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Syrische Chemiewaffen: Assads letzter Trumpf?

Israel sieht sich von syrischen Chemiewaffen bedroht, auch gegen Aufständische könnten sie eingesetzt werden. Wie groß ist die Gefahr, die von diesen Beständen ausgeht?

Von Matthias Schlegel

Angeblich verfügt Syrien über das größte Arsenal an Chemiewaffen im Nahen Osten. Doch wie groß die Bestände genau sind und welche Gefahr von ihnen ausgeht, darüber sind sich auch Politiker, Militärs und Sicherheitsexperten nicht einig. Israel sieht sich dabei vor allem durch das Szenario bedroht, dass dem syrischen Regime die Kontrolle über diese Waffen entrissen werden könnte. Der politische Direktor im Verteidigungsministerium, Amos Gilad, erklärte am Wochenende, es sei zu befürchten, dass die Waffen in die Hände der Hisbollah, von Extremisten der Al Qaida oder anderer „unverantwortlicher Elemente“ in Syrien fielen. Derzeit schützten die Syrer die Arsenale jedoch noch so gut sie könnten.

Der von der syrischen Armee zu den Rebellen übergelaufene General Mustafa Scheich sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Führung in Damaskus treffe Vorbereitungen für den C-Waffen-Einsatz. Er berief sich auf Geheimdienst-Erkenntnisse der Rebellen. Die USA reagierten besorgt auf diese Warnung. Sie beobachten nach Angaben des US-Präsidialamtes sehr genau die syrischen Chemiewaffen-Lager. „Wir glauben, dass sich die syrischen Chemiewaffen-Lager weiterhin unter Kontrolle der syrischen Regierung befinden“, teilte Regierungssprecher Tommy Vietor am Samstag mit.

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Für viele alarmierend ist die Befürchtung, dass der um seine Macht, vielleicht gar um seine Existenz ringende Präsident Baschar al Assad die Chemiewaffen als letztes Mittel gegen die Rebellen im eigenen Land einsetzen könnte. Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS), will diese Möglichkeit nicht ausschließen: „Die Syrer sind in der Lage, chemische Kampfstoffe mit Artilleriegranaten, taktischen Raketen oder luftgestützten Munitionen zu verwenden. Sie könnten diese Waffen also theoretisch auch im Innern, im Kampf gegen die Rebellen einsetzen. Allerdings: Sie haben solche Waffen bereits seit den 70er Jahren und haben sie selbst in den Kriegen nicht eingesetzt, in denen sie von den Israelis besiegt wurden“, sagte Nassauer dem Tagesspiegel.

Dagegen rechnet Ejal Zisser vom Dajan-Zentrum für strategische Studien in Tel Aviv nicht damit, dass Chemiewaffen gegen die syrische Bevölkerung eingesetzt werden. Assad werde zwar alles tun, um zu überleben, sagte Zisser der Nachrichtenagentur dpa. „Aber sie kämpfen dort auf engstem Raum gegeneinander. Sollte die Armee etwa in Damaskus chemische Waffen einsetzen, würden sie auch den Präsidentenpalast erreichen.“ Solange Assad an der Macht sei, sei mit dem Einsatz von Chemiewaffen nicht zu rechnen“, erklärte Zisser.

Syrien verfügt wahrscheinlich über größere Giftgasbestände

Dass die Hisbollah etwas mit diesen Waffen anfangen könnte, hält Sicherheitsexperte Nassauer indes für fraglich: „Was wollen die mit Zeug, das sie selbst gefährdet, wenn sie einen Fehler machen? Akut ist das vermutlich kein großes Problem, es könnte aber mittel- oder langfristig eines werden, wenn die Hisbollah Kämpfer ausbilden oder Terroristen für Attentate mit Kampfstoffen beliefern würde.“

Der Sicherheitsexperte sieht dahinter eher strategische Interessen. „Wenn die Israelis das Hisbollah-Szenario an die Wand malen und andere die Gefahr, Assad werde Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung einsetzen, dann kann das ja auch darauf abzielen, die Bereitschaft des Westens und speziell der Amerikaner zu fördern, die syrischen Chemiewaffen-Depots und -anlagen militärisch zu besetzen.“ Chemiewaffen seien „nie besonders militärisch effiziente Waffen“ gewesen. Die politisch-psychologische, terrorisierende Wirkung sei größer. „Mein Gefühl ist, dass das Risiko einer langfristigen Destabilisierung Syriens und eines Abgleiten des Landes in einen langen Bürgerkrieg für die gesamte Region das größere Problem ist.“

Syrien verfügt wahrscheinlich über größere Sarin- und Senfgasbestände. Sarin ist ein Nervengift, Senfgas ein die Haut und die Atemwege schädigendes Gift, das auch tödlich wirkt. Über die Senfgasbestände wird seit den 70er Jahren berichtet, weil damals die Ägypter die Syrer vor dem Jom-Kippur-Krieg damit ausgestattet haben sollen. In den 80er Jahren haben die Syrer ein eigenes Produktionsprogramm aufgezogen. Dabei sind sie aber bis heute auf die Zulieferung doppelt verwendbarer Güter und chemischer Vorprodukte aus dem Ausland angewiesen.

Wie der frühere Planungschef im Bundesverteidigungsministerium Hans Rühle kürzlich in der „Welt“ schrieb, zählten in den 70er und 80er Jahren vor allem die Sowjetunion, Deutschland, Frankreich und der Iran zu Ausrüstern Syriens. So habe Syrien in den letzten Jahrzehnten große Mengen der Gifte Senfgas, Sarin, Tabun und VX produzieren können. Die genannten Anlagen verfügten über ein Produktionsvolumen von mehreren hundert Tonnen pro Jahr. Große Bestände an Chemiewaffen seien in den Jahren 2002 und 2003 unter Regie Russlands aus dem Irak nach Syrien verbracht worden. mit dpa/rtr

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