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Stromerzeugung: Wind des Wandels

In Deutschland wollen nun alle raus aus der Atomkraft. Die Strategie ist umstritten. Welche Wege zeichnen sich ab?

Genau einen Monat nach Ausrufung des Moratoriums zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag mit den Ministerpräsidenten zu einem Energiegipfel getroffen. Bei aller grundsätzlichen Einigkeit darüber, dass der Atomausstieg beschleunigt werden soll, gibt es in der Politik tatsächlich nur wenig Einigkeit darüber, wohin die Energiewende eigentlich führen soll. Das lässt sich an den Positionen von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) und dem Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD), deutlich ablesen.

Die Brüderle-Position

Rainer Brüderle will eine Energiewende, durch die sich nichts ändert. Am Freitag sagte Brüderle, auch im Energiekonzept des vergangenen Herbstes sei die „Kernenergie als Brückentechnologie verstanden“ worden. Er bekannte sich zu dem Ziel, den Strom bis 2050 zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien zu erzeugen. Allerdings sprach er vor allem über den Ausbau von „Ersatzkraftwerken“ auf der Basis von Kohle oder Gas, um die „Versorgungssicherheit“ zu gewährleisten, denn „erneuerbare Energien sind nicht gundlastfähig“. Damit meint er, dass Wind- oder Sonnenstrom nicht zu jeder Stunde des Jahres in der gleichen Menge verfügbar sind.

Die bisherige zentralistische Stromversorgung basiert darauf, dass viele Großkraftwerke – Atomreaktoren oder Kohlemeiler – die Grundlast liefern, also ständig dieselbe Menge Strom ins Netz einspeisen. Für Spitzenlasten, also beispielsweise mittags, wenn überall gekocht und gearbeitet wird, springen zusätzlich Kraftwerke an, die nur dafür vorgehalten werden, solche Lastspitzen abzufangen. Seit mehr und mehr erneuerbare Energien im Netz sind, ist dieses System infrage gestellt. Energiefachleute halten Grundlastkraftwerke auf Dauer nicht mehr für nötig. Stattdessen müssten flexible Kraftwerke dann einspringen, wenn tatsächlich einmal nicht genügend erneuerbare Energien zur Verfügung stehen, um den Bedarf zu decken. Das könnten Gaskraftwerke sein, Kohle- und Atomkraftwerke sind für eine solche Fahrweise nicht flexibel genug – und in ihrer Wirtschaftlichkeit problematisch.

Zu Brüderles Strategie, möglichst wenig zu ändern, passt auch seine Ankündigung, die Dena-Netzstudie als Basis für die Netzplanung nutzen zu wollen. Darin werden 3600 Kilometer neuer Höchstspannungsleitungen bis 2020 gefordert, die allerdings nur dann notwendig wären, wenn es weiterhin ein zentralistisches Stromversorgungssystem gäbe und erneuerbare Energien allenfalls als Zusatzenergie für den Export gesehen würde. Ein Umstieg auf die erneuerbaren Energien würde ganz andere Netzstrukturen erfordern. So könnten beispielsweise Regionen ohne große Stromverbraucher, also überwiegend Haushaltskunden, vollständig mit erneuerbaren Energien versorgt werden. Dieser Strom müsste nicht mit Höchstspannungsleitungen transportiert werden, sagt beispielsweise der CSU-Umweltexperte Josef Göppel.

Die Sellering-Position

Erwin Sellering vertrat beim Energiegipfel die Position der SPD. Im Energiekonzept der Sozialdemokraten nehmen Kohlekraftwerke die Rolle einer „Brückentechnologie“ ein. Die SPD fordert die Modernisierung und den Neubau von Kohlekraftwerken, weil die Parteispitze mit Blick auf die Industriekunden offenbar nicht daran glaubt, dass die erneuerbaren Energien schnell genug ausgebaut werden können. Sellering warb vor allem für einen Ausbau der Offshore-Windenergie, aus Sicht der SPD die einzige Möglichkeit, auch Industriekunden mit ausreichend preiswertem Strom zu versorgen. Da der Offshore-Strom produziert wird, wo er nicht gebraucht wird, etwa im menschenleeren Mecklenburg-Vorpommern, warb Sellering für einen schnellen Bau einer Stromtrasse von Nord nach Süd.

Die Röttgen-Position

Norbert Röttgen weiß, dass ein Umstieg auf die erneuerbaren Energien nur möglich ist, wenn auch das Stromversorgungssystem grundlegend verändert wird. Er sagt es aber vorsichtshalber nicht, sondern nennt allenfalls die dafür notwendigen Stichworte. Als Erstes verweist er auf die Energieeffizienz. Allerdings führte er über eine Erhöhung des Gebäudesanierungsprogramms hinaus nicht aus, wie er den Energieverbrauch senken will. Zudem sprach er über den Ausbau der Windenergie an Land und auf See. Er will Länder und Kommunen auf gemeinsame Grundsätze für die Planung und Genehmigung verpflichten. Zudem sprach Röttgen davon, dass Erzeuger von erneuerbarem Strom zu Marktteilnehmern werden müssten. Das Angebot soll der Nachfrage angepasst werden. Bei hohem Windaufkommen ohne Nachfrage soll Strom gespeichert werden. Eine Möglichkeit wäre eine chemische Umwandlung in Erdgas; im Erdgasnetz ließe er sich speichern und bei hoher Nachfrage ohne Angebot in einem Gaskraftwerk wieder zu Strom machen. Nur in diesem Zusammenhang stellte Röttgen die „Systemfrage“. Und um allen Ängsten vor Veränderung zuvorzukommen, sagte Angela Merkel: „Wir haben heute nichts Schlimmes vereinbart.“ Das ändert aber nichts daran, dass ein Stromnetz, das Großkraftwerken dient, für die Versorgung mit erneuerbaren Energien nicht taugt.

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