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Studie zu Armut: Kinderreich bedeutet nicht gleich arm

Deutsche Paare mit Nachwuchs und Rentner steigen auf: Das zeigt eine Studie des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft. Arm in Deutschland sind dagegen Migranten und Alleinerziehende. Ihre Situation hat sich am deutlichsten verschlechtert.

Nein, bestreiten will Meinhard Miegel weder die zunehmende Spreizung der Gesellschaft in Arm und Reich noch den rasanten Schwund der mittleren Einkommensschicht. Seit 1996 habe die Zahl mittlerer Einkommensbezieher tatsächlich um 5,5 Millionen ab- und die der Einkommensschwachen um knappe 4,1 Millionen zugenommen, bestätigt der Chef des wirtschaftsnahen Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft (IWG) in Bonn. Miegel will nur endlich „Ross und Reiter“ nennen, wie er sagt. Und er will, dass man sich danach auch mal von „grundfalschen Annahmen“ verabschiede.

Zum Beispiel von der, dass Kinder generell ein Armutsrisiko darstellen und größere Familien besonders abstiegsgefährdet sind. Zumindest bei deutschstämmigen Paaren mit Kindern sei das Gegenteil der Fall, sagt Miegel. In einer Studie weisen er und seine Mitarbeiter nach, dass diese Gruppe zusammen mit den über 64-Jährigen vielmehr für den Zuwachs der Einkommensstarken verantwortlich sind – wobei einkommenstark ein Monats-Nettoeinkommen von mehr als 2344 Euro und einkommensschwach Bezüge unter 1094 Euro bedeutet. Von den 2,1 Millionen Aufsteigern stellten die Senioren eine Million und deutschstämmige Familien mit Kindern 1,1 Millionen. Der Trend zeigt sich auch bei deutschstämmigen Kindern: 440.000 stiegen zu den Reichen auf und nur 130.000 zu den Armen ab.

Dass es immer mehr Einkommensschwache gibt, hat laut Miegel ganz andere Ursachen. Die erste und wichtigste: der wachsende Anteil von Migranten, die nicht wirklich integriert sind. Der zweite Grund liege in der steigenden Zahl von Alleinerziehenden. Paare, die sich trennen, müssten wissen, dass sie „mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent im Armenbereich landen“, sagt Miegel.

Insgesamt hat sich die deutschstämmige Bevölkerung laut Studie seit 1996 um 2,8 Millionen verringert. Im Gegenzug stieg die Zahl der Migranten um 3,5 Millionen. Von 100 Hinzugekommenen gehörten aber 83 zu den Einkommensschwachen. Von denen mit Kindern sogar gut 95 Prozent. Und die Kluft vertieft sich: Seit 1986 stieg der Anteil einkommensschwacher Migranten von 28 auf 44 Prozent. Bei den Deutschstämmigen blieb er bei etwas mehr als 19 Prozent.

Das Problem sei also vorrangig kein sozialökonomisches, sondern „ein sozio-demografisches“. Was für den Professor bedeutet: Forcierte Konjunkturpolitik, Mindestlöhne oder höhere Sozialtransfers helfen herzlich wenig. Um weiteres Auseinanderdriften zu begrenzen, brauche es ein umfassendes bevölkerungspolitisches Konzept, konsequente Integration, verstärkte Bildungsanstrengungen. Und einen „Mentalitätswandel“ in Sachen Familie.

Am deutlichsten nämlich hat sich die Situation deutschstämmiger Alleinerziehender verschlechtert. 1986 hatten sie pro Kopf noch 79 Prozent dessen, was Paaren mit Kindern zur Verfügung stand. 2006 war es nur noch 60 Prozent. Waren vor 20 Jahren noch 39 Prozent dieser Alleinerziehenden einkommensschwach, so sind es inzwischen 53 Prozent. Und ihr Anteil bei den Gutverdienern hat sich von knapp vier auf zwei Prozent verringert.

Markant dagegen ist der Aufstieg der Älteren. 1986 zählten noch 28 Prozent der über 64-Jährigen zu den wirtschaftlich Schwachen, 2006 lag ihr Anteil bei nur noch 21 Prozent. Von 2,4 Millionen neu hinzugekommenen Älteren finden sich 500 000 im unteren Einkommensbereich, 900 000 im Mittelbau und eine Million im oberen Segment. Verbessert hat sich ihre Situation laut Studie aus mehreren Gründen. Immer mehr Frauen haben inzwischen Anspruch auf eine gesetzliche Rente. Mit der Wiedervereinigung wurden die Ostrenten aufgewertet. Und vor allem im Westen stiegen die Einkünfte aus Betriebsrenten und Privatvermögen.

Von zunehmender Altersarmut also keine Spur. Der Studie zufolge gehören Senioren, mit intakten Familien, zu den Gewinnern. Was aber laut Miegel keineswegs bedeutet, dass das so bleiben muss.

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