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Von wegen super: E10-Kraftstoff ist immer noch recht unpopulär. Foto: pa/dpa

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Politik: Streitfall Biosprit

Den Osteuropäern kann es gar nicht genug Agrartreibstoff sein. Aber Entwicklungsorganisationen sorgen sich um die Regenwälder.

Brüssel - Michael Hansmann, der eine große Weltkarte in seinem Büro hängen hat, zeigt auf Südamerika. „In der Pampa, der traditionellen Kornkammer Argentiniens, wird jetzt Soja angebaut“, erzählt der Mitarbeiter des Brüsseler Büros von Brot für die Welt und der Diakonie-Katastrophenhilfe. Ackerflächen würden umgewidmet, Regenwälder abgeholzt. Sein Finger wandert nach oben: „Und ganz Paraguay“, sagt Hansmann, „ist vollgepackt mit Gensoja.“ Es dient vor allem dem Export Richtung Nordhalbkugel – als Futtermittel oder als Biokraftstoff.

Was einst als Beitrag zum Klimaschutz gedacht war, entwickelt sich zum Bumerang. Großgrundbesitzer in Europa und im Rest der Welt hörten die Signale wohl, als die Europäer 2009 per Gesetz das Ziel ausgaben, bis 2020 zehn Prozent des Energiebedarfs im Verkehrssektor aus erneuerbaren Quellen zu decken. Die Botschaft war klar: Dem Biokraftstoff gehört die Zukunft. An negative Begleiterscheinungen dachte keiner. Doch die Indizien, dass vermehrt für das Weltklima wichtige Wälder gerodet, Sümpfe entwässert und in Ackerflächen umgewandelt werden, mehren sich. Nach Informationen der Weltagrarorganisation FAO dienen nur noch 47 Prozent der Weltgetreideproduktion – Weizen, Reis, Mais – der Ernährung.

Im Oktober 2012 zog die EU-Kommission die Notbremse. Der Gesetzesvorschlag des für Energie zuständigen Kommissars Günther Oettinger sah vor, den Anteil von Biosprit aus Nahrungsmitteln auf fünf Prozent zu begrenzen. Zudem sollten Hersteller eine höhere Kohlendioxidersparnis im Vergleich zu Benzin aus Erdöl garantieren und einen sogenannten Iluc-Faktor in ihre Berechnungen miteinbeziehen. Das Kürzel steht für indirekte Landnutzungsänderungen, wenn also Lebensmittelproduktion auf zuvor nicht bewirtschaftete Flächen ausweicht.

Im Gegensatz zu den Ministern hat sich das Europaparlament im September positioniert und eine Begrenzung auf sechs Prozent Biosprit vorgeschlagen. Die Bundesregierung hatte zunächst Oettinger unterstützt, dann aber den litauischen Kompromiss akzeptiert. Vor allem osteuropäische EU-Staaten, deren Landwirtschaft stark von der staatlich geförderten Biospritproduktion abhängig ist, wollten den Vorschlag ganz verhindern. Das Argument, wonach der Biospritanteil am Gesamtverbrauch erhalten werde, zog nicht. Die getätigten Investitionen sind, nicht nur in Osteuropa, auf höhere Kapazitäten ausgelegt. In Deutschland könnte – gemessen am Potenzial heimischer Rohstoffe – nach Angaben der Bundesregierung doppelt so viel Biodiesel hergestellt werden.

Die Stiftung Wissenschaft und Politik kritisiert dagegen, dass es für die Einfuhr von Biosprit schärfere Klimakriterien geben soll als für Erdöl aus der Tiefsee oder Teersanden. Auch über eine Regulierung dieser Einfuhren ist in der Europäischen Union diskutiert worden – bisher ebenfalls ohne Ergebnis.

Vermutlich wird das Thema jetzt auf die lange Bank geschoben. Denn im Mai sind Europawahlen, und dass das Thema vorher noch einmal aufgerufen werden wird, ist eher unwahrscheinlich. Jedenfalls hat Griechenland, das zum Jahreswechsel die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, eindeutig andere Prioritäten, als eine neue Kompromisslinie für den Anteil von Biosprit am Gesamttreibstoffverbrauch zu finden.

Wie hoch der Einfluss der Agrartreibstoffproduktion auf die Entwaldung und die Umstellung von der Nahrungsmittelproduktion ist, ist innerhalb der Interessengruppen so umstritten wie unter den EU-Regierungen. Die Biokraftstoffindustrie argumentiert, dass für bereits existierende Agrarspritanteile im Benzin keine Landnutzungsänderungen mehr eingerechnet werden müssten; die hätten lange vorher stattgefunden. Außerdem habe der Futtermittelanbau größere Wirkung, werde aber nicht reguliert. Umweltschützer sehen auch im Inland Probleme, weil Grünland und Moorflächen umbrochen werden. Christopher Ziedler

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