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Systematisch observiert: NRW-Staatskanzlei überwachte SPD

Ein Vertrauter von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers wusste von systematischer "Gegnerbeobachtung" per Video.

Die SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft traute ihren Augen nicht. Dass die eine oder andere Attacke gegen sie auch aus der Düsseldorfer Staatskanzlei befeuert worden war, hatte sie vermutet. Dass die CDU-geführte Regierungszentrale in den vergangenen Tagen allerdings eine deutlich aktivere Rolle gespielt hat als bisher bekannt, hatte sie sich nicht vorstellen können. „Ich habe nicht geglaubt, dass eine Partei, die sich christlich nennt, zu so einer Schmutzkampagne greift“, lautete die erste Reaktion der Oppositionsführerin, als sie die Kollegen vom „Focus“ mit Dokumenten konfrontierten, die nur einen Schluss zulassen: Die umstrittene Videoüberwachung mit bezahlten Profis ist nicht nur in der Staatskanzlei bekannt gewesen, sie ist offenbar durch die engsten Vertrauten von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers mitinszeniert worden. Ins Visier gerieten dabei nicht nur Hannelore Kraft, sondern auch SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier.

Auch dem Tagesspiegel liegen unterschiedliche interne Dokumente vor, die den E-Mail-Verkehr zwischen Staatskanzlei und der Düsseldorfer CDU-Parteizentrale abbilden. Dort werden unter der Überschrift „Gegnerbeobachtung“ zeitnah Informationen über Wahlkampfauftritte von SPD-Politikern ausgetauscht. Hannelore Kraft etwa wurde bei einer Veranstaltung am 8. September in Köln auch von CDU-Kameras begleitet. In dem Bericht wird angemerkt, dass nur 800 Leute anwesend waren, und dass sowohl Mitglieder der Piratenpartei als auch die Junge Union kräftig Stimmung gegen die SPD-Kandidatin gemacht haben.

„Insgesamt nicht sehr ergiebig, aber sie zeigt Nerven bei Störungen“, urteilt der christdemokratische Fachmann für die Gegenbeobachtung über die Aktion. Die entsprechende E-Mail landet schon gegen 21 Uhr am selben Abend beim obersten Politikplaner und Vertrauten von Jürgen Rüttgers, bei Boris Berger in der Staatskanzlei. Der freut sich über „gute Infos“ und fragt CDU-Parteisprecher Matthias Heidmeier: „Wie bündeln wir solche Infos, wie organisieren wir die dauerhafte Beobachtung und Archivierung der Infos?“ Heidmeier reagiert sofort und verspricht schon 14 Minuten später: „Toto Müller hat das jetzt im Griff. Jeder Auftritt von Kraftilanti mit Tonband und Kamera. Das Material machen wir jetzt zugänglich.“

Die Debatte um den YouTube-Wahlkampf wurde ausgelöst von einem Video, das Mitglieder der SPD-Jugendorganisation Jusos aufgenommen und ins Internet gestellt hatten. In dem Video äußert sich der CDU-Politiker bei einem Wahlkampfauftritt in Duisburg abfällig über die Arbeitsmoral rumänischer Arbeiter. Das Video hatte zu heftiger Kritik an Rüttgers und schließlich zu einer Entschuldigung des Ministerpräsidenten geführt.

Als im Anschluss an diese Debatte öffentlich wird, dass die CDU ihren politischen Gegner systematisch beobachtet, gibt die CDU zu, dass Hannelore Kraft schon seit langem auf Wahlkampfveranstaltungen beobachtet werde. Dabei waren zum Teil auch professionelle Filmteams im Einsatz. Auf Youtube etwa ist bereits seit acht Monaten ein Video zu sehen, in dem sich die SPD-Politikerin auf die Frage nach einer rot-roten Koalition scheinbar entlarvend verspricht. In der Überschrift des Videos wird Kraft, als Anspielung auf die hessische Fast-Ministerpräsidentin Andrea Ypsilanti, „Kraftilanti“ genannt.

Die Tatsache, dass die Beobachtungsaktionen bekannt wurden, führte zu heftigen Reaktionen in der CDU-Regierungszentrale. Boris Berger schimpft per Mail: „Da ist richtig Scheiße angerichtet worden! Das ist das zweite Eigentor, das wir in zwei Wochen schießen.“ Der angesprochene Generalsekretär Hendrik Wüst lässt über seinen Sprecher Heidmeier zurückschreiben, „dass das Adenauer-Haus selbstverständlich Videoüberwachung macht“. Man vermute, dass die Gegenseite ähnlich vorgehe.

Durch die vorliegenden Dokumente wird klar, dass die Düsseldorfer Staatskanzlei in viele Details der CDU-Parteiarbeit eingebunden war. Dabei hatte Parteisprecher Heidmeier eine Verwicklung von Rüttgers’ Regierungszentrale in die inzwischen gestoppten Aktionen verneint: „Mir ist davon nichts bekannt“, antwortete der nordrhein-westfälische Regierungssprecher auf die Frage, ob die Staatskanzlei von den Aktionen der Parteizentrale gewusst habe.

Rüttgers hat die Videoüberwachung durch seine Parteibasis inzwischen gestoppt und sich dabei auf die moralische Autorität von Ex-Bundespräsident Johannes Rau berufen. Dies wiederum treibt Hannelore Kraft inzwischen Zornesröte ins Gesicht: „Der Mann hat jedes Recht verloren, sich auf Johannes Rau zu berufen.“ Wenig später fügt sie hinzu: „Ich fordere ihn auf, die notwendige Trennung zwischen Regierungs- und Parteiarbeit wiederherzustellen.“

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