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Seit Mittwoch ist Ziad al Hariri (rechts) mit seiner Familie im Lager Friedland. Sie wollen so schnell wie möglich weiter nach Nordrhein-Westfalen.

© Swen Pförtner

Syrer in Deutschland: Zuflucht im unbekannten Land

Familie Hariri gehört zu den ersten Flüchtlingen aus Syrien, die diese Woche in Deutschland angekommen sind. Traumatisiert und teilweise krank versuchen sie, möglichst bald heimisch zu werden. Ein Besuch im Lager Friedland.

In der Nacht hat es stark geregnet. Neben den geteerten Sträßchen, die im Lager Friedland die weit verstreut stehenden Baracken miteinander verbinden, steht das Wasser an diesem Freitagmittag in knöcheltiefen Pfützen. Die auf den Wegen und kleinen Grünflächen aufgestellten Sitzbänke sind tropfnass. Meist nur dünn bekleidet, stehen junge und ältere Männer in Gruppen zusammen und rauchen. Einige Frauen schieben Kinderwagen über den kleinen Platz vor der Lagerküche, andere haben sich dort bereits in eine Schlange eingereiht. Um zwölf gibt es in Friedland Mittagessen.

Schweinefleisch steht dieser Tage nicht auf dem Speiseplan. Denn unter denen, die dort anstehen, sind auch viele der 106 syrischen Flüchtlinge, die am Mittwochnachmittag mit einem Flugzeug aus dem Libanon zunächst in Hannover landeten und dann in Bussen weiter in das Lager im Kreis Göttingen gefahren wurden – als erste Gruppe von insgesamt 5000 Syrern, die Deutschland im Rahmen eines internationalen Abkommens für zunächst zwei Jahre aufnehmen will.

Die ersten zwei Wochen in Deutschland leben die Flüchtlinge aus Syrien im Lager Friedland

Immer wieder laufen Dolmetscher aus einem der wuchtigen Verwaltungsgebäude nach draußen, wedeln mit einer Liste und rufen Namen auf. Die Genannten müssen dann mitkommen zu einem für sie wichtigen Gespräch – sie erfahren nämlich, wo sie künftig wohnen werden. Denn in Friedland bleiben die Flüchtlinge nur zwei Wochen, bevor sie auf andere Bundesländer verteilt werden.

Ziad al Hariri ist deshalb etwas nervös. Der 43 Jahre alte Syrer, der mit seiner Frau und den sieben Kindern aus seinem Heimatland geflohen ist, hat schon einen Wunsch geäußert, was die Weiterreise betrifft. „Ein früherer Nachbar von uns wohnt in einer deutschen Stadt“, sagt er und streicht aufgeregt mit dem Finger auf dem roten Laufzettel herum, den er gleich nach der Ankunft im Lager erhalten hat. „Ich weiß nicht, wie diese Stadt heißt, sie liegt irgendwo in Nordrhein-Westfalen, und da möchten wir gerne hin.“

Die Familie al Hariri stammt aus Daraa. Die 80 000-Einwohner-Stadt südlich von Damaskus war Ausgangspunkt der ersten Proteste gegen die Regierung von Präsident Baschar al Assad – und damit für den Bürgerkrieg in Syrien. Im Februar 2011 wurden dort 15 Kinder festgenommen, weil sie regimekritische Parolen an das Schulgebäude gemalt haben sollen. Die Eltern berichteten, die Kinder seien geschlagen und gefoltert worden, und organisierten erste Demonstrationen.

Die Gewalt eskalierte. Fast täglich gab es Kämpfe und Schießereien, Bomben und Luftangriffe: Vor anderthalb Jahren, erzählt Ziad al Hariri, sei die Situation untragbar geworden. Die Familie entschloss sich zur Flucht, zog zuerst aufs Land zu Verwandten, dann ging’s im eigenen Fahrzeug weiter in den Libanon.

Wie konnten sie die Grenze erreichen? Mussten sie dafür Geld bezahlen? Gab es Kontrollen? Ziad al Hariri zögert, blickt immer wieder zum Dolmetscher – als ob er sich sichergehen will, nichts Falsches zu erzählen. „Es gab überall Posten“, sagt er schließlich. „Wir konnten aber durchfahren.“ Ob und welche Position die Familie im syrischen Konflikt einnimmt, bleibt unbeantwortet. Sie gehört zur sunnitischen Glaubensrichtung. Und unter den Aufständischen, die gegen die überwiegend alawitische Regierung kämpfen, spielen die Sunniten eine wichtige Rolle.

Welche syrischen Flüchtlinge nach Deutschland kommen entscheidet das UN-Flüchtlingshilfswerk

Welche syrischen Flüchtlinge im Rahmen des zugesagten Kontingents nach Deutschland kommen dürfen, entscheiden Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks und der Bundesrepublik vor Ort. Sie wählen die Begünstigten in den Auffanglagern in den Nachbarländern Syriens aus. Die Kriterien sind nicht ganz eindeutig, ein Grund können Krankheiten und Verletzungen sein.

Auch drei Kinder von Ziad und Mariam al Hariri sind krank, sie leiden an Schwerhörigkeit. Die kleine Aminah, sie ist erst drei, könne gar nichts hören, berichtet der Dolmetscher.

In Friedland leben nun auch fünf Syrer, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Viele andere müssten psychologisch betreut werden, sagt der evangelische Lagerpastor Martin Steinberg. Die Menschen seien Zeuge von Entführungen, Tötungen oder anderen Verbrechen geworden. Eine Aufarbeitung dieser zum Teil traumatischen Erfahren sei in Friedland aber nicht möglich. Sobald die Flüchtlinge ihre Wohnorte erreichten, müssten gezielt Programme zur therapeutischen Unterstützung aufgelegt werden.

Ab Montag gibt es Deutschunterricht und Landeskunde

Ab Montag können die erwachsenen Syrer zunächst an sogenannten Wegweiser-Kursen teilnehmen. „Sie dauern eine Woche und bestehen aus ein bisschen Sprachunterricht, ein wenig Landeskunde und Alltagstipps“, erläutert Lagerleiter Heinrich Hörnschemeyer. „Zum Beispiel, wie das hier mit den öffentlichen Verkehrsmitteln läuft und dass man bei Rot möglichst nicht über die Straße geht.“ Die Kinder werden währenddessen von Erzieherinnen und Erziehern auf ihren Schulalltag in Deutschland vorbereitet. Da gehe es dann auch schon um „so etwas wie Pünktlichkeit und gewisse Regeln“. Klassenarbeiten, sagt Hörnschemeyer und lacht, „schreiben die aber in Friedland noch nicht“.

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