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Schlusslicht? Einst wurde mit roten Laternen gegen den Bahnhofsumbau protestiert, nun drohen rote Zahlen. Das könnte das Projekt kippen. Foto: Daniel Maurer/dapd

© dapd

Stuttgart 21: Tauziehen um die Bahnhofs-Finanzierung

Gegner des Bahnprojekts sagen Kostenexplosion voraus - Befürworter erwarten Milliardenrisiko bei Abbruch. Zwischen Stuttgart und Berlin entsteht nun ein Streit um die Zukunft von S21. Und es gibt noch einen traurigen Dritten.

Von Sabine Beikler

Das Gezerre um das Bahnprojekt Stuttgart 21 beschreibt ein Insider als „schwierige Situation“. Das ist noch milde formuliert für ein drohendes Finanzdesaster. Statt der bisher errechneten 5,6 Milliarden Euro plus 1,2 Milliarden weiterer Kostenrisiken könnte der Bau des Tiefbahnhofs „zwischen 10,7 und 11,3 Milliarden Euro“ kosten, wie der Grünen-Politiker Anton Hofreiter, Chef des Verkehrsausschusses im Bundestag, mutmaßt. Gestoppt werden kann das Projekt nur mit Schaden für alle Beteiligten, Alternativplanungen existieren bisher nicht. Für die Gegner des Bahnhofsprojektes steht fest: „Das Projekt ist im freien Fall. Deshalb muss es jetzt gestoppt werden. Statt des Weiterbaus sollte der Bahnhof saniert und repariert werden“, fordert Gerhard Pfeifer, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21.

Bisher sind der Nord- und Südflügel des Bahnhofs und einige Bürogebäude abgerissen sowie Bäume im angrenzenden Park gefällt worden. Zurzeit wird ein Technikgebäude gebaut. Der Finanzierungsrahmen für das Gesamtprojekt hat sich bisher von 4,5 auf 5,6 Milliarden Euro erhöht. Bahnchef Rüdiger Grube hat angekündigt, sein Unternehmen werde die zusätzlichen 1,1 Milliarden übernehmen. Eine Entscheidung des Aufsichtsrats darüber steht aus. Hinzu kommen Kostenrisiken von 1,2 Milliarden Euro, die die Bahn unter den Projektbeteiligten aufteilen möchte. Das sind neben ihr das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart, der Regionalverband und die Flughafengesellschaft Stuttgart. Doch Land und Stadt Stuttgart wollen nur die vereinbarte Mitfinanzierung von rund 930 Millionen Euro (Land) und 292 Millionen Euro (Stadt) leisten. Laut dem internen Schreiben des Bundesverkehrsministeriums hat auch der Bund als Eigentümerin der Bahn erhebliche Bedenken. Die sind nicht unberechtigt: Die Aufsichtsräte müssen Kosten, Risiken und Wirtschaftlichkeit für die Bahn abwägen. Die aber wäre bei einer negativen Eigenkapitalverzinsung nicht mehr gewährleistet. Laut internem Dossier wird diese Grenze bei zusätzlichen 1,8 Milliarden Euro Mehrkosten erreicht. Zählt man die 1,1 Milliarden Euro schon bestätigter Mehrkosten, die die Bahn übernehmen würde, mit einem Anteil x für die ermittelten Kostenrisiken von 1,2 Milliarden Euro zusammen, wäre dieser Wert theoretisch schnell erreicht. Hinzu kommt, dass die Bahn 1,7 Milliarden Euro Eigenkapital in den alten Finanzierungsrahmen von ursprünglich 4,5 Milliarden Euro einfließen lässt.

Sollte der Aufsichtsrat Anfang März der weiteren Baufinanzierung zustimmen, könnte dies „haftungsrechtlich höchst bedenklich“ sein, sagt Hofreiter. Aus Regierungskreisen ist zu hören, dass die Wirtschaftlichkeit der Bahn „aktienrechtlich darstellbar“ sein müsse. Alle Augen sind nun auf Berlin gerichtet. „Wir beobachten sehr aufmerksam, wie Bund und Bahn weiterhin agieren“, sagt ein Sprecher der Stadt Stuttgart. Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) freut sich über die „neue Nachdenklichkeit beim Bund“. Eine „Ausstiegsdebatte“ will der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann auch gar nicht eröffnen. Denn die Grünen, die sich mehr Mitbestimmung und plebiszitäre Demokratie auf ihre Fahnen geschrieben haben, können den Ausgang der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 vom November 2011 nicht negieren: 58,9 Prozent sprachen sich damals für die Beibehaltung der Landesfinanzierung von Stuttgart 21 aus.

Was aber würde ein Ausstieg kosten? Die Bahn rechnet mit mehr als drei Milliarden Euro. Zwei Milliarden Euro plus x sind „unmittelbare Kosten“, die unter anderem die Wiederherstellung des Stuttgarter Bahnhofs, die Rückabwicklung der Grundstücksgeschäfte und Planungskosten beinhalten. Das x steht für Schadenersatzforderungen der Projektpartner. Hinzu kommen laut Bahn noch rund 1,3 Milliarden Euro für den Umbau des Gleisvorfelds im Hauptbahnhof als Bestandteil des Projekts. Um den geplanten Tiefbahnhof bauen zu können, müssen die bestehenden Gleisanlagen in das bestehende Gleisvorfeld verlängert werden.

Hofreiter ist nicht der Einzige, der diese Zahlen als „Drohszenario“ anzweifelt. Auch aus dem Bundesverkehrsministerium ist Skepsis zu vernehmen. Bis Ende 2012 beliefen sich die Projektkosten auf 430 Millionen Euro. Neben möglichen Regressforderungen von Firmen müsste die Bahn ein Grundstücksgeschäft mit der Stadt rückabwickeln und einen Betrag von rund 424 Millionen Euro plus Zinsen zurückzahlen. Diese Gleisflächen, die nach Fertigstellung des unterirdischen Bahnprojekts nicht mehr genutzt würden, hatte die Stadt erworben, um auf rund 100 Hektar ein Stadtquartier zu planen.

Kanzlerin Angela Merkel steht zwar zu Stuttgart 21, knüpft ihre Unterstützung aber an die Wirtschaftlichkeit des umstrittenen Projekts. „Die grundsätzliche Überzeugung der Bundeskanzlerin, dass Stuttgart 21 ein wichtiges Projekt für den Raum Stuttgart, die Infrastrukturentwicklung im Südwesten und für Deutschland im europäischen Netz ist, hat sich nicht geändert“, erklärte ein Regierungssprecher am Mittwochabend. Er fügte aber hinzu, dass ein solches Projekt natürlich auch wirtschaftlich sein müsse. Der Bund drängt jetzt die Bahn, wegen der Kostenexplosion auf die Projektbeteiligten zuzugehen. In Baden-Württemberg wartet man darauf recht gelassen.

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