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Bald Ministerpräsident im Südwesten? Der grüne Landtagsfraktionschef Winfried Kretschmann. Foto: dpa

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Stuttgart 21: Grüne sind ratlos nach der Schlichtung

Die Grünen in Baden-Württemberg peilen die Regierungsübernahme an – Stuttgart 21 lehnen sie trotz Schlichtungsspruch weiter ab.

Winfried Kretschmann muss noch einmal auf die Parteitagsbühne. Die Grüne Jugend will den Spitzenkandidaten für die baden-württembergische Landtagswahl am 27. März 2011 ausrüsten für den politischen „Gipfelsturm“. Er erhält Rucksack, Fernglas, Taschenlampe, Thermoskanne und ein Sicherungsseil für den Marsch hoch zur Villa Reitzenstein, dem Stuttgarter Regierungssitz. Kretschmann sagt, er sei froh, wenn er mal wieder auf der Schwäbischen Alb wandern könne „und nicht nur zwischen den Klippen von Stuttgart 21“. Die Grünen wollen nach 30 Jahren Oppositionsarbeit im Ländle endlich an die Macht. Das ist die Botschaft dieses zweitägigen Parteitags, der ohne große Kontroversen ein Programm verabschiedet, das die Grundzüge der künftigen Landespolitik skizzieren soll.

Es geht um eine neue Schul- und Energiepolitik, um die Aufwertung des Ethikunterrichts und die Förderung von Solarstrom. Vor allem aber geht es darum, die Klippen, die sich bei Stuttgart 21 aufgetan haben, zu umgehen. Die jüngste Umfrage sieht die Grünen, die 2006 auf 11,7 Prozent gekommen sind, bei 28 Prozent. Der erklärte Wunschpartner SPD kommt auf 18 Prozent. Mit 46 Prozent liegt Grün-Rot zwei Punkte vor der Koalition aus CDU (39 Prozent) und FDP (fünf Prozent).

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, einer der Wortführer der S-21- Gegner während der Schlichtung, hat eigens eine Powerpoint-Präsentation vorbereitet. Er wirft rote Zahlen und bunte Zeichnungen an die Wand, die belegen sollen, dass Stuttgart 21 den „Stresstest“ nicht bestehen kann und teure Nachbesserungen notwendig werden. Damit aber werde die ohnehin schöngerechnete Tieferlegung des Bahnhofs wesentlich teurer als die von den Befürwortern definierte Reißleine von 4,5 Milliarden Euro. „Stuttgart 21 plus heißt fünf Milliarden plus“, sagt Palmer. Die 200 Delegierten, die für die Präsentation am Sonntag extra früher aufgestanden sind, bejubeln Palmers Ausführungen. Sie dürstet offenbar nach Argumentationshilfe, nachdem sie am Vortag bereits den Kurs abgesteckt haben. Da hat der Parteitag ohne Gegenstimme eine Resolution verabschiedet, die einerseits die grünen Erfolge bei der Schlichtung herausstreicht, andererseits aber einen Bau- und Vergabestopp fordert, bis nach der Wahl das Ergebnis des Stresstests vorliegt.

Wie schwer sich die Partei mit Heiner Geißlers Spruch für ein „Stuttgart 21 plus“ tut, zeigt die Debatte. „Heiner Geißler war nicht berufen, um ein Ergebnis herbeizuführen“, sagt der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag, Winfried Hermann. Bundeschef Cem Özdemir dagegen sagt, beim Schlichterspruch lohne sich der Blick aufs Kleingedruckte: „Wir werden alles dafür tun, dass diese Auflagen 1:1 erfüllt werden.“

Das sorgt für Aufregung unter den Delegierten, und noch bevor Özdemir in Interviews seine missverständliche Aussage revidiert, folgt auf dem Parteitag ein klares Contra von Werner Wölfle, dem Chef der Stuttgarter Grünen-Ratsfraktion: „Wir sind nicht dafür da, den Schlichterspruch zu realisieren. Wir kämpfen nicht dafür, das umzusetzen, nicht 1:1 und auch nicht 2:1.“ Der grüne Kampf geht also weiter, gegen Stuttgart 21 und gegen Ministerpräsident Stefan Mappus, den Özdemir einen „Rambo“ und eine „Landesvatersimulation“ nennt. Am Regierungschef und seiner CDU arbeiten sich die Delegierten ab. Dass Mappus Schwarz-Grün ausschließt, pariert Kretschmann kühl. „Er kann ausschließen, was er will. Ich bleibe gesprächsbereit“, sagte er dem Tagesspiegel. Die Grünen halten sich alle Optionen offen – trotz heftiger Anfeindungen aus der CDU auch die Möglichkeit eines grün-rot-roten Bündnisses. „Dass wir nichts ausschließen, heißt noch lange nicht, dass wir es mit allen machen“, sagte Kretschmann seinen Parteifreunden. „Kämpfen wir für ein grünes Baden-Württemberg“, beendet er seine Rede. Die Delegierten erheben sich, applaudieren, jubeln. Nach 40 Sekunden sagt Kretschmann: „So, ich glaub, es reicht.“

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