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Russlands Präsident Wladimir Putin warf der Nato am Mittwoch Aggressivität vor.

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Update

Streit zwischen Nato und Russland: Putin droht mit Aufrüstung - Merkel auch

Russlands Präsident fühlt sich von der Nato bedroht und kündigt mehr Ausgaben für die Armee an. Auch die deutsche Kanzlerin will mehr in Rüstung investieren.

Von Michael Schmidt

Vor dem Hintergrund zunehmender Spannungen zwischen Russland und dem Westen hat der russische Präsident Wladimir Putin der Nato Aggressivität vorgeworfen. In einer Rede zum 75. Jahrestag des Überfalls von Nazi-Deutschland auf die Sowjetunion sagte Putin am Mittwoch vor den Abgeordneten der Duma in Moskau, die westliche Militärallianz sei nicht bereit, ein gemeinschaftliches Sicherheitssystem aufzubauen. „Im Gegenteil, die Nato verstärkt ihre aggressive Rhetorik und ihre aggressiven Handlungen in der Nähe unserer Grenzen.“ Russland dagegen habe wiederholt seine Bereitschaft zum Dialog gezeigt. Unter den gegebenen Umständen allerdings sei man „verpflichtet, der Stärkung der Kampfbereitschaft unseres Landes besondere Aufmerksamkeit zu schenken“. Russland sei daher gezwungen, seine Militärkapazitäten zu erhöhen.

Der russische Staatschef äußerte sich zum Wehrmachtsangriff 1941

Der russische Staatschef äußerte sich zum Wehrmachtsangriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 und zog Parallelen zur Geschichte, um die heutige Lage zu beschreiben. Der Westen weise Angebote aus Moskau zum gemeinsamen Kampf gegen den „internationalen Terrorismus“ zurück – so wie er einst die Warnungen der Sowjetunion vor Adolf Hitler ignoriert habe. Nun werde versucht, Russland wegen der Ukraine-Krise zu isolieren.

Putin wollte am Grabmal des unbekannten Soldaten einen Kranz niederlegen. Auch Bundespräsident Gauck erinnerte an den Überfall und gedachte der Toten. „Kein Land hat im Zweiten Weltkrieg so große Opfer gebracht wie die Sowjetunion: Fast 27 Millionen Menschen verloren ihr Leben.“ Zugleich nutzte der Bundespräsident den Jahrestag zur Mahnung. „Frieden ist nicht selbstverständlich.“ Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen befinden sich seit der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Frühjahr 2014 auf einem neuen Tiefstand. Weil die baltischen Staaten und Polen eine weitere russische Expansion fürchten, rüstet die Nato an ihren Ostgrenzen auf. Das westliche Bündnis plant, beim Nato-Gipfel Anfang Juli eine Stärkung seiner Ostflanke zu beschließen und vier Bataillone in den Baltenstaaten zu stationieren. Russland sieht darin eine Bedrohung.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach sich unterdessen dafür aus, die deutschen Militärausgaben massiv zu erhöhen. Nach den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen bekannte sie sich am Mittwoch ausdrücklich zu dem Nato- Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Angesichts neuer Bedrohungen könne dieses Ziel „auf mittlere und längere Sicht nicht nur auf dem Papier stehen“, sagte die CDU-Chefin.

SPD lehnt höhere Rüstungsausgaben ab

Die SPD lehnte die Forderung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach deutlich höheren deutschen Rüstungsausgaben umgehend ab. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner sagte am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur: „Verteidigungsministerin von der Leyen und die Kanzlerin gehen in die falsche Richtung. Wir brauchen kein Nato-Säbelrasseln, sondern eine neue Initiative für eine Friedens- und Entspannungspolitik.“ Statt zusätzliche Milliarden in eine Aufrüstung der Bundeswehr zu stecken, sollte das Geld lieber für Bildung und Integration verwendet werden, meinte Stegner.

Die Nato hatte sich bei ihrem Gipfel in Wales im September 2014 zum Ziel gesetzt, die Verteidigungsausgaben jedes einzelnen Mitgliedsstaats in den nächsten zehn Jahren auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Deutschland liegt derzeit bei 1,2 Prozent. Die Bundesregierung will den Verteidigungsetat nach jetzigem Planungsstand bis 2020 von derzeit 34,3 auf 39,2 Milliarden Euro aufstocken. Um das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen, müsste sie aber mehr als 60 Milliarden Euro für Verteidigung ausgeben.

Erst im Oktober war Gabriel zu Putin nach Moskau gereist.
Erst im Oktober war Gabriel zu Putin nach Moskau gereist.

© dpa

Mit Blick auf das Großmanöver „Anakonda“ in Polen hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) gewarnt, „durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen“. Mit „symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze der Nato“ dürften keine Vorwände für eine Konfrontation geliefert werden. Beim Koalitionspartner löste Steinmeier damit heftige Kritik aus: Er habe das Ansehen Deutschlands beschädigt, hieß es. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel stellte sich hinter Steinmeier. Die Militärübung, an der 31.000 Soldaten aus 24 Nato-Staaten teilnahmen, war auf einen möglichen verdeckten Angriff wie bei der russischen Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim im Frühjahr 2014 ausgerichtet.

SPD-Chef Gabriel kündigte einen Besuch in Moskau an. Der Plan sei aber „noch nicht finalisiert“, sagte eine Ministeriumssprecherin. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel lässt offen, ob er Anfang kommender Woche nach Moskau reist und dort Putin trifft. "Ich kann eine Reise von Bundeswirtschaftsminister Gabriel nach Russland derzeit nicht bestätigen", sagte eine Sprecherin am Mittwoch. Gabriel plane zwar seit längerem einen Besuch bei Putin. "Aber diese Pläne sind derzeit noch nicht finalisiert", sagte die Sprecherin.

Gabriel hatte sich hinter Äußerungen von Steinmeier gestellt. Steinmeiers Äußerungen waren in der Union heftig kritisiert worden und auch innerhalb der Nato-Staaten, vor allem in Osteuropa, auf Irritationen gestoßen. Das westliche Bündnis plant, beim Nato-Gipfel Anfang Juli eine Stärkung ihrer Ostflanke zu beschließen.

Russland sieht darin eine Bedrohung. Putin hält angesichts der erhöhten Nato-Aktivitäten eine Stärkung der Abwehrbereitschaft der Streitkräfte für nötig. Er sehe keine Bereitschaft zu gemeinsamen Lösungen von Sicherheitsfragen, sagte Putin am Mittwoch im Parlament in Moskau. „Im Gegenteil, die Nato intensiviert ihre aggressive Rhetorik und ihre aggressiven Handlungen in der Nähe unserer Grenzen“, betonte er in einer Kreml-Mitteilung. Russland müsse sich darauf einstellen. Er ging nicht weiter ins Detail.

Russland wäre schneller als die Nato

Nach Auffassung des Befehlshabers der US-Landstreitkräfte in Europa, General Ben Hodges, ist die Nato aber gar nicht in der Lage, die baltischen Staaten vor einem möglichen Angriff der russischen Streitkräfte zu schützen. "Russland könnte die baltischen Staaten schneller erobern, als wir dort wären, um sie zu verteidigen", sagt Hodges der Wochenzeitung "Die Zeit". Der General stimmte der Einschätzung von Militärexperten zu, wonach russische Truppen innerhalb von 36 bis 60 Stunden die baltischen Hauptstädte erobert haben könnten.

Hodges berichtete zudem von zahlreichen Mängeln, die Nato-Truppen aus 22 Ländern während des Großmanöver "Anakonda" in Polen bei ihrer Zusammenarbeit festgestellt hätten. Dazu zähle, dass schweres Gerät nicht schnell genug von West- nach Osteuropa verlegt werden könnte. Große Sorgen mache ihm auch die Kommunikationstechnik innerhalb des Bündnisses, sagte Hodges. "Weder Funk noch E-Mail sind sicher. Ich gehe davon aus, dass alles, was ich von meinem Blackberry aus schreibe, mitgelesen wird." (Reuters, dpa, AFP)

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