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Alexander Gauland, Fraktionsvorsitzender der AfD, gab Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag im Bundestag Kontra.

© Michael Kappeler/dpa

Streit über Teil-Lockdown: Die Rede vom Rechtsbruch bedient einen falschen Mythos

Es steckt viel Rhetorik in der Diskussion um die Pandemiepolitik. Sie vertuscht, dass der Weg der Regierung trotz Defiziten demokratisch ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Die Spitzen der Exekutive haben dem öffentlichen Leben der Bundesrepublik eine Pause verordnet, die umfassend sein wird. Alles, was Freizeit vergnüglich macht, muss schließen. Kontaktverbote sollen verhindern, dass Menschen sich treffen. Immerhin, man darf sich die Haare schneiden lassen.

Nach dem Lockdown im Frühjahr tritt das Land in die zweite harte Phase der Virusbekämpfung ein, die absehbar nicht mehr so ängstlich und ergriffen durchgestanden werden dürfte wie die erste. An den Konflikten der vergangenen Monate haben sich die Sinne geschärft, mit denen aus der Pandemie Politik gemacht und damit Einfluss gewonnen werden kann. Ein vielstimmiger Expertenchor hat das Drosten-Monopol ersetzt, die Ärzteschaft zeigt sich geteilt. Die Opposition im Parlament hat ein Thema gefunden, das den Widerstand auf der Straße und in den sozialen Medien längst dominiert: Die da oben schreiben uns ein Leben vor, das weiter unten immer weniger wollen.

Es liegt in der Medienlogik, den Blick auf Konflikte zu lenken

Es liegt in der Eigentümlichkeit massenmedialer Logik, den Blick auf solche Zerwürfnisse zu lenken und die Konflikte dadurch zu verschärfen. Aber geben sie wieder, was die Menschen bewegt? Alle haben eigene Wahrheiten und eigene Empfindungen, und zugleich ist doch niemand frei von Stimmungen, die andere erzeugen. Mit dem Verlauf der Infektionskurven ändern sie sich fast täglich; Corona beschleunigt, Corona macht Druck.

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Umso wichtiger wird es, sich nicht treiben zu lassen. Egal, in welche Richtung. Natürlich haben die aktuellen Beschlüsse Skepsis verdient, ob sie in dieser pauschalen Form nötig sind und ob die Rechtsverordnungen, die sie nach sich ziehen werden, ausreichend differenzieren. Schließlich dürfte ein hygienekonformer Hotelbetrieb auf Dauer weniger ansteckend bleiben als die heiße Clubnacht.

Das Vergehen verdient Skepsis, aber auch die Kritik daran

Aber womöglich größere Skepsis verdient die Kritik an den Beschlüssen, die, wie hier zu Lande oft, betont legalistische Formen annimmt. Viel wird geredet vom Ausnahmezustand und fehlenden Rechtsgrundlagen, ja vom Versagen des Bundestags und einem Defizit an Demokratie.

Richtig daran ist, dass es im Infektionsschutzgesetz an Vorschriften mangelt, die derart weitreichende Eingriffe gesichert rechtfertigen können. Die Exekutive hat sich allzu pauschal ermächtigen lassen. Statt dies nachzuholen in gepflegter Debatte, wie es eines demokratischen Umgangs mit der Opposition würdig gewesen wäre, begab man sich in einen nur scheinbar unbeschwerten Sommer. Ein Fehler, denn dieser Mangel fördert nun den Mythos, wonach sich die Pandemiepolitik als Serie von Grundrechtsbrüchen ereignet. Ähnlich geschah es in der Geflüchtetenkrise, die nach fehlgehender, aber verbreiteter Ansicht eine „Herrschaft des Unrechts“ etabliert haben soll.

Manchen geht es nur um politischen Profit

Es ist viel Rhetorik im Spiel, die dazu verführen kann, etwa einen verwaltungsgerichtlichen Entscheid zu einem Beherbergungsverbot als Artikulation eines widerständigen Volkswillens aufzufassen. Aber das ist er nicht. Das umsichtige Vorgehen in Bund und Ländern, das vorrangig mit drohender Überlastung der Krankenstationen kalkuliert, wird offenkundig von einer breiten Mehrheit getragen, einschließlich jener im Parlament, die bislang darauf verzichtet hat, der Regierung in den Arm zu fallen. Dass die Demokratie derzeit Schaden nimmt oder Grundrechte mit Füßen getreten werden, bleibt eine Behauptung jener, die sich davon politischen Profit versprechen.

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