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Wesentliche Forderungen der Religionsgemeinschaften wurden von der australischen Regierung erfüllt.

© Uwe Zucchi/dpa

Streit um #ReligiousDiscriminationBill: Australiens Regierung will mehr Rechte für religiöse Hardliner

Abtreibung ist Mord, es gibt nur Männer und Frauen, Homosexualität ist heilbar: In Australien sollen Gläubige, die das behaupten, besser geschützt werden.

Im Deutschen ist der Begriff „religiöse Diskriminierung“ doppeldeutig. Er kann eine Diskriminierung religiöser Menschen bedeuten und eine Diskriminierung durch religiöse Menschen. In Australien tobt seit knapp einer Woche ein Kulturkampf, der beide Bedeutungen umfasst.

Der „Religious Discrimination Bill“, dessen zweite, überarbeitete Fassung am vergangenen Dienstag von der Regierung vorgelegt wurde, war gedacht, um gläubige Menschen vor Diskriminierungen zu schützen und ihnen ein weitreichendes Recht auf Meinungsfreiheit zuzugestehen. Dessen Kritiker indes stehen auf den Barrikaden und sprechen von einer „Lizenz zur Beleidigung, Herabsetzung, Einschüchterung und Diskriminierung“ diverser Menschen allein wegen ihrer Identität.

Im August 2018 trat Scott Morrison, der selbst einer konservativ-evangelikalen Kirche angehört, als Premierminister Australiens sein Amt an. Ein Jahr zuvor war die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare legalisiert worden. Im Wahlkampf hatte Morrison den Gegnern der Ehe für alle versprochen, ein Gesetz zum Schutz der Religionsfreiheit einzuführen. Dieses Versprechen will er nun halten.

Ein erster Entwurf erboste allerdings Ende November eine Reihe von Glaubensgemeinschaften, darunter die katholische Erzdiözese Sydney, die anglikanische Diözese Sydney, den Exekutivrat der australischen Juden, den Dachverband der Imame sowie die griechisch-orthodoxe Kirche. Ihnen ging das geplante Gesetz nicht weit genug. Daraufhin wurde der Text nach einigen „Konsultationsprozessen“ zwischen Regierung und Religionsgemeinschaften in wesentlichen Punkten verschärft.

Weder böswillig noch herabwürdigend

Der aktuelle Entwurf birgt Sprengstoff. Er gibt kirchlichen Wohlfahrtorganisationen sowie von kirchlichen Trägern betriebenen Einrichtungen wie Krankenhäusern oder Altersheimen das Recht, Bewerber der eigenen Religion bei der Einstellung zu bevorzugen.

Eine weitere Bestimmung betrifft das Recht von Mitarbeitern von Unternehmen und Organisationen, als Privatpersonen in der Öffentlichkeit Stellungnahmen auf Grundlage ihres Glaubens abzugeben. Für religiöse Äußerungen („statements of belief“) sollen sie künftig nur dann abgemahnt werden können, wenn ihr Arbeitgeber dadurch finanziell geschädigt wurde.

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Damit reagiert die Regierung auch auf die Kontroverse um den evangelikalen Rugbyspieler Israel Folau, der sich im Internet abfällig über Homosexuelle und andere gesellschaftliche Gruppen geäußert hatte, woraufhin ihm im Frühjahr der australische Rugby-Verband seinen millionenschweren Vertrag gekündigt hatte.

Die künftig umfassend geschützten „religiösen Äußerungen“ müssen, laut Gesetzentwurf, im „guten Glauben“ getroffen worden und weder böswillig noch herabwürdigend gemeint sein. Außerdem dürfen sie weder Hass gegen bestimmte Personen oder Gruppen schüren noch diesen rechtfertigen.

Auf Twitter trendet der Hashtag #ReligiousDiscriminationBill

Sofern aber diese Bedingungen erfüllt sind - das hat der „Guardian“ ausführlich recherchiert -, soll folgendes erlaubt sein: Ein Arzt darf einem transsexuellen Menschen sagen, sein Glaube lehre ihn, dass es nur Frauen und Männer gibt. Ein Lehrer darf einem behinderten Schüler sagen, dessen Behinderung sei eine durch Gott auferlegte Prüfung. Ein Manager darf einer Frau sagen, seinem Glauben zufolge habe sie ihrem Ehemann zu dienen.

Weitaus einschneidender noch sind die künftigen Befugnisse von Gläubigen im medizinischen Bereich. Dem Gesetzentwurf zufolge können sich religiöse Ärzte weigern, Verhütungsmittel zu verschreiben, die Pille danach zu verabreichen, Hormonbehandlungen für Geschlechtsangleichungen vorzunehmen oder sich an Schwangerschaftsabbrüchen zu beteiligen. Ein Psychiater kann einer Frau, die unter Depressionen leidet, empfehlen, „auf das Himmelreich“ zu vertrauen. Für die sogenannte Konversionstherapie, durch die Homosexuelle „umgepolt“ werden sollen, darf geworben werden.

Kein religiöser Mediziner – ob Arzt, Krankenschwester, Hebamme oder Apotheker -, soll zu Handlungen gezwungen werden dürfen, die seinem Glauben widersprechen. Das „Religionsgesetz“ steht daher im Konfliktfall über dem Verbot der Rassendiskriminierung, die in Australien seit 1975 unrechtmäßig ist.

Das öffentliche Leben wird sich dramatisch verändern

Kein Wunder, dass Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen und LGBTQ-Verbände (lesbian, gay, bisexual, transgender, queer) Sturm laufen gegen das geplante Gesetz. Auf Twitter trendet der Hashtag #ReligiousDiscriminationBill. Das Gesetz liefe dem Ziel eines inklusiven und toleranten Australiens zuwider, heißt es. Was als Gesetz gegen die Diskriminierung religiöser Menschen gedacht war, erlaube die massive Diskriminierung von Menschen, die ohnehin meist zu einer Minderheit gehörten.

Australien hat keine Verfassung, in der das Recht auf Rede- und Meinungsfreiheit festgeschrieben ist. Entsprechend heftig wird darum gerungen. Im Oktober waren knapp zwanzig Zeitungen mit geschwärzten Titelseiten erschienen, um gegen eine „wachsende Kultur der Geheimhaltung“ der Regierung zu protestieren. Die Rechte von Journalisten würden eingeschränkt, die Online-Überwachung australischer Staatsbürger ausgeweitet. Vor einem Jahr war ein Gesetz verabschiedet worden, demzufolge Softwareanbieter, Messaging-Dienstleister und Gerätehersteller von Geheimdiensten und Polizei gezwungen werden können, ihnen Zugang zu verschlüsselten Mitteilungen verdächtiger Personen zu verschaffen.

Durch das „Gesetz gegen religiöse Diskriminierung“ werde sich das öffentliche Leben Australiens dramatisch verändern, schreibt der „Guardian“. Es werde weitreichende Auswirkungen haben auf Gesundheitsversorgung, Schule und Bildung, soziale Medien, Seniorenbetreuung. Premier Morrison jedenfalls scheint fest entschlossen, sein Bündnis mit den Religionsgemeinschaften nicht nachträglich wieder zu lockern. Der Kulturkampf wird spätestens im Februar, wenn sich das Parlament mit dem Gesetzentwurf befasst, in seine siedend heiße Phase eintreten.

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