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Politik: Sturm auf die Sorbonne

Studenten in Paris demonstrierten gegen die Aufhebung des Kündigungsschutzes für Berufsanfänger

Manche glaubten schon, einen Hauch vom Mai ’68 im Quartier Latin zu verspüren. Doch was sich in der Nacht zu Samstag im Viertel um die Pariser Universität Sorbonne zutrug, ist mit den Studentenunruhen, die damals Frankreich erschütterten, nicht zu vergleichen. Die Bereitschaftspolizei CRS hatte leichtes Spiel, als sie morgens gegen vier Uhr in den Innenhof der Sorbonne eindrang und etwa 300 Studenten, die sich dort verbarrikadiert hatten, unter Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken vertrieb.

Die Besetzung war Teil der Aktionen, mit denen die Studierenden an französischen Hochschulen gegen ein neues Gesetz protestieren, das den Kündigungsschutz für Berufsanfänger aufhebt. Es wurde am Donnerstag vom Parlament verabschiedet. Die Räumung der Sorbonne erfolgte auf Anforderung ihres Rektors Jean-Robert Pitte. Er begründete seine Entscheidung damit, dass die Besetzung von einer zur Gewalt bereiten Minderheit ausgegangen sei. Vor der Räumung hatten Besetzer Flaschen, Stühle, Feuerlöscher und Bücher durch Fenster auf die Gendarmen geschleudert, die das Gebäude abriegelten. Danach kam es in dem Viertel zu weiteren gewaltsamen Konfrontationen, bei denen einige Schaufensterscheiben zu Bruch gingen.

An etwa 40 der 85 Universitäten Frankreichs gibt es nach Angaben des politisch der Linken nahe stehenden Studentenverbandes Unef derzeit Streiks oder Besetzungen. Nach Zählung des Bildungsministers Gilles de Robien sind die Aktionen auf zehn Hochschulen beschränkt. Die Studenten, die von den Gewerkschaften und der linken Opposition unterstützt werden, wehren sich dagegen, dass Berufsanfängern unter 26 Jahren künftig während der ersten zwei Jahre jederzeit ohne Angaben von Gründen gekündigt werden kann. „Das neue Gesetz stempelt uns endgültig zur Wegwerfgeneration“ hieß es auf Spruchbändern bei Demonstrationen, an denen am vergangenen Dienstag in ganz Frankreich etwa 800 000 vornehmlich junge Leute teilnahmen. Einen Monat vorher hatten sich nur halb so viele an Protestkundgebungen beteiligt. Laut Umfragen sind 55 Prozent der Franzosen gegen das neue Gesetz, unter den Unter-30-Jährigen sind es sogar 65.

Die wachsenden Proteste stellen Premierminister Villepin vor seine erste politische Bewährungsprobe. Im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit von Jugendlichen, die in Frankreich mit 23 Prozent höher ist als in anderen EU-Ländern, hatte sich der konservative Regierungschef dazu entschlossen, die Lockerung des Kündigungsschutzes ohne vorherige Konsultation der Sozialpartner und der eigenen Partei im Eilverfahren durchs Parlament zu pauken.

Das rächt sich nun. Mit dem Widerstand der Gewerkschaften und der linken Opposition hatte er wohl gerechnet. Nun aber geht auch der Arbeitgeberverband Medef auf Distanz, und im Regierungslager wird Kritik laut. „Wenn die Regierung so weitermacht, verlieren wir im nächsten Jahr die Präsidentschaftswahl“, mahnte der frühere Außenminister Hervé de Charette.

Doch Villepin will nicht nachgeben. Das Gesetz sei verabschiedet und werde angewendet, erklärte er. Allenfalls zusätzliche Maßnahmen für die Studenten wolle er zugestehen. Doch das ist denen nicht mehr genug. Sie verlangen die Aufhebung des Gesetzes. Nächste Woche soll es neue Demonstrationen geben.

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