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Tag der Arbeit: Sind Gewerkschaften noch zeitgemäß?

Auch in diesem Jahr rufen Arbeitnehmerorganisationen für den 1. Mai zur Demonstration auf. Der Tag der Arbeit erfüllt einen wichtigen Zweck für die Gewerkschaften: Mitglieder mobilisieren und wahrgenommen werden.

Bei den Demos zum 1. Mai fordern die Gewerkschaften in diesem Jahr unter dem etwas sperrig klingenden Motto „Das ist das Mindeste!“ faire Löhne, gute Arbeit und soziale Sicherheit. Einst wurden sie gegründet, um die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten. Doch seit einiger Zeit kämpfen die deutschen Gewerkschaften nicht mehr nur für bessere Arbeitsbedingungen, sondern auch gegen sinkende Mitgliederzahlen. Jetzt versuchen sie mit speziellen Kampagnen, junge Leute für sich zu gewinnen.

Wer sind die Gewerkschaften?

Statt Kundgebung und Marktplatzappellen nun also eine „Roadshow“. Die IG Metall hat bei ihrer neuen Kampagne die Jugend im Blick, da die „besonders unter unsicheren Lebens- und Arbeitsbedingungen leidet“. Tatsächlich arbeitet mehr als die Hälfte aller jungen Menschen hierzulande prekär: als Leiharbeiter, befristet oder als Minijobber, nur ausgestattet mit einem Werkvertrag, in jedem Fall unsicher und meist schlecht bezahlt. Die Politik nimmt das nicht nur hin, sie hat einen breiten Niedriglohnsektor forciert.

Mehr als anderthalb Millionen Mitglieder haben die acht DGB-Gewerkschaften in den vergangenen zehn Jahren verloren. 2008, der Abwärtstrend war gerade gestoppt, kam die Finanzkrise. Inzwischen geht es leicht aufwärts. Mag der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Martin Kannegiesser, den „Tag der Arbeit“ auch für überholt und viele Positionen der Gewerkschaften für nicht mehr zeitgemäß halten, wie in seinem Gastbeitrag für die „Bild am Sonntag“ – Tatsache ist, dass junge Leute sich den vermeintlich verstaubten Organisationen wieder anschließen. „Einmischen und Mitmachen – das hat wieder einen guten Leumund“, sagt Hans-Joachim Schabedoth, einer der Strategen der IG Metall.

Und die Gewerkschaften werden wieder gehört. Angela Merkel schätzt den Rat des IG-Metall-Vorsitzenden Berthold Huber. Das war schon mal anders, Gerhard Schröder soll zu einem Wirtschaftsboss auf der Terrasse des Kanzleramtes gesagt haben: „Wenn die nicht spuren, mach ich die kaputt.“ Gemeint waren ein paar hundert Verdi-Mitglieder, die vor dem Reichstag demonstrierten.

Haben Gewerkschaften ein Imageproblem?

Kaputt sind sie nicht, aber angeschlagen. Das Kerngeschäft der Gewerkschaften, die Organisation von Solidarität, ist unter dem ausgeprägten Individualismus der Gesellschaft immer schwieriger geworden. Mit der Krise hat sich das geändert. Weil die Gewerkschaften geholfen haben bei der Krisenbewältigung und weil die Ursachen der Krise im regulierungsfreien Turbokapitalismus liegen. Das wirtschaftspolitische Mantra der Jahre nach dem Ende des Kommunismus – Liberalisieren, Deregulieren, Privatisieren – ist Geschichte. Doch das gewerkschaftliche Motto dieser Tage, „Gute Arbeit, gutes Leben“, ist noch weit entfernt von der Umsetzung in einem Land mit mehr als sieben Millionen Minijobbern. Denen geht es nicht gleich besser, wenn sie alle Mitglied bei Verdi oder der IG Metall werden. Doch der Zusammenhang ist schlicht: Je mehr Arbeitnehmer eines Betriebs oder einer Branche organisiert sind, desto besser sind die Arbeitsbedingungen, desto höher ist das Gehalt. Und das muss nicht zum Schaden der Unternehmen sein. In Baden-Württemberg etwa, wo die IG Metall bärenstark ist, sind Maschinen- und Fahrzeugbau äußerst erfolgreich.

Betonköpfe und Systemfeinde prägen schon lange nicht mehr das Bild der Gewerkschaften, auch wenn Verdi-Chef Frank Bsirske bisweilen mit Klassenkampfrhetorik und -gestik aus der Reihe tanzt. Den Ton geben vielmehr die Pragmatiker an, gewissermaßen Manager der Arbeitsbeziehungen, die bei der Vertretung der Arbeitnehmerinteressen die Wettbewerbsfähigkeit des Arbeitgebers nicht aus dem Auge verlieren.

Haben sich die Gewerkschaften verändert?

Die Bewältigung der Wirtschaftskrise ohne massenhafte Entlassungen verdankt sich dem deutschen Sozialsystem und der Sozialpartnerschaft. Wichtiger als die Kurzarbeit war dabei, so meint jedenfalls Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, die Flexibilität in den Betrieben. Einfach gesagt wird viel gearbeitet, wenn es Aufträge gibt, und wenig gearbeitet, wenn nichts los ist. Diese „atmende Fabrik“ ist weltweit einzigartig – und verdankt sich Arbeitszeitmodellen, die von Gewerkschaftern mit entwickelt und durchgesetzt wurden. Von „interner Flexibilität“ sprechen die Gewerkschaften, und wehren sich entschieden gegen die „externe Flexibilität“: den Einsatz von Leiharbeitnehmern zu Dumpinglöhnen, wie ihn die Politik erlaubt hat.

Vom „Tarifkartell“ war früher oft die Rede, wenn Systemkritiker wie der langjährige Industriepräsident Hans-Olaf Henkel den Prozess der Lohnfindung denunzieren wollten. Inzwischen ist das Korsett des Flächentarifs aufgeschnürt, die Betriebe haben die Möglichkeit der Abweichung vom Flächentarif. Trotzdem ist die Tarifbindung kontinuierlich gesunken, tausendfach haben die Unternehmen die entsprechenden Arbeitgeberverbände verlassen, um nicht mehr Tarif zahlen zu müssen. Vor allem in Ostdeutschland, wo die Gewerkschaften sehr schwach sind, zahlen die Firmen was sie wollen. Also wenig. Reiner Haseloff (CDU), der neue Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, fordert inzwischen die Unternehmen auf, sich einem Arbeitgeberverband anzuschließen und Tarif zu zahlen. Und die Arbeitnehmer mögen doch bitte einer Gewerkschaft beitreten. Haseloff hat erkannt, wie relevant Verbände und Gewerkschaften für einen erfolgreichen Wirtschaftsstandort sind. Und wie wichtig anständige Bezahlung ist.

Wie ist das Verhältnis zu den Arbeitgebern?

Im Bereich der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die vor zehn Jahren aus fünf Arbeitnehmerorganisationen entstand, ist jeden Tag eine Branche oder ein Betrieb im Arbeitskampf. „Das Klima hat sich weiter verschärft“, sagt Verdi-Sprecher Christoph Schmitz. „Es gibt so gut wie keine Tarifrunde mehr ohne Konflikt.“ Selbst bei einem Konzern wie RWE, der im vergangenen Jahr einen Rekordgewinn erwirtschaftete, rief Verdi zum Warnstreik auf. Das erste Mal seit 1919. Ob bei der Telekom oder der Post, im Verlagsbereich, der Touristik oder bei Banken und Versicherungen – Verdi tut sich schwer, mehr Geld für die eigenen Leute durchzusetzen. Auch wegen der Tarifflucht der Unternehmen. „Da muss man sich vieles zurückkämpfen“, sagt Schmitz. Dieser „Häuserkampf“ funktioniert aber nur, wenn man Mitglieder hat in den Unternehmen. Verdi bemüht sich derzeit verstärkt um die Organisation von Pflegepersonal in Krankenhäusern. Dort wurden Stellen abgebaut, zunehmende Belastung und schlechte Bezahlung haben zu einer „Flucht aus dem Beruf“ geführt, sagt Schmitz. Ohnehin sind die personenbezogenen Dienstleistungen in Deutschland schlecht bezahlt. Der Industrie und den Industriegewerkschaften geht es besser. Die Zeiten permanenter Erpressung der Belegschaften – es gibt eine Investition nur unter der Bedingung, dass die Arbeitnehmer dafür mit Zugeständnissen zahlen – sind vorbei. Auch weil in den Firmen nach der Krise „die Erfahrung des Zusammenhalts noch anhält“, wie Christian Hülsmeier von der Chemiegewerkschaft IG BCE sagt. „Niemand will der Böse sein, der die Gemeinsamkeit infrage stellt.“ Doch das bleibt nicht so. Deshalb bemüht sich auch die IG BCE verstärkt um Nachwuchs. Hülsmeier berichtet von Jugendtreffen mit Party und beinahe ideologiefreien Diskussionen. Gewerkschaft soll Spaß machen.

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