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Zwei Auslöser für einen Feuerschutzvorhang im Fluggastterminal des Hauptstadtflughafens Berlin Brandenburg Willy Brandt (BER).

© dpa/Patrick Pleul

Streit und Chaos am Hauptstadtflughafen: Kampf um die Lufthoheit am BER

Flughafenchef und Politik streiten wieder. Die Pläne für den BER wackeln weiter. Wer hat die Macht über das Großprojekt? Ein Überblick.

Chaostage am BER: Flughafenchef Karsten Mühlenfeld droht die Ablösung. Im jüngsten Zerwürfnis wollen das Land Berlin unter dem Regierenden und Aufsichtsratsvorsitzenden Michael Müller (SPD) und der Bund den Manager offenbar loswerden, der seit 2015 die Flughafengesellschaft (FBB) lenkt, die beiden Bundesländern der Hauptstadtregion und dem Bund gemeinsam gehört. Dass es eng für Mühlenfeld werden kann, liegt nicht an der für 2017 gerade abgesagten BER-Eröffnung. Die Spannungen zwischen Flughafenchef und Politik wurden durch Mühlenfeld ausgelöst, weil er Technikchef Jörg Marks entlassen und stattdessen den früheren Bahnmanager Christoph Bretschneider über einen Beratervertrag als neuen BER-Projektverantwortlichen installiert hat.

Was wird Mühlenfeld vorgeworfen?

Sein Stil, sein Vorgehen. Er hat alle verprellt und gegen sich aufgebracht, weil der Flughafenchef den Wechsel in der Bauleitung gegen das ausdrückliche Votum der Eigner und Arbeitnehmer durchzog. Auf einer Krisensitzung im Roten Rathaus bei Müller am vergangenen Dienstag und im Präsidialausschuss des Aufsichtsrates am Mittwoch war Mühlenfeld von allen gewarnt worden. Er entließ Marks trotzdem. Der Konflikt eskalierte nach seinem Tagesspiegel-Interview weiter, das im Rathaus als Affront aufgefasst wurde. Die Technikchef-Personalie selbst fällt zwar nicht in Zuständigkeit des Aufsichtsrates, sondern gehört zum operativen Geschäft, das Mühlenfeld verantwortet. Berlin prüft aber, ob er mit dem Beratervertrag für Bretschneider, der für einen – nicht unüblichen – Tagessatz von 1700 Euro den Airport fertigstellen soll, gegen das formale Geschäftsführer-Regelwerk verstoßen hat. Davon wird es maßgeblich abhängen, ob er bleibt. Einig sind sich alle Seiten, dass es eine Konsequenz geben muss.

Wie setzt sich der Aufsichtsrat zusammen, der über eine Ablösung entscheiden würde?

Das vom Berliner Regierenden Müller geführte Kontrollgremium, das die Flughafengesellschaft überwacht, ist Anfang 2017 gerade von 15 auf 20 Mitglieder erweitert worden. Grund dafür ist, dass die Flughafengesellschaft mit dem rasanten Passagierwachstum in Tegel und Schönefeld inzwischen mehr als 2000 Mitarbeiter beschäftigt – ab dieser Grenze gilt die paritätische Mitbestimmung. Die Arbeitnehmer haben im Aufsichtsrat nun zehn Mandate, vorher waren es fünf. Die anderen zehn Mandate verteilen sich auf jeweils vier für Brandenburg und Berlin als Haupteigner. Zwei Mandate, wahrgenommen durch Bundesverkehrsstaatssekretär Rainer Bomba (CDU) und Bundesfinanzstaatssekretär Werner Gatzer, hat der Bund.

Gäbe es eine Mehrheit für Mühlenfelds Rauswurf?

Das ist unklar. Und das ist wohl auch ein Grund, weshalb bis Sonntag formal noch keine Sondersitzung des Aufsichtsrates einberufen wurde. Einladen müsste dazu Michael Müller als Aufsichtsratsvorsitzender. Nach dem Bund ist aber auch das Land Berlin inzwischen dafür, Mühlenfeld abzulösen – Brandenburg ist eher dagegen. Die Berliner Koalition selbst dürfte, wenn es hart auf hart kommt, Einigkeit zeigen – und zwar durch die Senatoren Klaus Lederer (Linke) und Dirk Behrend (Grüne), die neben Müller und Flughafenkoordinator Engelbert Lütke Daldrup für Berlin im Aufsichtsrat sind. Mit dem Bund gemeinsam hättem sie sechs Stimmen gegen Mühlenfeld.

Brandenburg mit seinen vier Vertretern würde Mühlenfeld nicht fallenlassen, obwohl auch dort sein Vorgehen um die Ablösung von Marks sehr kritisch gesehen wird. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hatte 2015 den früheren Manager des Rolls-Royce– Werkes in Dahlewitz geholt und als Geschäftsführer durchgesetzt. Der Bund war schon damals gegen Mühlenfeld.

Brandenburgs Flughafenkoordinator Rainer Bretschneider (SPD) versuchte am Sonntag, Wogen zu glätten und mahnte beide Seiten zur Besonnenheit: „Ich plädiere dafür, dass man kühlen Kopf bewahrt“, sagte er dem Tagesspiegel. Gerade bei diesem „schwierigen Projekt“ mit seiner Geschichte „brauche man miteinander einen sachlichen Umgang“. Er sei „ für eine sachliche Aufarbeitung der aktuellen und strategischen Probleme“, so Bretschneider. „Von einer hektischen medialen Kontroverse halte ich nichts.“ Indirekt kann auch das als Kritik an Mühlenfeld verstanden werden, unnötigen Zorn in Berlin provoziert zu haben. So oder so: Ein Versuch, Mühlenfeld abzulösen, hätte nur eine Chance, wenn auch die Arbeitnehmerseite mitzieht oder sich zumindest weitgehend enthält – von ihr hängt also die Entscheidung ab.

Wie bewerten die Arbeitnehmer die Turbulenzen?

Sie sehen, dem Vernehmen nach, Mühlenfelds Agieren einerseits als „unterirdisch“ an. Im Präsidialausschuss hatten auch die Arbeitnehmer gewarnt, Marks zu entlassen. In politische Auseinandersetzungen um den BER, die es seit der geplatzten Eröffnung 2012 häufiger gab, haben sie sich bislang aber nie hineinziehen lassen. Interesse der Arbeitnehmerbank dürfte eher sein, eine einvernehmliche Lösung mit den Anteilseignern zu finden, bei der auch die Folgen für das BER–Projekt genau abgewogen werden.

Wer könnten mögliche Nachfolger für Mühlenfeld sein?

Im Gespräch sind bisher Bundesverkehrsstaatssekretär Rainer Bomba (CDU) und Berlins Flughafenkoordinator Engelbert Lütke Daldrup (SPD). Mit beiden würden Politiker das Milliardenprojekt übernehmen, dessen Kollaps nach dem Abschlussbericht des Berliner BER-Untersuchungsausschusses und einer Tiefenprüfung des Brandenburger Rechnungshofes auch auf Versäumnisse der Politik zurückging.

Bomba, im Aufsichtsrat lange dabei und selbst Ingenieur, werden schon lange Ambitionen auf den Geschäftsführerposten nachgesagt. Und aktuell ist offen, was aus ihm nach der Bundestagswahl im Herbst 2017 wird. Er gilt als gut vernetzt, hat eine Lobby bei den Arbeitnehmern. Dass eine rot-rot-grüne Berliner Regierung unter Müller und das rot-rot regierte Brandenburg unter Woidke das wichtigste Projekt der Hauptstadtregion einem Staatssekretär der Bundesregierung mit CDU-Parteibuch übergeben, ist allerdings nicht vorstellbar.

Auch Berlins Flughafenkoordinator Engelbert Lütke Daldrup (SPD) würde sich den Job sicher zutrauen. Er hat seit der Berliner Regierungsbildung an Einfluss verloren, war vorher auch zuständiger Staatssekretär für Wohnen, kümmert sich seitdem „nur“ um den BER. Allerdings ist Lütke-Daldrup in Brandenburg, aber auch im Aufsichtsrat nicht unumstritten. Würde er Flughafenchef, geriete der Senatschef Müller bei Problemen und Verschiebungen der Eröffnung direkt unter Druck. Auch ein Manager von Außen wäre schwierig zu vermitteln – und zu finden: Nach den aktuellen Turbulenzen dürfte sich erst Recht so leicht niemand um den Schleudersitz reißen.

Ist Streit zwischen Management und Aufsichtsrat am BER ungewöhnlich?

Der neue Airport mit drei staatlichen Gesellschaftern, bei denen jeweils unterschiedliche Koalitionen regieren, ist schon immer ein hochpolitisches Projekt gewesen. Zwischen dem Management und dem politisch dominierten Aufsichtsrat gab es seit 2012 regelmäßig Spannungen – ähnlich wie jetzt. So verwahrte sich Flughafenchef Hartmut Mehdorn mehrfach gegen Versuche der Politik, sich ins operative Geschäft einzumischen. Im Aufsichtsrat ließ er 2014 einmal sogar den Anwalt und SAP–Aufsichtsrat Prof. Dr. Wilhelm Haarmann von der Kanzler Linklaters LLP in Frankfurt am Main auftreten, um die Aufsichtsräte zu belehren, was sie dürfen und was sie zu lassen haben – eine „Blutgrätsche“ gegen den Aufsichtsrat sei das gewesen, hieß es damals.

Auch unter Berlins Regierendem Michael Müller (SPD) gab es schon Versuche, Mühlenfeld an die kurze Leine zu nehmen. So hatte Müller den Vertrauten Daniel Abbou als Flughafensprecher installiert, ehe der dann nach einem offenherzigen Interview („Glauben Sie mir, kein Politiker, kein Flughafendirektor und kein Mensch, der nicht medikamentenabhängig ist, gibt Ihnen feste Garantien für diesen Flughafen.“) gefeuert wurde.

Was wusste Berlin?

Im Tagesspiegel-Interview hat Mühlenfeld erklärt, dass nach einem Nachfolger für Technikchef Jörg Marks „schon seit ein paar Wochen gesucht“ worden sei. „Und das war mindestens dem Anteilseigner Berlin bekannt.“ Dem hat Senatssprecherin Claudia Sünder widersprochen. Bislang steht dazu Aussage gegen Aussage. Mühlenfeld soll aber gegenüber den Flughafenkoordinatoren Berlins und Brandenburgs zumindest geäußert haben, dass er sich Absagen geholt habe.

Wie sieht es auf der Baustelle aus?

Dramatisch. Seit Anfang 2016 sind auf der Baustelle unter Marks alle Termine nicht gehalten worden. Damit hat Mühlenfeld seine Personalentscheidung begründet: Er könne sonst nicht bis Frühjahr den vom Aufsichtsrat geforderten Zeitplan vorlegen.

Nach Tagesspiegel-Recherchen ist nicht einmal ausgeschlossen, dass der BER erst 2019 starten kann. Bis März werden erst einmal die Pläne erwartet, um danach zwei Kilometer Rohre der Sprinkleranlage auszutauschen. Außerdem müssen rund 800 Automatiktüren richtig angeschlossen und in die komplizierten Computersysteme im Terminal einreguliert werden. Bevor der Bau nicht fertig ist, will und kann Mühlenfeld aber keinen verlässlichen Eröffnungstermin nennen. Aktuell ist das geplante Bauende, noch von Marks, im internen Zeitplan auf den 30. Juni 2017 kalkuliert, mit einem Puffer bis September. Solange reicht nach der bisherigen Kalkulation auch das Geld, nachdem gerade die jüngste 2,2-Milliarden–Spritze frei gemacht wurde. Die Kosten steigen damit auf 6,5 Milliarden Euro.

Mühlenfeld selbst hat eingeräumt, wie wacklig das alles ist: „So, und wie soll ich das halten mit einer Bauleitung, die in den letzten Monaten jeden Termin gerissen hat? Wie soll ich der Bauleitung einen neuen Termin glauben? Die Erfahrung aus der Vergangenheit hat mir gezeigt: Auch dieser Termin wird wieder rutschen. Für mich war deshalb am Ende klar: Ich muss Veränderungen an der Bauleitung vornehmen. Wir müssen Termine auf der BER-Baustelle endlich halten.“ Mit diesen Aussagen zum Rausschmiss von Marks hat Mühlenfeld den Maßstab formuliert, an dem er selbst gemessen werden könnte, wenn es auf der Baustelle weiter schiefgehen sollte. Würde er jetzt abgelöst, würden sich die Blicke auf den Aufsichtsratsvorsitzenden richten: Berlins Regierender Michael Müller (SPD).

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