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Politik: Ströbele und die Stasi: Nicht amüsiert

Es geht um viel: um Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechte, um Stasi-Akten und RAF, um politische Vergangenheit und Zukunft. Heute verhandelt das Berliner Landgericht einen Antrag des Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele auf einstweilige Verfügung gegen die "Welt am Sonntag", weil sie aus Stasi-Akten Ströbeles zitiert hatte.

Es geht um viel: um Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechte, um Stasi-Akten und RAF, um politische Vergangenheit und Zukunft. Heute verhandelt das Berliner Landgericht einen Antrag des Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele auf einstweilige Verfügung gegen die "Welt am Sonntag", weil sie aus Stasi-Akten Ströbeles zitiert hatte. Die Entscheidung platzt genau in die Debatte um Stasi-Westarbeit und ihre Aufklärung. Pikant: Mit Ströbele geht ein Politiker gegen Veröffentlichungen aus seinen Akten vor, der sich für eine großzügige Handhabe mit der DDR-Hinterlassenschaft ausgesprochen hat. Im Zuge der CDU-Spendenaffäre schloss er nicht aus, Stasi-Dossiers im Untersuchungsausschuss zu verwenden.

Doch vor dem Landgericht geht es auch um banale Dinge. Etwa um die Frage, wer in der Silvesternacht 1973/74 betrunken war und wer nicht. Hans-Christian Ströbele, damals RAF-Anwalt, rollte in dieser Nacht gegen 2 Uhr 30 mit seinem VW Käfer auf den Grenzübergang Invalidenstraße zu. Er kam gerade von einer Party aus dem Osten Berlins und wollte wieder nach Hause. Doch der Grenzer am Schlagbaum war außer sich, schließlich hätte der Besucher vor Mitternacht ausreisen müssen. Es gab einen Wortwechsel - vielleicht heftig, vielleicht nicht. Und es gibt ein Stasi-Protokoll dieser Begegnung, das der Grenzer anfertigte.

Ein Vierteljahrhundert später taucht das Dokument wieder auf - und bringt Ströbele in Schwierigkeiten. Denn der Grenzoffizier hatte notiert, Ströbele habe die Meinung geäußert, "dass jede bürgerliche Regierung, auch die der Bundesrepublik, nur durch eine Revolution beseitigt werden kann". In dem Dokument, das dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es weiter: "Dabei sei jedes Mittel recht, auch solche Terrorhandlungen wie Banküberfälle mit Geiselnahme und politischen Forderungen." Ströbele belasten diese Aussagen im aktuellen Streit um die demokratische Gesinnung der 68er. Er bestreitet sie. Gleichwohl fragte die "Welt am Sonntag" in Anspielung auf Außenminister Joschka Fischer, der beinahe über seine Vergangenheit gestolpert wäre: "Ist Ströbele der Nächste?"

In der Ströbele-Akte findet sich noch mehr: Kontakte mit dem Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul, den die Zeitung als "SED-Juristen" bezeichnet, der aus Ströbeles Sicht aber "kein DDR-Offizieller" war. Oder ein Brief aus Ströbeles Gemeinschaftskanzlei, in dem Auftritte der Bundesanwaltschaft in West-Berlin als "offene Verletzung des Vier-Mächte-Abkommens" ausgelegt werden - frei nach sowjetischer Lesart.

Ströbele ist nicht amüsiert. "Die Presse muss verpflichtet werden, fair mit Stasi-Akten umzugehen", sagte er dem Tagesspiegel, "Betroffene müssen gehört werden." Nun bemüht Ströbele die Justiz, um Darstellungen aus dem Stasi-Protokoll des Grenzers zu verhindern. Eine Gegendarstellung hat sein Anwalt Johannes Eisenberg bereits durchgesetzt. Ströbele trägt den Streit auch auf die politische Ebene. Die grüne Bundestagsfraktion will den Presserat einschalten. Dieser soll Journalisten eine Empfehlung aussprechen, Betroffene über Recherchen in Stasi-Akten zu informieren. "Nicht nur die Gauck-Behörde muss verantwortlich mit dem Material umgehen, sondern auch die Presse", fordert der innenpolitische Sprecher der Grünen, Cem Özdemir.

Auch die Akten-Behörde Marianne Birthlers sieht dem Gerichtstermin mit Spannung entgegen. Denn der Beschluss tangiert die neue Richtlinie, mit der Birthler ihren Streit mit Innenminister Otto Schily (SPD) und Altkanzler Helmut Kohl (CDU) um die Stasi-Protokolle entschärfen will. Ströbele war der erste, den die Behörde entsprechend der neuen Praxis von journalistischen Recherchen informiert hatte. Er wusste also, dass jemand seine Akte liest - er wusste nur nicht wer. Rückfragen der Journalisten bei ihm habe es nicht gegeben. "Wenn die Presse sich nicht fair verhält, würde ich eine gesetzliche Regelung befürworten", sagt er jetzt. Gerade neue Gesetze zur Herausgabe von Prominenten-Akten will Birthler jedoch verhindern - schließlich klagt auch Kohl gegen die Veröffentlichung von Stasi-Abhörprotokollen.

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