zum Hauptinhalt
Tränen einer Abtreibungsbefürworterin.

© OLIVIER DOULIERY / AFP

Supreme Court kippt Abtreibungsrecht: Dieses Urteil zeigt das ganze Drama der USA

Die Mehrheit der Amerikaner muss nach der Entscheidung erkennen, dass sie viel zu leise war - und sich fragen, ob Zeit für Widerstand ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Juliane Schäuble

Die erzkonservative Mehrheit im Supreme Court hat es tatsächlich getan: Sie hat das seit knapp 50 Jahren bestehende Abtreibungsrecht der Vereinigten Staaten am Freitag gekippt. Die Richter haben damit bewusst eine gesellschaftlich hochpolitische Auseinandersetzung, die viele für weitgehend geklärt hielten, wieder neu entfacht.

Jetzt dürfen Politiker in konservativen Bundesstaaten wieder regulieren, wie, wann und ob eine Frau über ihren eigenen Körper entscheiden darf.

Zahlreiche von Republikanern regierte Staaten haben sogenannte „trigger laws“ in den Schubladen, Gesetze, die einen Schwangerschaftsabbruch teilweise fast ganz verbieten und die nun sofort in Kraft treten können. Bisher untersagte dies das Grundsatzurteil „Roe v. Wade“ aus dem Jahr 1973. Die Republikaner waren auf diesen Tag vorbereitet, ja: Sie haben auf ihn hingearbeitet, teilweise seit 50 Jahren.

[Jeden Donnerstag die wichtigsten Entwicklungen aus Amerika direkt ins Postfach – mit dem Newsletter „Washington Weekly“ unserer USA-Korrespondentin Juliane Schäuble. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung.]

Für die Mehrheit der Amerikaner ist das Urteil dagegen ein großer Schock, auch wenn sich die Entscheidung angekündigt hatte, seit ein vorläufiger Entwurf des Urteils an die Öffentlichkeit gelangt war. Es zeigt wie selten zuvor, welchen Einfluss Wahlentscheidungen haben.

[Lesen Sie auch: Abtreibungsdebatte in den USA: Die Furcht vor der Rückkehr „dunkler Zeiten“(T+)]

Es war der Republikaner Donald Trump, der in seinen nur vier Jahren im Weißen Haus drei von neun Richterstühlen neu besetzen konnte. Empfohlen wurden ihm diese Richter von Abtreibungsgegnern – und Trump ist dem Rat nur zu gerne gefolgt, weiß er doch, welch gigantischen Stellenwert dieses Thema bei konservativen Wählern spielt. Er, der aufgrund des Wahlsystems 2016 Präsident werden konnte, obwohl er nicht die meisten Stimmen gewonnen hatte, hat damit den Grundstein für ein anderes Amerika gelegt.

Eines, in dem die Bundesstaaten noch deutlich mächtiger sind, als es bisher schon der Fall war. Und eines, das noch tiefer gespalten ist, als es bei seinem Amtsantritt der Fall war.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Das Verrückte ist: Die Mehrheit der Amerikaner war in Umfragen dafür, an „Roe v. Wade“ festzuhalten. Genauso übrigens, wie sich die meisten Amerikaner schärfere Waffengesetze wünschen – auch das hat der Supreme Court mit seiner Entscheidung vom Donnerstag höchstrichterlich ignoriert.

Ein Gericht, das die Auffassungen einer radikalen Minderheit vertritt, verliert an Legitimation. Wie Umfragen belegen, ist das im Fall des Supreme Court bereits gesehen. Das Ansehen ist auf ein historisches Tief gefallen.

Und was jetzt? Die Mehrheit muss endlich verstehen, dass sie zu leise ist. Viele Demokraten folgen lieber dem Rat der ehemaligen First Lady Michelle Obama „If they go low, we go high“, als harten Widerstand zu leisten. Aber manchmal ist es wichtiger, für seine Rechte zu kämpfen, als höflich und respektvoll zu bleiben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false