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Politik: Studieren mit Hasenohr

Türkei will in der Uni das Kopftuch erlauben – das der anatolischen Bäuerinnen

Staatstragendes „Hasenohr“ gegen islamistischen Turban: Die Debatte über die Freigabe des islamischen Kopftuchs für Studentinnen in der Türkei entwickelt sich zu einer Diskussion darüber, welche Art von Kopfbeckung akzeptabel ist. Um die Freigabe des islamischen Kopftuchs an den Unis für seine Gegner – besonders die Armee – so verdaulich wie möglich zu gestalten, will Premier Recep Tayyip Erdogan den streng-islamischen und unter anderem von seiner eigenen Frau Emine getragenen „türban“ an den Unis weiter verbieten. Nur das unter dem Kinn geknotete Bauern-Kopftuch, das wegen seiner langen Schleifen als „Hasenohr“ bekannt ist, soll erlaubt sein. Erdogans Kritiker sind jedoch unbeeindruckt: Sie wollen das Kopftuchgesetz vor das Verfassungsgericht bringen.

„Dann sehe ich ja aus wie eine Oma“, lautet ein häufiger Kommentar von jungen Kopftuchfrauen, die in den Medien zu der geplanten Neuregelung befragt werden. Der „türban“ ist in den vergangenen Jahren zu einem Erkennungszeichen für die neue Schicht religiös-konservativer Aufsteiger geworden. Der „türban“ bedeckt den gesamten Kopf und Hals und wird nicht unter dem Kinn befestigt. Nach Erdogans Plänen muss das Uni-konforme Kopftuch jedoch unter dem Kinn geknotet sein, was wesentlich altmodischer aussieht – daher der Oma-Vergleich. „Wir denken an das traditionelle anatolische Kopftuch“, sagte Vizepremier Cemil Cicek, der maßgeblich an der Ausarbeitung der Kopftuchreform beteiligt war.

Erdogans Partei AKP und die nationalistische MHP wollen das Kopftuchverbot mit Änderungen der Verfassungsartikel 10 und 42 aufheben, in denen es um das Gleichheitsprinzip und das Recht auf Bildung geht. Gleichzeitig soll eine Änderung des Hochschulgesetzes die Grenzen der neuen Freiheit abstecken und das „Hasenohr“-Modell vorschreiben. Die Verfassungsänderungen sollen am Freitag im Verfassungsausschuss des türkischen Parlamentes beraten und kommende Woche im Plenum beschlossen werden. Anschließend werden Kopftuchgegner sofort vor Gericht ziehen. Die geplante Verfassungsänderung verstoße gegen das übergeordnete Prinzip des Laizismus, bekräftigte der Chef der kemalistischen Oppositionspartei CHP, Deniz Baykal. Die CHP, die im vergangenen Jahr bereits die Wahl des Erdogan-Vertrauten Abdullah Gül zum Staatspräsidenten per Verfassungsbeschwerde vorübergehend verhinderte, will auch die Freigabe des Kopftuches mit einer Verfassungsklage stoppen.

Erdogan-Gegner wie Baykal rechnen sich vor dem Verfassungsgericht gute Chancen aus, weil das Gericht Ende der achtziger Jahre das Kopftuch als Bedrohung des Laizismus gewertet hatte. Mit aktiver Unterstützung der Militärs, die in der Präsidentenkrise mit einem Putsch gedroht hatten, können die Regierungsgegner aber wohl nicht rechnen. Zwar machte Generalstabschef Yasar Büyükanit deutlich, dass er gegen die Kopftuchfreiheit an den Unis ist: Jedem sei klar, was die Armee darüber denke, sagte er. Weiter ging der General aber nicht. Ein klares Signal, meint der angesehene Kolumnist Murat Yetkin: Die Militärs wollten keinen Beitrag dazu leisten, „aus dem Kopftuchproblem eine Krise zu machen“.

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