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Syrien: Trügerische Oberfläche

Die wirtschaftliche Liberalisierung schreitet in Syrien voran – die politische Repression auch.

Es scheint voranzugehen in Syrien. In neuen Shopping-Malls sind in der Hauptstadt westliche Mode und Luxusprodukte von Cartier, Prada und Mango zu bewundern. In der historischen Altstadt wird renoviert, es entstehen Boutique-Hotels in historischen Häusern und elegante Restaurants wie das „Narranj“. Das Inlokal wird auch von der politischen Elite gern besucht und so kann man sich schon mal am Nebentisch des Vizeaußenministers Faisal Mikad wiederfinden, der seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow ausführt. Auch bei der Redaktion der neuen englischsprachigen Tageszeitung „Baladna“ (Unser Land) herrscht Aufbruchstimmung. Die energische Chefredakteurin Reem Maghribi hat den Anspruch, Syriens erste moderne und optisch ansprechende Tageszeitung zu produzieren. Das Informationsministerium eröffnet einen Mediendialog zwischen deutschen und arabischen Kollegen, der erstmals in Damaskus stattfindet. Das EU-Assoziationsabkommen steht nach jahrelangen Verhandlungen und langer Funkstille nun angeblich kurz vor der Unterzeichnung. Nicht ins Bild passen will eigentlich nur die Verhaftung des 78-jährigen Juristen und Menschenrechtlers Haitham Maleh.

Die Entwicklungen sind nur auf den ersten Blick widersprüchlich. Wirtschaftliche Öffnung und Imagepflege schreiten voran. Doch politischer Dissens wird stärker unterdrückt denn je. So verwundert es nicht, dass sich die junge Mannschaft der neuen Tageszeitung „Baladna“ darauf konzentriert, Layout und Sprache zu pflegen und gesellschaftliche Themen aufzugreifen, die bisher wenig beleuchtet wurden. Eine Seite einer Probeausgabe etwa ist dem angekündigten Rauchverbot in öffentlichen Räumen gewidmet. Die in London geborene Chefredakteurin Maghribi will „Qualitätsjournalismus“ in ihr Heimatland bringen – mit Hilfe von Grafiken, großflächigem Layout, eindrucksvollen Bildern. Die Zeitung soll sich abheben von den Bleiwüsten, die selbst das arabische Mutterblatt „Baladna“ kennzeichnen. Politische Themen stellt die Frau, die sich als arabische Nationalistin bezeichnet, erst einmal zurück. Als offiziellen Grund dafür nennt sie die mangelnde Ausbildung der 14 jungen Mitstreiter: Seit Wochen bringt sie denen bei, wie man Fragen stellt oder einen interessanten Einstieg für den Artikel findet. Für die „roten Linien“ gibt es einen „General Manager“, der seit vielen Jahren im Geschäft und hellhörig ist. Die Zeitung richtet sich an Ausländer, Mitarbeiter internationaler Organisationen und Syrer, die bei einer der internationalen Firmen arbeiten, die in Damaskus ihre Zelte aufgeschlagen haben. Im Falle eines Erfolges soll der Prototyp in andere arabische Länder exportiert werden – denn hinter dem Unternehmen steht die größte Werbe- und Marketinggruppe Syriens, die United Group.

Auch die Syrian International Agency, die erste private Ausbildungsstätte für Journalismus, Werbung und Diplomatie setzt auf Professionalisierung. Allerdings scheinen die Bande zum Staat eng: Leiter ist der ehemalige Leiter der Abteilung für ausländische Korrespondenten im Informationsministerium. Politische Themen werden nach Angaben eines Absolventen ausgespart. Und zum ersten deutsch-arabischen Mediendialog entsendet die syrische Seite keine Journalisten – mit Ausnahme eines Vertreters der Regierungszeitung „Tishrin“. Das Foto der Eröffnungszeremonie reicht den Organisatoren offenbar aus, um den Eindruck zu untermauern, dass sich etwas im Land bewegt.

Vertreter der politischen Opposition halten dieses Lavieren für ein allzu durchsichtiges Manöver, denn die politische Repression ist ihrer Ansicht nach stärker als je zuvor. „Nicht einmal die leiseste abweichende Stimme wird geduldet“, sagt ein prominenter Vertreter, der namentlich lieber nicht genannt werden möchte. Mit der Unterdrückung unabhängiger Stimmen solle dem Ausland bewiesen werden, dass es keinen anderen Ansprechpartner als die syrische Regierung gebe, glaubt der Oppositionelle. Zudem habe das Regime erkannt, dass ein totalitäres Regime sich nicht öffnen könne, ohne am Ende zu stürzen, glaubt er. Daher habe der Geheimdienst seine Rolle weiter ausbauen können.

Eine rasche Unterzeichnung des Assoziationsabkommens mit der EU erwartet in Damaskus kaum jemand. Wahrscheinlich stößt sich das Regime an den politischen Punkten, in denen die Einhaltung von Menschenrechten gefordert wird. Doch nach Ansicht von Kritikern gibt es selbst in der Wirtschaft keine wirkliche Liberalisierung. Die „Öffnung“ diene der Vermehrung des Reichtums derer, die Geld und Macht haben, unter anderem „durch Schaffung privater Monopole“, sagt der Oppositionelle.

Jüngstes Opfer der staatlichen Unterdrückungsmaschine ist Haitham Maleh, der seit mehr als 50 Jahren für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte kämpft. Maleh leitet seit 2001 eine Menschenrechtsorganisation, die eigentlich nur aus ihm und einer Assistentin besteht. In dem kleinen Büro mitten im Stadtzentrum hängen gestickte Bilder an der Wand, die Maleh in den Jahren 1980 bis 1987 schuf, als er ohne Anklage im Gefängnis saß. Seit Jahren darf er das Land nicht verlassen und konnte 2006 auch nicht den niederländischen Demokratiepreis „Geuzen-Medaille“ entgegennehmen. Seit Mitte Oktober sitzt der aufrechte alte Herr wieder in Haft, nachdem er einem ausländischen Sender gesagt hatte: „Syrer haben keinen Schutz vor der Willkür der Behörden und Übergriffen des Sicherheitsapparates.“

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