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Auf der Suche nach Blindgängern. In Laos sind mehr Streubomben abgeworfen worden als irgendwo sonst. Bis heute sind die Bauern stark gefährdet.

© dpa

Streumunition: "Ich hatte die Bombe nicht bemerkt"

Eine Bäuerin in Laos ist eines von 75 000 Opfern von Streumunition. Dort geht es derzeit um ein weltweites Verbot der Waffen.

Hunderte Delegierte aus mehr als 100 Staaten drängen in die Nationale Kulturhalle in der laotischen Hauptstadt Vientiane. Junge Laoten in traditionellen Kostümen begrüßen die Delegierten vor dem riesigen Gebäude im Stadtzentrum. Es ist der Auftakt zur größten internationalen Konferenz, die es in dem Land je gegeben hat. Bis Donnerstag findet das erste Treffen der Vertragsstaaten statt, die ein Abkommen für ein Verbot von Streumunition unterzeichnet haben. Die Streumunitionskonvention, ist am 1. August dieses Jahres in Form eines völkerrechtlichen Vertrages in Kraft getreten. In den meisten Staaten der Welt sind damit die Herstellung, Lagerung, Weitergabe und der Einsatz von Streumunition verboten. Doch einige der größten waffenproduzierenden Staaten der Welt weigern sich, dem Abkommen beizutreten. Unter ihnen sind die USA, China, Russland, Israel, Indien, Pakistan und Brasilien.

François De Keermaeker, Geschäftsführer der Organisation Handicap International Deutschland sagt: „Grundsätzlich ist das Problem, dass bei der Verwendung der Waffe sehr viele kleine Sprengkörper verteilt werden, die beim Aufprall nicht immer explodieren. Diese nicht explodierten kleinen Sprengkörper lauern dann jahrelang weiter in Ländern, die schon längst wieder in Frieden leben. Die Gefahr durch diese Blindgänger bleibt für viele Jahrzehnte bestehen. Es ähnelt der Gefahr, die von Landminen ausgeht.“ Am deutlichsten sind diese Folgen in Laos zu sehen. Während des Vietnamkrieges haben die USA geschätzt 270 Millionen Einheiten Streumunition vor allem über dem Osten und Süden des Landes abgeworfen. Mindestens 80 Millionen sind nicht explodiert. Ein Fünftel des Landes ist mit Blindgängern verseucht und kann nur sehr eingeschränkt für die Landwirtschaft genutzt werden – ein Grund für die große Armut, in der die Menschen leben.

Laos ist das wohl am stärksten bombardierte Land der Welt: In der Hochphase des Krieges haben B-52-Bomber der Firma Boeing alle acht Minuten eine komplette Bombenladung über Laos abgeworfen. Nahezu jeder dieser Bombenteppiche hat besiedeltes Gebiet getroffen. Dabei haben die USA über Laos mehr Bomben abgeworfen als während des gesamten Zweiten Weltkrieges verwendet worden sind.

Eines der geschätzt 7500 Opfer dieser Blindgänger ist die Bäuerin Chantawa Potbouli. Die Frau aus der Provinz Savannakhet im Süden des Landes ist relativ klein und trägt ein traditionelles rotes Kleid. Sie wurde bei einem Unfall im Jahr 1993 schwer verletzt. „Ich habe im Reisfeld gegraben. Beim ersten Mal, als ich mit dem Spaten in die Erde gestochen habe, ist nichts passiert. Ich hatte die Bombe nicht bemerkt. Beim zweiten Mal ist sie explodiert. Ich wusste im ersten Moment gar nicht, was geschehen ist“, sagt Chantawa Potbouli. Ihre Kinder brachten sie in ein nahe gelegenes Krankenhaus. Doch obwohl sie die hohen Behandlungskosten aufbrachten, konnten die Ärzte das stark verletzte rechte Bein der Frau nicht retten. Es musste amputiert werden. „Alle Leute in unserem Dorf wissen, dass es viele Bomben gibt. Aber die Leute müssen in die Wälder und auf die Felder gehen, um Reis anzubauen und nach Essen zu suchen. Wir haben keine andere Wahl. Viele Kinder sehen die Submunition. Sie wissen nicht, was das ist, werfen die kleinen Stahlkugeln, und die explodieren dann.“ Die Vereinten Nationen schätzen, dass 98 Prozent der Opfer von Streumunition Zivilisten sind, ein Viertel davon Kinder.

Mit dem Ende des Vietnamkrieges hat der Einsatz dieser Waffen jedoch nicht geendet. Die USA haben sie erneut im Kosovokrieg, in Afghanistan und im Irak verwendet. Israel hat während des Libanonfeldzuges im Jahr 2006 geschätzt vier Millionen Stück Submunition aus Streubomben über dem Südlibanon abgeworfen. Der UN-Nothilfe-Koordinator, der Norweger Jan Egeland, sagte, Israel habe 90 Prozent der eingesetzten Streubomben in den letzten 72 Stunden vor Inkrafttreten des Waffenstillstands abgeworfen. Ein hochrangiger israelischer Regierungssprecher gab im Oktober 2006 zu, dass Israel detaillierte Karten mit den Abwurforten besitze, sie aber aus strategischen Gründen zurückhalte. In den Monaten nach dem Ende des Krieges starben im Südlibanon durch Blindgänger 22 Kinder.

Trotz der Folgen für die Zivilbevölkerung möchten einige Staaten weiter Streumunition verwenden. „Offiziell ist die Begründung, dass Streitkräfte nicht darauf verzichten wollen eine Waffe zu haben, mit der sie größere Flächen abdecken können“, sagt Michael Brzoska, der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg. „Zum Beispiel, um Rollbahnen von Flughäfen zu zerstören.“ Daneben gebe es Überlegungen, die Waffen auch im Infanteriekrieg einzusetzen. „Es gibt bei den Staaten und den Streitkräften starke Interessen, auf diese Waffen nicht zu verzichten.“ Auch Finnland und einige osteuropäische Staaten, die schon das Abkommen zur Ächtung von Landminen nicht unterzeichnet haben, möchten in Zukunft weiterhin Streumunition einsetzen.

Zumindest hat sich bei einigen Staaten die Überzeugung durchgesetzt, dass der Einsatz konventioneller Streumunition aufgrund der katastrophalen Folgen für Unbeteiligte auf Dauer nicht mehr zu rechtfertigen ist. 2008 hat das Pentagon angeordnet, dass von 2018 an 99 Prozent der Sprengsätze einer Streubombe beim Aufschlag explodieren oder sich nachträglich selbst zerstören müssen. Die Argumentation Washingtons lautet, dass das Problem mit den Blindgängern weitgehend beseitigt wäre, wenn alle Staaten die neue Hightech-Streumunition verwenden würden. Militärexperte Brzsoka gibt aber zu Bedenken: „Diese Streumunition ist deutlich teurer als was in den letzten Jahren beschafft worden ist. Und gerade ärmere Länder würden dann wahrscheinlich diese teure Munition nicht kaufen wollen.“ Dann stelle sich die Frage, ob die angepriesene technische Zuverlässigkeit tatsächlich erreicht werde. „Das wird zwar immer wieder behauptet, aber in Tests sind diese hohen Raten eigentlich nicht zuverlässig erreicht worden.“

Dass es überhaupt zu einem Verbot in vielen Länden kommen konnte, ist vor allem das Verdienst der „Cluster Munition Coalition“. 2003 haben sich in Den Haag 85 zivilgesellschaftliche Gruppen zu dem Aktionsbündnis zusammengetan und sich für ein Verbot von Streumunition eingesetzt. Die Regierung von Norwegen setzte sich an die Spitze von 25 Staaten, die ein Verbot dieser Waffen forderten. Belgien und Österreich beschlossen noch vor Ende der Verhandlungen als erste Staaten ein Verbot dieses Waffentyps. Im Dezember 2008 unterzeichneten in Oslo 94 Staaten das Abkommen zur Ächtung.

„Die Konferenz in Laos soll die Länder, die unterschrieben und ratifiziert haben, dazu bewegen sich ernsthaft um die Umsetzung kümmern“, sagt Francois de Keermaeker von Handicap International. Militärexperte Brzoska glaubt, dass ein weltweites Verbot schwer durchzusetzen sein wird, ist aber zuversichtlich: „Die Zahl der Staaten, die auf Streumunition bestehen, wird kleiner werden.“ Denn das Verbot habe nicht nur eine direkte Wirkung auf die Unterzeichnerstaaten, sondern auch eine moralische Dimension: „Insgesamt ist der Einsatz dieser Waffen in Kriegen nicht mehr so leicht zu legitimieren.“

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