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 Unsicherer Weg: Jedem fünften Neurentner droht in Zukunft Altersarmut.

© Armin Weigel/dpa

Studie der Bertelsmann-Stiftung: Altersarmut wird merklich zunehmen

Betroffen sind vor allem alleinstehende Frauen, Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose. Die aktuell diskutierten Reformmaßnahmen reichen nicht aus, so die Autoren der Studie.

Armut im Alter wird in den nächsten 20 Jahren zunehmen. Das ist das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann-Stiftung, die am Montag veröffentlicht wurde. Betroffen sind vor allem alleinstehende Frauen, Langzeitarbeitslose und Menschen mit geringen beruflichen Qualifikationen. Besonders hoch wird der Anstieg außerdem in Ostdeutschland ausfallen. Doch die aktuell diskutierten Rentenreformen – etwa die von der SPD geforderte Stabilisierung des gesetzlichen Rentenniveaus – können den Trend steigender Altersarmut nicht umkehren, schreiben die Autoren.

In ihrer Studie nehmen sie vor allem die geburtenstarke Generation der Babyboomer in den Blick, die ab dem kommenden Jahrzehnt in Rente gehen wird. Bis zum Jahr 2036 werde jeder fünfte Neurentner von Armut bedroht sein, heißt es. 2015 waren es noch 16 Prozent – das entspricht einem Plus von 25 Prozent. Laut einer in der EU verbreiteten Definition gilt als armutsgefährdet, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung zur Verfügung hat. 2015 lag die Schwelle bei einem Nettoeinkommen von 958 Euro im Monat.

Betrachtet man die Zahl der Grundsicherungsempfänger, ergibt sich ein ähnliches Bild: Sieben Prozent der Neurentner werden laut der Studie bis 2036 auf staatliche Transfers angewiesen sein, um ihre Existenz sichern zu können. 2015 waren es 5,4 Prozent, das entspricht einem Anstieg um mehr als 25 Prozent. Die Zahlen kommen durch Simulationsrechnungen zustande, welche Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) vorgenommen haben.

Für den Anstieg der Altersarmut machen die Forscher zwei Gründe verantwortlich. Mit den Rentenreformen der Jahrtausendwende verständigten die Parteien sich darauf, die Belastungen zwischen der jüngeren und der älteren Generation neu aufzuteilen. Während der Anstieg der Rentenbeiträge für die Arbeitnehmer begrenzt wurde, sollte das Rentenniveau langfristig durch die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors sinken. So sollte die Rentenversicherung auch in Zeiten bezahlbar bleiben, in denen wegen der gesunkenen Geburtenzahlen immer weniger Jüngere mehr Alte finanzieren müssen. Unter dem Strich führten diese Reformen dazu, dass auf lange Sicht die Löhne stärker steigen als die gesetzlichen Rentenbezüge. Um diese Einbußen auszugleichen, sollten die Bürger stärker privat vorsorgen.

Besonders hoch wird der Anstieg in Ostdeutschland ausfallen

Doch ob jemand im Alter von Armut bedroht ist, hängt nicht nur von der Rentenformel ab, sondern auch vom vorherigen Arbeitsleben. Ein wachsender Niedriglohnsektor, mehr unterbrochene Erwerbsbiografien, lange Zeiten von Arbeitslosigkeit – alles das sind Entwicklungen, die zu steigender Altersarmut führen. Besonders deutlich wird das bei einem Blick auf verschiedene Personengruppen. So steigt der Anteil der Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, in Ostdeutschland besonders stark, von derzeit fünf auf elf Prozent bis 2036. Ebenso sieht es aus, wenn man die Zahlen zur Armutsgefährdung betrachtet. Laut den Prognosen ist künftig jeder dritte Neurentner im Osten (36 Prozent) von Armut bedroht, mehr als doppelt so viele wie im Westen (knapp 17 Prozent). Das liegt daran, dass nach der Wende viele Arbeitnehmer im Osten länger arbeitslos waren und entsprechend niedrigere Ansprüche erwarben.

Schaut man auf die Geschlechter, so wird Altersarmut vor allem Frauen treffen. Mehr als jede vierte alleinstehende Neurentnerin (28 Prozent) könnte bis 2036 auf Grundsicherung angewiesen sein, heißt es in der Studie. Ihr Risiko ist damit viermal so hoch wie der Durchschnittswert der Bevölkerung mit sieben Prozent. Vergleichsweise hoch fallen die Quoten auch bei Langzeitarbeitslosen (22 Prozent), Migranten (14 Prozent) und Personen mit geringer Qualifikation (14 Prozent) aus.

Für ihre Studie haben die Wissenschaftler auch untersucht, welchen Effekt die aktuell diskutierten Rentenreformen auf das Armutsrisiko haben könnten. So fordert die SPD in ihrem Wahlprogramm, das gesetzliche Rentenniveau bis 2030 auf dem heutigen Wert von 48 Prozent zu stabilisieren. Im vergangenen Herbst hatte Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) vorgeschlagen, bis 2045 ein Niveau von 46 Prozent anzupeilen. Das Armutsrisiko würde sich dadurch jedoch nicht spürbar reduzieren lassen, heißt es in der Untersuchung. Die Armutsquote würde künftig mit 19 Prozent nur knapp unter dem bisher prognostizierten Wert von 20 Prozent liegen.

Ein stabilisiertes Rentenniveau hilft Geringverdienern später nicht

Entsprechend skeptisch äußern sich die Wissenschaftler vom DIW und vom ZEW. Eine solche Maßnahme ziele „nicht speziell auf Haushalte an der Armutsschwelle oder der Grundsicherungsschwelle“, schreiben sie. „Von dieser Reform profitieren alle Haushalte und insbesondere Personen, die hohe Rentenanwartschaften haben.“ Diese seien aber in der Regel nicht von Altersarmut bedroht. Kritisch äußert sich auch der Experte der Bertelsmann-Stiftung, Christof Schiller: Eine Stabilisierung des Rentenniveaus helfe den „Risikogruppen nicht weiter, die schon während ihrer Berufsjahre nur schlecht von ihrem Gehalt leben können“, sagt er.

Auch mit der Einführung einer Solidarrente, wie etwa die SPD sie fordert, würde sich das Armutsrisiko nur in begrenztem Umfang senken lassen. Wer mindestens 35 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, aber im Alter keine auskömmliche Rente erhält, soll nach dem Willen der Sozialdemokraten einen Zuschlag erhalten, sodass er zehn Prozent über dem Grundsicherungsniveau landet. Für die wenigen Personen, welche die Voraussetzungen für den Leistungsbezug erfüllten, werde sich die Altersarmut reduzieren, heißt es in der Studie. Im Durchschnitt zeige sich jedoch „kein starker Effekt“. Allerdings hatte die SPD ihre Solidarrente auch nicht primär mit dem Ziel der Armutsbekämpfung begründet, sondern damit, dass die „Lebensleistung“ von Menschen, die gearbeitet und Kinder erzogen hätten, belohnt werden müsse.

Wer das Armutsrisiko für künftige Rentnergenerationen senken wolle, müsse die Risikogruppen, die veränderten Erwerbsbiografien und die Situation an den Kapitalmärkten in den Blick nehmen, lautet das Fazit der Bertelsmann- Stiftung. Denn auch das zeigen die Simulationsberechnungen der Forscher: Würde die Nullzinsphase bis zum Jahr 2036 andauern, so würde auch das die Altersarmut erhöhen.

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