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Ernährung

© Joker

Studie: Kochen am Krisenherd

Arbeitslosengeld reicht nicht für gesunde Kinderernährung, heißt es in einer Studie – wie die Experten rechnen, was sie raten und was sie fordern.

Berlin - Das ALG II reicht nicht aus, um Kinder und Jugendliche ausgewogen zu ernähren. Das ist das Ergebnis einer Studie des Forschungsinstituts für Kinderernährung (FKE) der Universität Bonn, die jüngst veröffentlicht wurde und im Rahmen der Debatte über „Fünf Jahre Hartz IV“ Aufsehen erregte. Wie kommt das Institut zu diesem Schluss?

Der Gesetzgeber veranschlagt für Nahrung und Getränke bei 14- bis 18-Jährigen 3,42 Euro pro Tag. Selbst wer nur beim Discounter kauft, muss jedoch im Schnitt 4,68 Euro täglich bezahlen, um den Appetit eines Teenagers mit ausgewogener Kost zu stillen, schreiben die Autorinnen der Studie, Mathilde Kersting und Kerstin Clausen.

Zur Sicherung des Lebensunterhaltes steht Empfängern von ALG II ein Betrag von 347 Euro pro Monat zur Verfügung. Für Kinder gibt es pauschal 60 Prozent dieses Regelsatzes, für Jugendliche 80 Prozent. „Rund ein Drittel dieser Summe veranschlagt der Gesetzgeber für Nahrung, Getränke und Tabakwaren“, erklärt Kersting, stellvertretende Leiterin des FKE. Das seien 2,57 Euro täglich für Kinder und 3,42 Euro für Jugendliche ab 14 Jahren. Zusätzliche Kosten für das Mittagessen in Ganztagseinrichtungen wie Schulen verschärften das Problem: Bei den derzeitigen Regelleistungen des ALG II reiche der gesamte Tagessatz für Ernährung gerade eben aus, um die Teilnahme von Kindern an der warmen Mittagsmahlzeit in der Schule zu ermöglichen, sagt Mathilde Kersting. Eine ausgewogene Ernährung lasse sich damit aber „nicht realisieren“. Was versteht Kersting unter „ausgewogener Ernährung“ – und was kostet die?

OPTIMIX – DIE STUDIE

Bei der „Optimierten Mischkost“, kurz Optimix, handelt es sich um ein vom FKE entwickeltes Konzept, das eine gesunde Ernährung für Kinder und Jugendliche zu vergleichsweise günstigen Preisen gewährleisten soll. Die FKE-Forscher erhoben 2004 in Dortmund die Preise von mehr als 80 Lebensmitteln, die für die gesunde Ernährung benötigt werden. Die Testkäufe erfolgten in Supermärkten der Ketten Rewe und Edeka, bei den Discountern Aldi und Lidl sowie in einem Bioladen. Für jedes Lebensmittel wurde der höchste und der niedrigste ausgewiesene Preis notiert. Aus dem Maximum- und Minimum-Preis wurde der Durchschnittspreis pro Lebensmittel und pro Einkaufsstätte gebildet.

Anhand dieser Daten berechneten die Wissenschaftler, nach Altersgruppen gestaffelt und aus 7-Tage-Speiseplänen abgeleitet, die Kosten für eine ausgewogene Ernährung. Ergebnis der Dortmunder Erhebung: „Für vier- bis sechsjährige Kinder reichen die veranschlagten 2,57 Euro gerade aus – allerdings auch nur, wenn die Lebensmittel beim Discounter gekauft werden“, sagt Mathilde Kersting. „Wer in normalen Supermärkten zugreift, kommt mit dem Geld nicht hin: Dort muss man durchschnittlich 3,86 Euro hinblättern.“ Mit zunehmendem Alter klaffe die finanzielle Lücke noch weiter auseinander: So verzehrt ein Fünfzehnjähriger, der sich ausgewogen ernähren möchte, im Schnitt Lebensmittel im Wert von 4,68 Euro täglich, wenn er im Discounter einkauft, beziehungsweise im Wert von 7,44 Euro, wenn die Waren aus dem Supermarkt stammen.

WAS KOSTET WO WIE VIEL?

Grundsätzlich gilt: Beim Einkauf im Discountladen sind die Kosten durchschnittlich mit 1,67 Euro/1000 Kilokalorien am geringsten und haben die kleinste Spanne. Im Supermarkt sind sie um etwa 60 Prozent höher und weisen die größte Spanne auf. Wer bevorzugt im Bioladen einkauft, zahlt mehr als dreimal so viel wie im Discounter und etwa 80 Prozent mehr als im Supermarkt. Pflanzliche Lebensmittel sind mit 60 Prozent der größte Kostenfaktor, vor allem wegen hoher Obst- und Gemüsepreise. Tierische Lebensmittel tragen zu etwa 20 Prozent zu den Kosten bei. Die empfohlenen energiefreien oder energiearmen Getränke wie Leitungs- und Mineralwasser, Kräuter- oder Früchtetee oder Saft-Schorle sind mit weniger als zehn Prozent der Kosten von geringem Einfluss, Ähnliches gilt für Süßigkeiten.

ERNÄHRUNGSEMPFEHLUNGEN

Das FKE-Konzept Optimix sieht für Kinder und Jugendliche insgesamt fünf Mahlzeiten am Tag vor: zwei kalte Hauptmahlzeiten, zwei Zwischenmahlzeiten und eine warme Mahlzeit. Das spezielle Lebensmittel- und Nährstoffprofil der warmen Mahlzeit könne durch kalte Mahlzeiten nicht kompensiert werden. Es spiele dabei keine Rolle, ob die warme Mahlzeit mittags oder abends eingenommen wird.

Optimix bevorzugt herkömmliche nährstoffreiche Lebensmittel, auch aus Kostengründen. Auf „Bio“-Produkte könne verzichtet werden, da sie ernährungsphysiologisch keine nennenswerten Vorteile gegenüber konventionell erzeugten Lebensmitteln böten 15, 16]. Die Verwendung von Convenienceprodukten wie Tiefkühl-Fertiggerichten sei möglich, aber in der Studie nicht berücksichtigt worden. Nährstoffangereicherte Produkte, Multivitaminsäfte, Cerealien oder spezielle „Kinderlebensmittel“ würden nicht benötigt.

DREI GRUNDREGELN

Das A und O von Optimix sind drei Grundregeln: Reichlich Getränke, möglichst kalorienarm und pflanzliche Lebensmittel wie Gemüse, Obst, Getreideerzeugnisse, Kartoffeln; mäßiger Verbrauch tierischer Lebensmittel wie Milch, Milchprodukte, Fleisch, Wurst, Eier, Fisch; und sparsamer Umgang mit fett- und zuckerreichen Lebensmitteln wie Süßigkeiten und Knabberkram.

DER MODELL-SPEISEPLAN

Ausgehend von den drei Grundregeln sieht der FKE-Speiseplan für Vier- bis Sechsjährige mit einem durchschnittlichen Energiebedarf von 1450 kcal/Tag bei Kosten von – siehe oben – 2,57 Euro im Discounter bis zu 3,86 Euro im Supermarkt, folgende Mengen vor:

Reichlich:

- 800 Milliliter Getränke

- 200 Gramm Gemüse

- 200 Gramm Obst

- 170 Gramm Brot und Getreide

- 180 Gramm Kartoffeln

Mäßig:

- 350 Milliliter Milch

- 40 Gramm Wurst

- 2 Eier auf die Woche verteilt

- 50 Gramm Fisch pro Woche

Sparsam:

- 25 Gramm Öl, Margarine, Butter

- 150 kcal Süßes, Limo, Knabberkram.

Bei 15- bis 18-Jährigen verdoppeln sich die Mengen ungefähr – und kosten entsprechend in etwa das Doppelte.

SCHLUSSFOLGERUNG

„Die Möglichkeiten, sich gesund zu ernähren, sollten allen Familien in gleicher Weise offenstehen, unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund“, schreiben Kersting und Clausen. Und schließen mit der Forderung: „Wenn politische Willenserklärungen ernst gemeint sind, wonach Kinder unsere Zukunft sind, und Kampagnen mit dem Slogan ‚Besser essen mehr bewegen‘ allen Kindern und Jugendlichen zugutekommen sollen, dann müssten die derzeitigen Ansätze des Arbeitslosengeldes II für Kinder und Jugendliche hinsichtlich der Ernährung neu durchdacht werden.“

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