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Nichts wie weg: Manche Schulen bitten ihre Eltern, wegen überbelegter Horte ihre Kinder direkt nach dem Unterricht abzuholen

© Philipp Schulze/dpa

Tadel fürs Türkischsprechen: Eine Strafarbeit wird zum Politikum

Eine Lehrerin in Baden-Württemberg tadelt ein Mädchen, weil es in der Pause türkisch spricht. Geben die Regeln das her? Ein viel gelobter Konsens wird brüchig.

Deutschpflicht an Schulen? Es ist ein älteres Thema, das Politik und Eltern länger bewegt hat, um das es aber etwas stiller geworden ist, seit es sich die AfD anzueignen versucht. Dass sich die Konflikte darum keineswegs erledigt haben, zeigt jetzt ein Schulhofstreit in der kleinen Stadt Blumberg im Südschwarzwald. Eine örtliche Grundschule gehört zur bundesweit überschaubaren Zahl derjenigen Institute, die sich förmlich auf Deutsch als gemeinsame Schulsprache festgelegt haben – und zwar bis auf den Pausenhof. Das würde den Umgang erleichtern angesichts von mehr als 40 Prozent Kindern mit Migrationshintergründen aus 16 Nationen, heißt es.

Ein Vorfall an einem Klettergerüst vor vier Wochen ist nun eskaliert und beschäftigt die Behörden bis hinauf ins Baden-Württembergische Kultusministerium. Bundesweit berichten die Medien. Im Internet tobt die Debatte, sie reicht schon bis in die Türkei.

Was war passiert? Es gab Streitereien, zwei Drittklässlerinnen tauschten sich dabei sich auf Türkisch aus, andere verpfiffen sie an das Lehrpersonal. Eines der Mädchen bekam eine Art Strafarbeit aufgebrummt; sie sollte einen Kurzaufsatz schreiben, warum man in Blumberg das Deutsch als Schulsprache so wichtig nimmt.

Auf Strafe verzichtet oder doppelte Strafe angedroht?

Bei dem, was dann gefolgt sein soll, gehen die Darstellungen auseinander. Aus dem Freiburger Regierungspräsidium heißt es, die Lehrerin habe im Telefonat mit der Mutter umgehend auf die Strafarbeit verzichtet. Der Anwalt der Familie Yalcin Tekinoglu sagt, sie habe ihre Sanktion verteidigt und die doppelte Strafe angedroht, sollte das Mädchen den Text nicht zeitgerecht abgeben.

Offenbar gegen den Willen der Eltern gab die Neunjährige die Arbeit ab. Nun werden juristische Geschütze aufgefahren. Tekinoglu legte einen Widerspruch gegen die Maßnahme ein, erhob beim Kultusministerium eine umfangreiche „Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde“ gegen die Lehrerin und ihre Vorgesetzten und erklärte im Gespräch mit dem Tagesspiegel, dass er nun auch verwaltungsgerichtlich bisher fehlende Informationen einklagen wolle: Etwa die dienstliche Stellungnahme der Lehrerin, den angeblichen Beschluss der Schulkonferenz zur Deutschpflicht sowie Erklärungen dazu, welche Sprachen denn geduldet werden. Der Anwalt verdächtigt die Schule, Unterhaltungen in „Prestigesprachen“ wie Englisch oder Französisch ungeahndet zu lassen. Überhaupt seien die Sprach-Binnenregeln den Eltern unbekannt gewesen.

Nach dem Unterricht geht es in die Grauzone

Das für die Schule und die Prüfung des Widerspruchs zuständige Freiburger Regierungspräsidium verteidigt den Vorgang. Es spricht von „Klassenregeln“ in Blumberg, die die Schülerinnen und Schüler jährlich erneuerten und die auf den Elternabenden vorgestellt würden. Auch die Maßnahme bei Verstößen sei regulär und soll im Konsens verabschiedet worden sein.

Fraglich bleibt, ob solches Vorgehen zulässig ist. Im Unterricht wird Deutsch gesprochen, das ist klar. Aber davor und danach geht es in die Grauzone. Die Familie und ihr Anwalt mutmaßen eine fortgesetzte Diskriminierung. Der Gebrauch von Mehrsprachigkeit sei Teil der der grundgesetzlich geschützten Persönlichkeit.

Im Prinzip befinden sie sich damit im Einklang mit dem Stuttgarter Kultusministerium. Entsprechend hatte man sich vor drei Jahren auf eine parlamentarische Anfrage der AfD-Fraktion im Landtag geäußert.  „Es gibt natürlich keine Rechtsgrundlage, um von staatlicher Seite die Vorgabe zum Gespräch in der deutschen Sprache verbindlich vorzuschreiben“, bestätigt jetzt Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) auf Anfrage. Dann folgt das Aber: Sie finde es „gut“, wenn sich eine Schulgemeinschaft dennoch auf eine Art „Amtssprache Deutsch“ auf dem ganzen Schulgelände verständige.

Berlin war Vorbild - auch für die AfD

Solche Exempel gibt es nicht nur in Baden-Württemberg. Als Vorbild für die AfD-Anfrage von 2017 hielt eine Berliner Schule her, die Herbert Hoover Sekundarschule in Gesundbrunnen. Hier hatte man sich nach Konflikten in der Schülerschaft schon 2006 auf das Prinzip „Wir sprechen eine Sprache“ geeinigt. Das würde in „Bildungsvereinbarungen“ mit den Eltern regelmäßig bekräftigt. „Vollkommen normal“ sei das in den Jahren geworden, betont Schulleiterin Jane Natz. Anders als in Baden-Württemberg würde die Schule aber niemals Sanktionen verhängen, sagt Natz. Eine Deutschpflicht auf dem Schulgelände sei nichts, was man aufzwingen könne. „Das geht nur freiwillig“.

Gleichwohl ein Modell, dass nach Auskunft der Schulverwaltung in Berlin singulär geblieben sein soll. In jüngerer Zeit ist die Kritik an solchen Festlegungen auch lauter geworden. Bildungsexperten sehen darin keinen Fortschritt und betonen eher Gefahren, dass Kinder sich isoliert fühlten.

Trotzdem bleibt das aktuelle Problem: Kann ein Kind aufgrund von Selbstverpflichtungen bestraft werden, wenn es dafür keine Rechtsgrundlage gibt und geben kann? Die Blumberger Eltern scheinen das Modell „Deutsch als freiwillige Pflicht für alle“ grundsätzlich hinterfragen zu wollen. Womöglich mit dem Ergebnis, dass sich keiner daranhalten muss. Anlass wäre dann eine Strafarbeit gewesen, auf deren Anfertigung rückblickend wohl alle Beteiligten lieber verzichtet hätten.

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