – mit dem alarmistischen Tenor „Junge Muslime verweigern Integration“. Friedrich zeigte sich zunächst verwundert. Später stellte sich heraus: Das Ministerium hatte der Boulevard- Zeitung ein Exemplar zur Verfügung gestellt.

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