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System Putin: "Russland ist berechenbarer geworden"

Bei der Parlamentswahl hat die Partei "Einiges Russland" triumphiert. Alexander Rahr, Russlandexperte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik erklärt im Interview mit tagesspiegel.de, welche Rolle Putin in Zukunft spielen könnte.

Putin hat sich bei der Duma-Wahl die Zwei-Drittel-Mehrheit gesichert. Wird er jetzt eine Verfassungsänderung anstreben, um sich auch die Macht zu sichern?

Eines muss klar sein. Die Partei „Einiges Russland“, die praktisch die Putin-Partei ist, hat seit 2003 die Möglichkeit, die Verfassung zu verändern - seit der letzten Duma-Wahl und nicht erst seit heute. Aber sie hat das in der Vergangenheit nicht gemacht und wird das auch in Zukunft nicht tun. Die Verfassung soll nicht umgeschrieben werden, das hat man auch von Seiten der Parteiführung und von Putin selbst in der Wahlnacht mehrmals gehört. Stattdessen gibt es in Russland ein ganz anderes Problem: Putin würde gerne für sich eine andere Position einnehmen und von dort aus Einfluss auf die Politik nehmen. Aber sein eigenes Umfeld, das sehr stark ist, erklärt ihm jeden Tag, dass er nicht gehen soll, weil sein Weggang zu großen Instabilitäten im Machtgefüge führen würde.

Welche Szenarien sind jetzt nach der Wahl denkbar?

Das erste Szenario ist ein ganz normaler Machtübergang von Putin auf einen anderen starken Präsidenten. Das wäre Russland und der Stabilität im Land zu wünschen, denn das muss nicht bedeuten, dass der nächste Präsident diktatorisch regieren soll. Er muss durch die Wahlen legitimiert sein, muss eine starke Mannschaft besitzen und die Außen- und Innenpolitik unabhängig führen können. Er muss einfach ein normaler Präsident werden. Putin müsste hierfür allerdings tatsächlich zurücktreten und müsste auch auf alle Möglichkeiten verzichten, wieder an die Macht zurück zu kehren.

Die zweite Variante wäre ein schwacher Präsident, eine Marionette, die eingesetzt wird, um eine Stellvertreterfunktion für Putin oder den jetzigen Machtkreis im Kreml zu halten. Nach diesem könnte Putin auf Knopfdruck wiederkommen. Man müsste nur eine Krise im Land ausrufen und Neuwahlen ausrufen, dann wäre Putin wieder Präsident. Mit dieser Variante liebäugelt sein engstes Umfeld.

Die dritte Variante ist die Änderung der Verfassung im letzten Moment. Eine Ausrufung des Notstands oder einer Krise, die möglicherweise dazu führen würde, dass die Wahlen abgesagt werden und Putin Präsident bleibt. Ich glaube allerdings, dass das dritte Szenario auf keinen Fall eintritt. 

Am 17. Dezember soll der neue Kandidat ernannt werden. Was sind Ihrer Meinung nach die Alternativen?

Sergej Iwanow könnte der eher starke Präsident werden. Bei den eher schwachen oder technischen Präsidenten würde ich neben Viktor Subkow auch Boris Gryslow sehen. 

Und was wird dann aus Putin? 

Das ist eines der am besten gehüteten Geheimnisse im Kreml. Es bleiben nur noch wenige Tage, um die Entscheidung zu fällen und nicht einmal das nächste Umfeld weiß, wie Putin sich entscheiden wird. Das verunsichert die gesamte politische Elite und trägt nicht zu einer Stabilisierung im Land bei. 

Was wäre denn ein möglicher Posten für Putin, wenn er sagen würde, er verzichtet auf die Macht?

Der allerehrlichste Posten -  und einer, der ihm auch in Zukunft die Machtfülle verleihen würde, um weiterhin als politische und moralische Instanz hinter den Kulissen zu bleiben und sogar im Tandem mit dem Präsidenten mitzuregieren - wäre der des Parteichefs von „Einiges Russland“. Er hat alles getan, um sich mit der Partei zu verschmelzen. Auf die Partei kann er bauen. Das ist die Ressource für ihn, die ihn einerseits absichert, ihm einen Apparat verschafft und ihm auch die Möglichkeit gibt, von dort aus Spinnweben ins Parlament, ins Präsidentenamt und die Regierung zu weben. 

Warum ist Putin so wichtig für Russland?

Das ist die Frage, die man einem westlichen Zuschauer nicht erklären kann, weil man im Westen das Glück, den Aufstieg oder die Stärke eines Landes nicht an Personen, sondern an Institutionen ausmacht. Personenkult ist im Westen verpönt, vor allem nach den furchtbaren Ereignissen in Europa in der Mitte des letzten Jahrhunderts. In Osteuropa ist das genau umgekehrt. Institutionen bedeuten dort nichts. Wenn Putin geht, wird das von einem Großteil der Eliten und der Gesellschaft als Schwäche ausgelegt werden. Man versteht nicht, warum der Zar das Volk verlässt.

Was ist das große Verdienst Putins?

Er hat in Russland eine Marktwirtschaft etabliert. Keine liberale Marktwirtschaft, aber nichtsdestotrotz eine Marktwirtschaft. Er hat das Privateigentum zum ersten Mal in der russischen Geschichte legitimiert. Putin hat eine Mittelschicht geschaffen, eine Art Bürgertum, das sich zwar politisch nicht engagiert, aber nichtsdestotrotz in die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung eingebunden ist. Außerdem denke ich, dass Russland trotz der Konflikte mit dem Westen berechenbarer geworden ist. Russland ist wieder eine Größe in der Weltpolitik. Und ich finde, dass ein stabiles Russland, ein berechenbares Russland der Welt mehr dient als ein schwaches, stolperndes Russland.

Auch auf Kosten der Demokratie?

Das ist in der Tat das Problem. Die Demokratie in Russland wurde zwar nicht abgeschafft, aber sehr geschwächt. Ich würde mir wünschen, dass Kritik nicht nur von Seiten des Westens, sondern auch in Russland selbst geübt wird. Die Menschen in Russland leben verhaftet in einer Art Weimarer Komplex: Ein Volk, das sich gedemütigt fühlt, isoliert von allen, von Feinden umgeben. Daher hat sich eine Art Wagenburgdenken im Land und in der Gesellschaft durchgesetzt. Auch wirtschaftlich traut man sich nicht mehr über den Weg. Schuld daran ist nicht Putin, wie das die liberale Opposition gerne behauptet, sondern zu einem großen Teil auch der Westen, der Russland nicht das Gefühl gegeben hart, dazu zu gehören zur neuen Weltordnung. Stichwort Nato-Osterweiterung.

Wie ändert sich nun das Verhältnis Russlands zum Westen mit der Wahl?

Das muss man später im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen sehen. Das Parlament könnte mündiger und eine selbstständige Kraft werden, vor allem wenn dort die Partei unter der Führung Putins das Sagen haben wird. Wenn Putin und die Partei gestärkt aus der Wahl herausgehen, könnte die Partei das Parlament als Instrument benutzen Politik zu machen. Das wäre doch dann wünschenswert. Dann hätten wir vielleicht plötzlich Checks und Balances, wie wir uns das vor einigen Tagen noch gar nicht vorstellen konnten.

Interview: Nicole Meßmer

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