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Syrien: "Unsere Helfer werden verhaftet"

Der Präsident des syrischen Roten Halbmondes über schwierige Logistik, Gefahr an Straßensperren und Waisenkinder.

Herr Attar, was sind Ihre größten Probleme?

Wir müssen unsere Logistik verbessern, denn das Land ist riesig. Von Damaskus nach Homs sind es 180 Kilometer, bis Deir ez Zhor sind es 800 Kilometer. Bisher haben wir unser Material oft in Mietwagen durchs Land gefahren, aber das ist zu gefährlich. Jetzt machen wir Transporte nur noch in unseren eigenen Wagen vom Roten Halbmond, die eindeutig gekennzeichnet sind. Andererseits können unsere mehr als 9000 freiwilligen Helfer inzwischen von der internationalen Hilfe profitieren.

Wie sieht diese Kooperation aus?

Vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) bekommen wir zum Beispiel Geräte und Medikamente. Zu Beginn des Bürgerkrieges mussten wir mit vier Krankenwagen auskommen, heute haben wir etwa 32. Uns helfen vor allem Rotkreuzgesellschaften aus Europa. Wie zum Beispiel das holländische, das dänische, das britische oder eben das deutsche Rote Kreuz.

Wie schaffen Sie selbst es, humanitäre und politische Fragen zu trennen?

Die meisten unserer Helfer sind nicht politisch, sondern Medizin- oder Pharmaziestudenten, die enge Verbindungen in die Bevölkerung haben. So bekommen wir nicht nur gute Informationen darüber, wo welche Hilfe gebraucht wird, sondern die Menschen fühlen sich mit uns sicher.

Dennoch wird Ihre Neutralität immer wieder infrage gestellt.

Leider. Manche Auslandsoppositionelle erheben den Vorwurf, dass wir für die Regierung arbeiten. Das stimmt nicht. Ich sage ihnen: Sie sollten kommen und unsere Arbeit ansehen. Von außen zu urteilen, ist leicht. In Deraa zu arbeiten, ist schwierig.

Wie kommen Ihre Mitarbeiter mit den Sicherheitskräften klar?

Am Anfang hatten wir große Schwierigkeiten an den Checkpoints, mit dem regulären Militär, mit anderen Sicherheitskräften und mit Aufständischen, Mitarbeiter von uns wurden sogar getötet. Inzwischen aber werden unsere Passierscheine größtenteils anerkannt. Zudem hat das ICRC unsere Mitarbeiter für kritische Situationen trainiert. Sie wissen jetzt, dass sie zwar als humanitäre Helfer prinzipiell überall Zugang haben sollten, aber dass die Soldaten, wenn sie Order haben, niemanden durchzulassen, möglicherweise das nicht wissen.

Sind Mitarbeiter von Ihnen verhaftet worden?

Ja, vor allem unsere freiwilligen Helfer. Ihnen wird vorgeworfen, den Aufständischen zu helfen. Dabei versuchen wir nur, die Menschen mit unseren mobilen Kliniken direkt in den Krisengebieten und in den umkämpften Stadtteilen zu erreichen. Viele Menschen dort haben Angst, die Gebiete zu verlassen.

Wie viele Menschen betreut Ihre Organisation im Moment?

Wir haben mittlerweile 400 000 Vertriebene in Syrien. Viele Menschen aus Homs sind ins Umland oder nach Damaskus gegangen. Sie brauchen Unterkunft, Matratzen, Decken, Küchenutensilien. Jene Menschen, die nicht geflohen sind, brauchen Nahrung und Medizin. Unter den Flüchtlingen sind Christen und Sunniten, einige Alewiten sind an die Küste um Latakia geflohen.

Und die Kinder?

Wir haben zwei Waisenhäuser in Damaskus eingerichtet für Kinder unter neun Jahren. Ältere Kinder, die ihre Eltern verloren haben, bringen wir in kirchlichen Einrichtungen unter.

Auf welches Szenario bereitet sich der Syrische Rote Halbmond vor?

Wir denken, dass es ein mittlerer bis langer Konflikt werden wird.

Was könnte das Ausland noch tun?

Korridore für die humanitäre Versorgung werden nicht funktionieren. Zu ihrer Sicherung wäre eine große Militäraktion nötig. Humanitäre Hilfe macht nur Sinn, wenn sie unbewaffnet und neutral erfolgt.

Das Gespräch führten Ruth Ciesinger und Andrea Nüsse.

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