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© dpa

Symposium: Friedrich Merz wettert gegen den Staat - Banker jubeln

Auf einem Symposium preist der frühere CDU-Star Friedrich Merz den freien Kapitalismus und rügt die "überbordende Staatstätigkeit" der letzten Monate. Die Banker feiern ihn.

Das Gebäude stammt noch aus den guten alten neoliberalen Zeiten. Ein riesiger, komplett sanierter Altbau, mitten im Zentrum von Berlin, Unter den Linden. Das Publikum ist vornehm. Es sind "hochvermögende Gäste" wie der Moderator nur halb im Scherz zur Begrüßung sagt. Überall sieht man Manschettenknöpfe blitzen oder man hört das Geräusch von Stöckelschuhen, die über den marmorartigen Fußboden klackern.

Unter dem verglasten Dach haben sich die Prügelknaben der Nation zusammengefunden. Die Stiftung des Deutschen Eigentums hat zum Symposium geladen. Banker, Lobbyisten und Politiker sind gekommen. Es geht ums Eingemachte: um die Finanzkrise, um deren Ursachen und Folgen.

Der Leitspruch der Veranstaltung hängt links neben dem Podium: "Das Eigentum ist ebenso wie die Freiheit ein elementares Grundrecht". Wenige Meter davon entfernt thront das blaue viereckige Logo der Deutschen Bank.

Friedrich Merz ist gewissermaßen der Stargast dieser Veranstaltung. Später wird seine Rede als einzige mehrfach vom Applaus unterbrochen. Doch noch hört der frühere Fraktionschef der Union, der in diesem Sommer nicht mehr für den Bundestag kandidiert, nur zu. Es spricht gerade Paul Kirchhof, also der Mann, dem Angela Merkel 2005 den Vorzug als Schattenfinanzminister vor Merz gab. Das Ende ist bekannt: Für beide gab es keinen Platz in der Großen Koalition.

Obwohl, "nur zuhören" ist untertrieben. Das kann Merz vermutlich gar nicht. Er wippt mit den Füßen, lässt seinen Blick unaufhörlich kreisen, fast jeden Satz kommentiert er: Mal legt er seine Stirn in Falten, mal grinst er, mal nickt er. Einige seiner Fraktionskollegen sagen, dass Merz vor allem deshalb gescheitert sei, weil er ungeduldig und einzelgängerisch sei. Merz selbst sagte einmal, dass er es hasse, hunderten Sitzungen altbekannte Argumente zum hundertsten Mal hören zu müssen. Über wenig könnte er sich so aufregen wie über die "Dummheit" anderer.

Nun, dumm ist der "Professor aus Heidelberg", wie Gerhard Schröder Kirchhof im Wahlkampf nannte, bestimmt nicht. Er hält mit sonorer Stimme ein ziemlich anschauliches Referat zur Finanzkrise. Manch Zuhörer begreift manchen Zusammenhang gewiss zum ersten Mal.

Merz hängt an den Lippen von niemandem. Später wird er Kirchhof dennoch in vielen Punkten zustimmen. Etwa, dass man die Steuerzahler vor dem Staat schützen müsse, der derzeit wie wild investiere und sich horrend verschulde.

Kirchhofs Konklusion ist eine, die man als Minimalkonsens des Symposiums begreifen kann: In Vor-Krisen-Zeiten war "die notwendige Verbindung von privatem Eigentum und unternehmerischem Handeln" zwischenzeitlich aufgehoben. Als altes, neues Leitideal wird der freie, rechtschaffene, unabhängige Unternehmer beschworen. Denn da, wo persönliche Haftung ist, wird kein Schindluder getrieben, sagt Kirchhof und vergleicht es mit dem Kapitän, der ein sinkendes Schiff als Letzter verlassen muss - und deshalb so vorsichtig steuere. Manager, die Millionen-Boni kassieren, auch wenn sie Verluste machten, seien das Gegenteil davon.

Merz hat nicht den onkelhaften Ton von Kirchhof, sondern noch immer den des Rowdys. Zunächst dankt er dem Veranstalter für den "Mut" für diese Veranstaltung. Es sei ein angenehmer "Kontrapunkt zu der überbordenden Staatstätigkeit der letzten Monate".

Merz geht eine Spur weiter als Kirchhof. Mit dem Fehlverhalten der globalen Finanzwirtschaft will er sich nicht lange aufhalten. Ihm geht es um die politische Dimension der Krise. Denn, so Merz, die Politik habe "versagt", auf nationaler wie internationaler Ebene. Schließlich hätten die staatlichen Regulierungsinstanzen die Krise nicht verhindert, sondern wesentlich zu ihr beigetragen, etwa in Form der US-Geldpolitik. Die niedrigen Zinsen hätten den schuldenfinanzierten Konsum erst ermöglicht. Ebenso wie die "kreditfinanzierte Sozialpolitik" in anderen Ländern, etwa in Deutschland.  

Merz fürchtet, dass unter dem Label der Krisenbekämpfung derzeit die Weichen für die nächste Krise gestellt werden. Die Staaten hätten in den letzten sechs Monaten "exorbitant hohe Schulden" für ihre Konjunkturpakete aufgenommen und höhere Inflationsraten "billigend in Kauf" genommen, sagt er. Diese Schulden werden "die Existenz ganzer Staaten" in Frage stellen.

"Irrig " sei die Annahme, dass nun ein Zeitalter der Regulierung anbrechen werde, beendet Merz seinen Vortrag. Im Gegenteil: Nach der Krise werden die Staaten besser dastehen, "die gerade jetzt den Mut aufbringen", Eigentum und Eigenverantwortung zu fördern. Leider hätten das in seiner Partei nicht alle begriffen. Dort gebe es "Surfer auf dem Zeitgeist", die das Adjektiv "neoliberal" zuletzt diskreditiert hätten. Dabei gehe es ihm lediglich um die "Erhaltung der marktwirtschaftlichen Ordnung".

Fiebriger Applaus. Merz genießt ihn sichtlich. Dennoch sagt er später im Gespräch zu ZEIT-Online, dass er sich im Wahlkampf nicht engagieren möchte. Er kandidiere nicht mehr und sei auch nicht gefragt worden.

Was er der CDU rät? "Ich würde die Überfordertheit des Staates in den Mittelpunkt der Kampagne stellen", sagt er. Er sei sich sicher, dass das "Pendel" wieder in seine ordnungspolitische Richtung umschlagen werde.

Nach Merz spricht noch der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Banken: Auch hier kommentiert Merz wieder jeden Satz mimisch. Niemand habe "ein Patentrezept gegen die Krise", sagt Andreas Schmitz. Merz wiegt den Kopf. Ihn fragt ja keiner. Der Bankenboss sagt, er bekenne sich zu den Bankenrettungsmaßnahmen der Regierung. Merz rollt mit den Augen.

In der abschließenden Diskussion bleibt Merz noch einmal "bösartig", wie er es nennt: Er könne nicht verstehen, warum der Staat derzeit einem Teil der Wirtschaft das Insolvenzrisiko abnehme. Was sich bei Opel oder Scheffler abspiele, seien Dramen, aber gewiss keine systemrelevanten Risiken. Nicht einmal alle Banken seien systemisch relevant, widerspricht er Schmitz.

Merz schließt, wie er begonnen hat: Um bei den bettelnden Unternehmern und Banken einmal Nein zu sagen, brauche man vor allem eines, was derzeit fehle: Mut.

ZEIT-Online

Michael Schlieben

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