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Viele Proteste in den vergangenen zwei Monaten mündeten in Südafrika in Gewalt. Die teilweise astronomischen Lohnforderungen setzten zudem viele Firmen unter Druck. Betroffen sind immer mehr Branchen.

© dapd

Südafrika: Es brodelt am Kap

Die Streikwelle hat sich zur schwersten Krise Südafrikas seit fast 20 Jahren entwickelt. Das könnte bald auch im Alltag spürbar werden.

Noch sind die Regale in den Supermärkten gefüllt. Noch gibt es Benzin an den Zapfsäulen und Geld in den Bankautomaten. Doch mit jedem Tag gerät die südafrikanische Wirtschaft mehr ins Trudeln. Bereits zu Wochenbeginn, so warnen Beobachter, würden die Auswirkungen der vielen illegalen Streiks, wie jener der 20 000 Lkw-Fahrer, auch im öffentlichen Leben des Landes mit seinen knapp 50 Millionen Einwohnern spürbar sein. „Wenn sich die Gemüter jetzt nicht schnell beruhigen, wird Südafrika auf Jahre in eine Abwärtsspirale geraten“, mahnt der Ökonom Chris Hart mit Blick auf die jüngste Herunterstufung des Landes. Erst vergangene Woche hatte die Ratingagentur Moody’s dem Investitionsstandort am Kap ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt und die Handlungsfähigkeit der Regierung offen hinterfragt.

Was Anfang August als kleiner Streik auf einer Platinmine bei Johannesburg begann, hat sich zur schwersten Krise des Landes seit dem Ende der Apartheid vor fast 20 Jahren ausgewachsen. Mehr als 80 000 Bergleute befinden sich mittlerweile im Ausstand und verlangen Lohnerhöhungen von bis zu 22 Prozent – bei einer Inflationsrate von fünf Prozent. Dies würde die Wettbewerbsfähigkeit des Landes weiter untergraben und viele der bereits angeschlagenen Platin-, Gold- und Kohleförderer unprofitabel machen.

Da viele Demonstrationen in Gewalt münden und die Proteste auf immer mehr Branchen übergreifen, warnen Sicherheitsexperten wie Michael Hough vom Institute for Strategic Studies in Pretoria bereits vor Gefahren für die innere Sicherheit des Landes. Hough sieht Südafrika „am Rande eines Wirtschaftskrieges“. Das größte Problem liege darin, „dass die unrealistischen Lohnforderungen mit politischen Fragen verknüpft werden, was eine Lösung stark erschwert“. Wenig hilfreich ist zudem, dass das Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern schwer vergiftet ist. Statt sich wie in Deutschland als Partner zu sehen, werden (oft rassisch gefärbte) Feindbilder gepflegt.

Als Auslöser der Streikwelle gelten allgemein die Lohnerhöhungen von mehr als 20 Prozent, die der Platinförderer Lonmin seinen (illegal streikenden) Arbeitern Mitte September unter großem ökonomischen Druck gewährt hatte. Die Botschaft war damals eindeutig: Illegale Streiks und Gewalt zahlen sich aus. Mitte August waren in Lonmins Platinbergwerk Marikana 34 streikende Bergleute von der Polizei erschossen worden. Bereits zuvor hatte es auf der Mine zehn Tote gegeben, darunter Polizisten, Wachleute und einige arbeitswillige Kumpel. Die Lohnerhöhungen wurden rasch zur Messlatte für viele andere Sparten der Minenbranche, etwa beim weltweit drittgrößten Goldproduzenten Anglogold. Dabei waren die Tarifabschlüsse dort längst unter Dach und Fach und bis ins nächste Jahr festgeschrieben. Nun soll nach den Vorstellungen der Streikenden alles ganz neu verhandelt werden. „Wir haben nicht mehr viel Zeit eine Lösung zu finden, sonst werden sehr viele Menschen ihre Arbeit verlieren“ warnt Anglogold-Chef Mark Cutifani. Die Zukunft der Industrie stehe auf „des Messers Schneide“ Wenn die Gewerkschaften weiterhin derart rücksichtslos agierten, müssten einzelne Bergwerke bald geschlossen werden.

Sowohl Anglogold als auch der weltweit größte Platinförderer Anglo Platinum haben weitere Zugeständnisse abgelehnt. Am Freitag hatte Angloplat 12 000 streikende Mitarbeiter entlassen, nachdem diese eine von den Gerichten angeordnete Rückkehr zur Arbeit zum wiederholten Male ignoriert hatten. Die Antwort der Arbeiter folgte prompt: Neue Leute würde das Unternehmen nur über ihre Leichen anstellen können.

Dass es längst um mehr als nur Geld geht, zeigt der Streik bei Afrikas größtem Eisenerzproduzenten Kumba, der vergangene Woche nach Protestaktionen eine Mine am Südrand der Kalahari-Wüste schließen musste. Dabei hatten die 6200 Kumpel des Konzerns 2011 im Rahmen einer extrem großzügig bemessenen Gewinnbeteiligung jeder umgerechnet bis zu 50 000 Euro (!) extra bekommen. Für dieses Jahr war eine Lohnerhöhung von 8,8 Prozent ausgehandelt worden. Nun wollen die Kumpel noch mehr. „Es geht zumindest versteckt längst um politische Fragen – oder einfach nur um puren Opportunismus“ sagt Des Kilalea von RBC Capital Markets in London. „Wir haben das Gefühl, dass die Arbeitsbeziehungen in Südafrika völlig zerrüttet sind“.

Die Regierung, die bislang nur zuschaute oder die Lage herunterspielte, macht ihrerseits nun plötzlich die Minenkonzerne wegen der Lohnerhöhungen für die Eskalation der Streiks verantwortlich. So kritisierte Bergbauministerin Susan Shabangu, dass Impala Platinum, Südafrikas zweitgrößter Platinförderer, die Gehälter seiner Arbeiter nach einem wilden Streik im Februar noch zweimal erhöht und dadurch anderswo ebenso hohe Erwartungen geschürt habe. (Wie hoch die Forderungen sind, wird daran deutlich, dass der Durchschnittslohn schwarzer Südafrikaner bei der letzten Erhebung 2010 bei 26 000 Rand (2270 Euro) im Jahr lag. Im Gegensatz dazu fordern die Arbeiter auf den Minen nun einen Mindestlohn von 12 500 Rand – pro Monat.

Das Blutbad auf der Mine und das Ausmaß der Streikwelle hat die Kritik am regierenden ANC lauter werden lassen, zumal die Partei sich seit Jahren in internen Machtkämpfen zermürbt. Seit der Machtübernahme der früheren Widerstandsbewegung 1994 hat die soziale Kluft in der Gesellschaft, vor allem unter den Schwarzen selbst, stark zugenommen. Zwar beklagt Präsident Jacob Zuma gerne, dass sich die Wirtschaft noch immer in weißen Händen befände. Allerdings wächst im Land das Gefühl, dass vor allem eine kleine schwarze Elite von der Befreiung Südafrikas profitiert hat, aber nun wenig unternimmt, um ihrerseits das Los der breiten Masse zu verbessern. Für die Lebensbedingungen der Arbeiter und ihrer Familien fühlt sich die Regierung jedenfalls nicht verantwortlich, Stattdessen appelliert Zuma regelmäßig an die Minenbetreiber, den Umbau der Unterkünfte zu forcieren. Von eigenen Anstrengungen seiner Regierung spricht Zuma hingegen so gut wie nie. Die Unternehmen machen geltend, dass sie neben Löhnen und Gehältern auch noch hohe Steuern an den Staat zahlen – Geld, das die Regierung nützen könnte, um das Leben der ärmeren Südafrikaner zu verbessern.

Sicherlich wäre es verkehrt, jede politische oder wirtschaftliche Erschütterung der Post-Apartheid-Ära wie das Aufkommen von Populisten oder den jüngsten Einbruch des Rand zu einer existenziellen Krise für das Land zu erheben. Was in Brasilien als Ärgernis gilt, wird im Fall von Südafrika schnell mit den desaströsen Zuständen im benachbarten Simbabwe verglichen. Allerdings habe auch der ANC nun damit begonnen, die noch immer mehrheitlich weiße Geschäftswelt zum Sündenbock für sein eigenes Versagen zu machen, diagnostiziert das Institute of Race Relations in Johannesburg. Zudem ist zu bedenken, dass Afrika mehr als 60 Jahre nach der Unabhängigkeit der ersten Staaten noch immer vergeblich nach einem echten Erfolgsmodell sucht. Schon deshalb kann es nicht verwundern, wenn Südafrika als einziges Industrieland des Kontinents angesichts der gegenwärtigen Entwicklung und der wenig guten Erfahrungen in Afrika mit besonderer Sorge beobachtet wird.

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