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Politik: Stunden, die die Stadt bewegten

KENNEDYS BERLIN-BESUCH

Vielleicht ist die Geschichte nur gut erfunden, dass John F. Kennedy nach seiner Fahrt durch Berlin vor vierzig Jahren bekannt habe, er werde sich den Film über diesen Tag immer dann ansehen, wenn ihn die Last der Probleme überwältige. Aber es kann tatsächlich helfen, diesen Tag wieder zu betrachten. Für Berlin ist dieser 26.Juni 1963 vermutlich der einprägsamste, emotional wichtigste Tag zwischen Mauerbau und Mauerfall. Für die Nachkriegszeit markiert er den Höhepunkt des deutsch-amerikanischen Verhältnisses. Vor allem aber bietet Kennedys Berlin-Besuch das Ereignis einer eruptiven Durchdringung von Politik und Gefühl, von Symbol und Tat, wie sie selten vorkommt. Zugleich steht er am Scheitelpunkt einer historischen Kurve des Nachkriegsgeschehens.

Kennedys Auftritte und die Begeisterung, die ihm entgegenschlug, befestigten das noch vom Mauerbau erschütterte West-Berlin wieder in sich selbst. Von nun an fasste die Stadt wieder Fuß in der Epoche. Sie begriff, dass sie kein verlorener, halb schon aufgegebener Platz an der Abbruch-Kante des Ost-West-Konflikts war. Sie bekam neue symbolische Bedeutung. Sie gewann Perspektiven. Wenige Tage später begann mit Egon Bahrs berühmter Tutzinger Rede vom „Wandel durch Annäherung“ die Suche nach einer neuen Politik. Im Dezember zeigte das erste Passierschein-Abkommen, wie stark das gemeinsame Leben in der Stadt trotz der Teilung noch war.

Doch in dem Jubel über den amerikanischen Präsidenten schwang auch der Anspruch einer neuen Generation und eines veränderten Lebensgefühls mit. Er galt Kennedy als Beispiel eines neuen Typus von Politiker. „Viele spürten, dass hier etwas Neues, längst Fälliges und deshalb Befreiendes in die Geschichte unseres Jahrhunderts eingetreten war“, notierte damals ein junger Studienrat in der schwäbischen Provinz, der später Politiker wurde; er hieß Erhard Eppler. Kennedys Berlin-Besuch habe – so hat es jetzt Andreas W.Daum formuliert – den „Stöpsel aus der Gefühlsblockade der Nachkriegsdeutschen“ gezogen. In der Bundesrepublik, die noch im Schatten des alten Adenauer stand, war die Faszination durch den jungen Präsidenten ein Versprechen. Neuer Schwung, größere Beweglichkeit, Appetit auf Veränderung: Die fünfziger Jahre treten zurück, die Konturen der sechziger zeichnen sich ab.

Ein solcher mächtig einsetzender Wandel gilt zu diesem Zeitpunkt für die Weltlage insgesamt. Die Kontrahenten des Kalten Krieges waren eben erst – in der Kuba-Krise – am heißen Krieg vorbeigeschrammt. Im „Wettlauf der Systeme“ schien die Sowjetunion sogar vorn zu liegen. Für die westliche Welt war Kennedy der Staatsmann, der einerseits dem sowjetischen Machtanspruch Grenzen setzte und ihr andererseits neue Perspektiven gab. Nach der Konfrontation begann ein neues Zeitalter – friedliche Koexistenz und Entspannungspolitik hießen seine Insignien. Das alles fand seinen Weg in Kennedys Berliner Auftritt, in seine Reden mit ihrer Mischung von fast antiker Rhetorik und charismatischer Freiheits-Gewissheit, in die Bewegung, die damals Köpfe und Herzen erfasste, befreiend und ermutigend zugleich.

Alles Geschichte? Natürlich, was sonst. Aber auch das ist sicher: Das ummauerte Berlin hat aus diesem Tag Überlebenskraft gezogen, die, zumindest untergründig, bis an den Rand unserer Gegenwart reicht. Bilder und Worte dieses Tages bezeugen noch immer die machtvolle Wirkung, die Politik erreichen kann, wenn sie mutig an den Nerv der Zeit rührt. Und das radebrechende „Ich-bin-ein-Berliner“ Kennedys auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses ist ohnedies zum geflügelten Boten der Stadt geworden.

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