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Sylvia Löhrmann: "In NRW geht es nicht um eine Experimentierbühne"

Die Düsseldorfer Schulministerin Sylvia Löhrmann über Regieren mit wechselnden Mehrheiten, Bildungsreformen – und Frauen in der Politik.

Frau Löhrmann, werden Sie Ende des Jahres noch Ministerin sein oder haben Sie dann wieder mehr Zeit für Wein und gutes Essen?

Ich bin sehr sicher, dass die Regierung dann noch im Amt ist und ich dann noch Schulministerin bin.

Nicht überall sind die Erwartungen an die Stabilität der Regierung so hoch. Haben Sie nicht Schwierigkeiten, Mitarbeiter zu finden, weil viele für eine ungewisse Aussicht nicht einen sichereren Job aufgeben wollen?

Ich hatte keine Schwierigkeiten, einen guten Staatssekretär und Mitarbeiterinnen zu finden. Auch insgesamt hat die Regierung ein gutes, ausgewogenes Team mit viel Erfahrung zusammengestellt.

Weil SPD und Grüne keine eigene Mehrheit haben, ist die erste große Hürde für Ihre Regierung die Verabschiedung des Haushalts im Herbst. Streben Sie Neuwahlen an, wenn der Etat scheitert?

Wir streben keine Neuwahlen an. Was wir brauchen, ist eine relative Mehrheit für den Nachtragshaushalt 2010. Der wird im Wesentlichen die Altschuldenbilanz von Schwarz-Gelb aufzeigen. Auch die Linkspartei sollte ein Interesse daran haben, die Versäumnisse und Schuldenpolitik der abgewählten Regierung noch einmal zu dokumentieren. Erst danach ist der neue Haushalt dran, mit dem wir die großen Reformprojekte von Rot-Grün auf den Weg bringen.

Sie brauchen auch jenseits des Nachtragshaushalts Stimmen von CDU, FDP oder Linkspartei. Wie wollen Sie die gewinnen?

Wir setzen auf wechselnde Mehrheiten und die Überzeugungskraft unserer Vorschläge. Ich bin zuversichtlich, dass wir die CDU dafür gewinnen können, einem Gesetz zur Rettung der Stadtwerke und einem Rettungsschirm für die Kommunalfinanzen zuzustimmen. Die Gemeinden und Städte – auch die CDU-geführten – drängen darauf, dass der Landtag diese Hilfen verabschiedet.

Wenn Sie sagen, wechselnde Mehrheiten, was bieten Sie FDP und Linkspartei?

Mit der FDP gibt es gemeinsame Ziele beim Datenschutz, bei der Sicherung der Bürgerrechte und bei der Weiterentwicklung des Kinderbildungsgesetzes. Und die Linkspartei will ebenso wie wir die Studiengebühren abschaffen.

CDU und Liberale wollen doch beweisen, dass in Düsseldorf in Wirklichkeit Rot-Rot-Grün regiert. Ist ihr Interesse an Sachpolitik nicht kleiner als das an der Destabilisierung der neuen Regierung?

Ich glaube, die Menschen im Land wären froh, wenn Schwarz-Gelb an der Stabilisierung der Bundesregierung mitwirken würde. Unsere rot-grüne Minderheitsregierung ist stabiler als die schwarz-gelbe Bundesregierung. Das Poltern von CDU und FDP zeigt doch nur, wie weh beiden Parteien der Verlust der Regierung in NRW noch tut. Ich bin fest überzeugt: Blockade kommt bei den Menschen nicht an. Die CDU trägt in den Kommunen Verantwortung. Sie wird sich nicht dauerhaft unseren Vorschlägen verweigern können.

Sie argumentieren gern, beim Aushandeln wechselnder Mehrheiten werde das Parlament gestärkt. Ist die Vorstellung des Parlaments als Experimentierbühne ein Vorbild für den Bund?

Das sehe ich eher nicht. Auf Bundesebene geht es auch um das Agieren Deutschlands auf der internationalen Ebene. Da braucht es eine stabile Regierung. Allerdings auch eine, die anders als das Kabinett Merkel gute Arbeit leistet. Es geht in NRW doch nicht um eine Experimentierbühne. Wir müssen das Beste aus dem Wahlergebnis vom 9. Mai machen. Wir wissen, das ist ein Wagnis. Aber wir sind zuversichtlich, dass wir große Teile unseres Koalitionsvertrages auch umsetzen können.

Sie haben im Wahlkampf versprochen, dass Rot-Grün über den Bundesrat wichtige Vorhaben der schwarz-gelben Bundesregierung verhindern könne. Sind Sie sicher, dass Ihnen das bei den Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke gelingt?

Ja, wir werden sehr genau darauf achten, ob die Bundesregierung versucht, die Verlängerung der Laufzeiten am Bundesrat vorbei zu organisieren. Wenn sie das tut, muss sie mit dem erbitterten Widerstand der NRW-Landesregierung rechnen. Wir werden alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen – bis hin zum Bundesverfassungsgericht. Der Ausstieg aus dem Ausstieg würde die Länder belasten, sie müssten zum Beispiel mehr Landespolizei für mehr Atomtransporte bereitstellen. Der Vergleich beider Situationen ist deshalb unlogisch: Beim Ausstieg wurden die Länder entlastet, darum war der Atomausstieg damals im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig.

Waren Sie schockiert, als Sie vom Ergebnis des Hamburger Volksentscheids gegen die Schulreform erfahren haben?

Nein, das nicht. Es war ja vorher deutlich, dass das Thema die Bürgerschaft Hamburgs in erbitterte Auseinandersetzungen gebracht hat. Ich bedaure das Ergebnis. Aber es ist selbstverständlich zu respektieren. Im Nachhinein erweist es sich als sehr weitsichtig, dass wir in Nordrhein-Westfalen einen völlig anderen Weg gehen.

Sie wollen doch den Anteil der Schüler an Gemeinschaftsschulen massiv ausweiten.

Wir setzen aber nicht auf einen Gesamtumbau und wollen Gemeinschaftsschulen überhaupt erst möglich machen, und zwar durch konsensuale Entscheidungen vor Ort. Wir verordnen nichts von oben. Im Flächenland NRW ist die Ausgangslage für Schulentwicklung etwa in Köln völlig anders als im Sauerland. Deshalb kann man den Städten und Gemeinden nicht von Düsseldorf aus ein bestimmtes Schulmodell überstülpen. Wir ermöglichen den Kommunen, pragmatische und im Konsens angelegte Lösungen zu finden. Die Gemeinschaftsschule der Sekundarstufe I soll von unten wachsen.

Der Unterschied zu Hamburg ist, dass Sie die Entscheidung über die Schulform den Kommunen überlassen?

Wir haben eine völlig andere Ausgangslage als in Hamburg. Eine Verlängerung der Grundschulzeit von vier auf sechs Jahre hat weder im Parteiprogramm von Grünen oder SPD gestanden noch ist sie Bestandteil unseres Koalitionsvertrages. Es geht um längeres gemeinsames Lernen in den weiterführenden Schulen.

Der Ausgang des Hamburger Referendums wird als Plebiszit gegen jedes weitere Schulexperiment interpretiert …

Wir machen keine Experimente. Wir greifen auf, was kommunal und von Eltern gewollt ist. Es gibt einstimmige Beschlüsse des Städtetages: Die Kommunen wollen mehr Freiheit und Verantwortung bei der Schulentwicklung. Die üblichen Verdächtigen versuchen jetzt, dem deutschen Schulsystem einen Reformstopp zu verordnen. Das ist angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen, vor denen wir stehen, grob fahrlässig und unverantwortlich.

Was steht denn auf dem Spiel?

Wir haben nach wie vor zwei ganz große Probleme im deutschen Schulsystem. Erstens: Der Bildungsaufstieg ist von der sozialen Herkunft und dem Geldbeutel der Eltern abhängig. Und zweitens: Die Leistungen sind einfach nicht gut genug, weder in der Breite noch in der Spitze. Wir in NRW wollen uns mit diesen Ergebnissen nicht zufrieden geben.

Die CDU droht mit einer Volksbefragung gegen die Schulreform. Sind Sie froh darüber, dass die NRW-Verfassung keinen verbindlichen Volksentscheid vorsieht?

CDU und FDP sind doch auch deshalb abgewählt worden, weil sie die kommunale Schulentwicklung blockiert haben. Ich kann die Kollegen nur ermuntern, nach Thüringen zu schauen, wo die CDU gemeinsam mit der SPD nun auch Gemeinschaftsschulen vorsieht.

Was halten Sie von der Forderung der Bundesbildungsministerin Annette Schavan (VCDU) nach verbindlichen Leitplanken für die Schulpolitik der Länder?

Wir haben längst bundesweite Bildungsstandards. Ich fordere Frau Schavan auf, das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern wieder abzuschaffen. Es ist ein großes Hindernis auf dem Weg zu besserer Bildung. Der Bund könnte dann zum Beispiel beim Ausbau der Ganztagesschulen mithelfen. Damit wäre viel gewonnen. Das wäre wirksamer als die Bildungsgipfel der Kanzlerin mit ihren leeren Versprechungen.

Der Bund soll sich stärker engagieren, um die Bildungschancen benachteiligter Kinder zu verbessern?

Richtig. Dass er das im Moment nicht kann, ist gegen den erbitterten Widerstand der Grünen mit der Föderalismusreform I durchgesetzt worden. Auch Annette Schavan und die Union haben zu verantworten, dass sich der Bund an der gesellschaftlichen Aufgabe Bildung nicht beteiligen kann. Die SPD will diesen Fehler korrigieren. Die CDU dagegen blockiert weiterhin!

Noch einmal zu Hamburg: Stellen der Beust-Rücktritt und der Volksentscheid das Modell Schwarz-Grün infrage?

Für uns in NRW ist das im Moment nur eine akademische Frage. Allgemein gilt: In Bund und Ländern entscheiden die Grünen jeweils konkret, ob und mit wem sie koalieren. Da SPD und Grüne im Moment im Aufwind sind, stehen die Chancen für dieses Bündnis gut. Aber wie immer kommt es auf den Inhalt an.

Frau Löhrmann, von zwölf Regierungsmitgliedern in NRW sind sechs Frauen. Machen Sie nun eine weiblichere Politik?

Wir machen gute Politik, die manche Allüren und Hahnenkämpfe nicht nötig hat. Hannelore Kraft und ich pflegen einen unkomplizierten, schnörkellosen und an der Sache orientierten Regierungsstil. Ich hoffe, dass unser Stil Schule macht.

Das Gespräch führten Hans Monath und Rainer Woratschka.

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HEIMAT

Geboren ist sie 1957 in Essen, zu Hause fühlt sie sich in Nordrhein-Westfalen, als ihre Heimat bezeichnet sie Solingen und das Bergische Land. Am katholischen Mädchengymnasium Beatae Mariae Virgines machte sie ihr Abitur.

BERUF

An der Ruhr-Universität Bochum studierte sie auf Lehramt Sekundarstufe I und II in den Fächern Englisch und Deutsch. Nach der Referendariatszeit an Duisburger Schulen unterrichtete sie 1984 bis 1995 an der Städtischen Gesamtschule in Solingen.

POLITIK

1985 tritt sie den Grünen bei, wird 1989 und 1994 Spitzenkandidatin für die Kommunalwahl in Solingen. 1995 zieht sie in den NRW-Landtag ein, wird 2000 Fraktionsvorsitzende. Als Spitzenkandidatin der Grünen geht sie am 9. Mai 2010 in die Landtagswahl – nun ist sie in der von Hannelore Kraft (SPD) geführten rot-grünen Minderheitsregierung seit anderthalb Wochen Ministerin für Schule und Weiterbildung und stellvertretende Ministerpräsidentin.

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