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© dpa

Südafrika: Kap der Gewalt

Gut sechs Monate vor der Fußball-WM ist klar: Südafrikas Polizei wird der Kriminalität nicht Herr.

Fünf Jahre lang saß Gaby Magomola in den sechziger Jahren auf Südafrikas berüchtigter Sträflingsinsel Robben Island ein. Nach seiner Freilassung bekam der politische Gefangene ein Stipendium in den USA, arbeitete an der Wall Street und wurde schließlich Südafrikas ranghöchster schwarzer Banker. Symbolisiert wird sein Erfolg von einer prächtigen Villa in einem der lauschigen Vororte von Johannesburg.

Der einzige Nachteil dabei ist, dass Magomola inzwischen wieder ein Gefangener ist: Allerdings ist seine Zelle heute ausgesprochen geräumig und luxuriös ausgestattet. Und statt eines Wärters schließt er sich nun jede Nacht selbst ein: „Nach 20 Uhr kann ich in meinem Studierzimmer nicht mehr arbeiten. Um diese Zeit verriegele ich die Türen der miteinander verbundenen Zimmer und ziehe mich an einen speziellen Arbeitsplatz im Schlafzimmer zurück. Bei jedem kleinen Geräusch, greife ich nach dem Panikknopf“, sagt er.

Viele andere Südafrikaner kennen Magomolas Angst. Der Unterschied besteht allein darin, dass der schwarze Geschäftsmann bereits vor Jahrzehnten vehement gegen die Apartheid kämpfte. Doch statt mit seiner Green Card in den USA zu bleiben, kehrte er in den unruhigen achtziger Jahren in seine Heimat am Kap zurück. Magomola wollte seinen schwarzen Landsleuten ein Vorbild sein - und damit seinen Beitrag zur Befreiung des Landes leisten.

Doch statt die Früchte der mühselig erkämpften Freiheit zu ernten, fürchtet er sich nun nachts im eigenen Haus. „Wir können unmöglich so weitermachen“, sagt er. Die Gewalt forciere den Exodus der dringend benötigten Fachkräfte. „Unser Unvermögen, Schulabgängern und Studenten mit einem Universitätsabschluss einen Job zu verschaffen, ist eine enorme Bedrohung für die soziopolitische Stabilität des Landes.“

Gestützt wird seine Einschätzung von der jüngsten vom Staat vorgelegten Kriminalstatistik. Mag die Regierung gut sechs Monate vor dem Anpfiff der ersten Fußball-Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden auch ständig das Gegenteil beteuern, scheint sie die Gewalt im Land nicht in den Griff zu kriegen. Zwar fiel die Zahl der Morde in den zwölf Monaten bis März 2009 landesweit um drei Prozent auf 18 148 Fälle, doch liegt die Anzahl damit pro 100 000 Einwohner immer noch fast zwanzigmal höher als etwa in Deutschland. Gleichzeitig stieg die Zahl der Sexualdelikte und gewaltsamen Autodiebstähle (Car Hijacking) stark an. Aber auch die bewaffneten Raubüberfälle eskalierten weiter – um 27 Prozent auf Privathäuser und um 20 Prozent auf Geschäfte. Darunter fallen auch die zuletzt dramatisch gestiegen Überfälle auf Einkaufszentren.

Nicht minder erschreckend ist, dass letztes Jahr in Südafrika 107 Polizisten ermordet wurden – die Zahl in diesem Jahr dürfte sogar noch darüber liegen, weil die Gangster mit modernsten Waffen weiter aufrüsten. Inzwischen hat das Problem solche Ausmaße erreicht, dass die Polizeigewerkschaft davor warnt, Südafrikas Gesetzeshüter seien zum Kanonenfutter für die bis an die Zähne bewaffneten Gangster geworden.

Die jüngsten Morde an Polizisten haben das Fass bei der Regierung zum Überlaufen gebracht: Erst am Donnerstag erklärte Staatschef Jacob Zuma vor dem Parlament in Kapstadt, dass eine Gesetzesänderung, welche die Vorschriften beim Einsatz von Schusswaffen durch die Polizei lockern soll, kurz vor der Verabschiedung stehe. Bislang dürfen Südafrikas Polizisten nur dann zur Waffe greifen, wenn ihr eigenes Leben oder das von Passanten direkt gefährdet ist. Ergreift ein Gewalttäter nach einem Schusswechsel hingegen die Flucht, darf die Polizei nicht auf ihn feuern. In Zukunft soll ein Gewaltverbrecher nach dem Willen Zumas und seines Polizeiministers aber notfalls auch auf der Flucht mit einem tödlichen Schuss gestoppt werden.

Wohin das im Extremfall führen kann, zeigt der Fall von Olga Kekana: Die 30-Jährige war vor zwei Wochen auf dem Weg zu einer Party ums Leben gekommen, weil die Polizei ihren grauen Toyota Conquest mit einem gestohlenen Auto verwechselte und schoss, als Kekana nicht gleich anhielt. Ihr Tod hat die Verhältnismäßigkeit der Mittel von Neuem entfacht. David Bruce, Forscher am „Centre for the study of violence and reconciliation“, warnt, dass die aufgeheizte politische Rhetorik führender Politiker der rücksichtslosen Anwendung von Gewalt Vorschub leiste.

Zuma will davon nichts wissen. Zwar ermahnte er die Gesetzeshüter, nicht wahllos von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, doch sei es an der Zeit, den Gangstern ihre Grenzen aufzuzeigen. Gleichzeitig räumte Südafrikas Präsident am Donnerstag erstmals offen ein, dass die Gewaltbereitschaft vieler Täter im Land höher als in anderen Teilen der Welt sei. „Wenn jemand anderswo in ein Haus einbricht, stiehlt er und flüchtet dann. Bei uns warten die Täter gezielt auf die Rückkehr der Hausbesitzer – und töten dann oft einfach.“

Verschiedene Gewaltstudien haben immer wieder auf diese willkürlich ausgeübte Gewalt hingewiesen. Gangs töten in Südafrika oftmals für ein Handy oder einen kleinen Geldbetrag. Längst sind es nicht mehr nur Weiße (9 Prozent der Gesamtbevölkerung), die heute über das enorme Ausmaß der Gewalt klagen. In einer jüngst veröffentlichten Studie erklärten fast Zweidrittel aller Südafriker, sich „sehr unsicher“ zu fühlen, wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit allein durch ihre Nachbarschaft gehen.

Die Reichen stecken deshalb auch Unsummen in ihren Schutz: Vor allem um Johannesburg werden immer mehr Vororte zu Festungen, in denen rund um die Uhr Wachdienste patrouillieren. Ein Großteil der schwarzen und weißen Mittelklasse verbarrikadiert sich hinter immer ausgeklügelteren Sicherheitssystemen und bis zu 4 Meter hohen Mauern, die zusätzlich mit Elektrodrähten oder Stacheldraht gesichert sind. Fast jeder hat zudem ein Alarmsystem, das mit einem der zahllosen Sicherheitsunternehmen verbunden ist. Inzwischen beschäftigt die private Sicherheitsindustrie am Kap mit 300 000 registrierten Wachleuten mehr Personal als die reguläre Polizei mit ihren knapp 200 000 Beamten.

Zuma weiß, dass eine bloße Aufstockung des Sicherheitsbudgets nichts bringen wird, solange die Polizei weiter so unzureichend wie bisher ausgebildet wird. Die meisten Beamten werden zudem schlecht entlohnt und sind deshalb für Schmiergelder empfänglich. „Was Südafrika dringend braucht, ist eine erheblich effizientere, korruptionsfreie Polizei“, schreibt der Kolumnist Justice Malala. „Es kann keine Lösung sein, junge Leute zu erschießen, weil sie womöglich nur gerade ihren Sicherheitsgurt lösen wollen.“

Andere befürworten vor allem härtere Strafen, weil Südafrika nicht warten könne, bis es seine mannigfachen sozialen Probleme gelöst hat, die von einer hohen Arbeitslosigkeit um 25 Prozent über das katastrophale staatliche Schulsystem bis hin zu der Tatsache reichen, dass in Zweidritteln aller schwarzen Familien der Vater fehlt. In seinem Buch über Südafrikas Gewaltkrise („A country at war with itself“) erklärt der Verbrechensexperte Antony Altbeker, dass Prävention nicht ausreicht. Er plädiert für ein Strafrechtssystem, das Gewalttäter gnadenlos verfolgt und dadurch abschreckt. Dies ist zurzeit vor allem deshalb kaum möglich, weil das Land seine oftmals besten Kriminalbeamten nach der Apartheid aus politischen Gründen entlassen hat. Kein Wunder, dass am Kap nur 20 Prozent aller Morde und weniger als 5 Prozent aller Raubüberfälle mit einer Verurteilung der Täter enden.

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