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Politik: Syriens neuer Staatschef: Verachtet die Söhne nicht! (Leitartikel)

Im Zweifel ist die Angst vor dem Chaos doch stärker als die Hoffnung auf Befreiung. Und so erlebt die Welt wieder einmal die paradoxe Situation, dass die Führer der westlichen Demokratien trauernd am Sarg eines brutalen Diktators stehen.

Im Zweifel ist die Angst vor dem Chaos doch stärker als die Hoffnung auf Befreiung. Und so erlebt die Welt wieder einmal die paradoxe Situation, dass die Führer der westlichen Demokratien trauernd am Sarg eines brutalen Diktators stehen. Hafis el Assad ist bei seinem Aufstieg zu Syriens unbeschränktem Herrscher über Leichen gegangen, hat mehrere Kriege gegen Israel vom Zaun gebrochen, sich mitschuldig gemacht am langjährigen Bürgerkrieg im Libanon und später große Teile des Nachbarlands okkupiert; dem Frieden mit Israel hat er sich bis zum Schluss verweigert und die fundamentalistische Hisbollah als Stellvertreter-Armee gegen den Erzfeind kämpfen lassen. Dennoch erweisen ihm höchste Staatsmänner an diesem Dienstag in Damaskus die letzte Ehre.

Das gebietet doch schon der Respekt vor dem Tod, mag man einwenden. Aber es ist mehr als das. So schwer die Einsicht uns allen fällt, in deren Augen die Demokratie der einzig verlässliche Garant von Freiheit, Sicherheit und Wohlstand ist: Auch Diktaturen geben der internationalen Ordnung Stabilität und Berechenbarkeit. Der Zusammenbruch des Kommunismus war eine Befreiung, aber er stürzte Europa zunächst in Turbulenzen. Bis heute wird an einer neuen, gerechteren Ordnung gearbeitet, die ebenso stabil ist wie das System aus Abschreckung und Eisernem Vorhang. Jugoslawien ist ein warnendes Gegenbeispiel: Auf Titos Tod folgten Zerfall und Blutvergießen, der Diktator hatte den Vielvölkerstaat zusammengehalten. Auch der Frieden im Nahen Osten war und ist nach mehreren Kriegen von solchen Stabilitätsankern abhängig: König Hussein von Jordanien, Hosni Mubarak in Ägypten, Hafis el Assad in Syrien.

Stirbt einer von ihnen, ist der erste Reflex: Sorge um Frieden und Stabilität, weil doch die gewohnte, die berechenbare Ordnung plötzlich in Frage gestellt wird. So war es, als Jordaniens kleiner König starb, der immerhin schon seinen Frieden mit Israel geschlossen hatte. Und so ist es nun nach Assads Tod. Israel verstärkt die Truppen an der Nordgrenze.

Doch die jüngsten Erfahrungen in Osteuropa wie in der arabischen Welt machen Mut, sich von der verqueren Logik der Angst zu lösen, die Veränderung instinktiv als Bedrohung begreift. Die schönen Worte Stabilität und Berechenbarkeit haben nämlich eine Kehrseite: die Blockade kreativen Denkens, die Unfähigkeit, neue Wege zu gehen. Die junge Generation kann Kompromisse schmieden, zu denen die alte unfähig war, weil die Konflikte viel zu sehr Teil ihrer Biografie waren. In Jordanien, das darf man nach knapp anderthalb Jahren sagen, ist der Generationswechsel von Hussein, der 46 Jahre auf dem Haschemiten-Thron saß, zu Abdullah ohne größere Verwerfungen gelungen. Kein Einzelfall in der arabischen Welt, sondern nur das am meisten beachtete Beispiel für einen neuen Trend: auf den Patriarchen, der seine Herrschaft vor dreißig, vierzig Jahren in blutigen Machtkämpfen sichern musste, folgt ein modern ausgebildeter Technokrat, der die ererbten inneren Probleme und äußeren Konflikte pragmatisch angeht. Etwa auch in Marokko. Dabei hatten die Pessimisten es dem jungen Mohammed IV. ebensowenig zugetraut, das Erbe Hassans II. zu bewahren, wie in Jordanien dem jungen Abdullah, Hussein zu ersetzen.

Verachtet die Söhne nicht! Warum sollte Bachar el Assad in Syrien nicht Ähnliches gelingen? Gut möglich, dass er den Frieden mit Israel schließt, zu dem sein Vater Hafis nicht fähig war. Das ist freilich keine Frage von morgen oder übermorgen. Zunächst muss Baschar seine Herrschaft nach innen absichern. Dafür muss er in den großen nationalen Fragen, wie der Zukunft des seit dem Sechs-Tage-Krieg von Israel besetzten Golan, anfangs die Position des Vaters einnehmen. Aber wenn er nach ein, zwei Jahren die Macht unanfechtbar innehat, wird sein außenpolitischer Handlungsspielraum größer, als der seines Vaters am Ende war. Gewiss, die autoritären Strukturen sind in Syrien heute stärker verfestigt als in Jordanien bei Husseins Tod. Oppositionsparteien wie in Marokko sind nicht zugelassen. Aber die Bevölkerung ist homogener als in Jordanien, die Gefahr des Zerfalls gering. Auf lange Sicht macht Hafis el Assads Tod den Nahost-Frieden wahrscheinlicher.

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