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Politik: Tag der Deutschen Einheit: Dann kommt Kohl

"In einer Situation wie heute", sagt Eberhard Diepgen und guckt nach rechts, wo Helmut Kohl steht, "in einer solchen Situation wäre mir wohler, wenn wir einen Kanzler mit ähnlicher internationaler Erfahrung hätten." Der Altkanzler verzieht keine Miene, obwohl das Publikum auf dem Wittenbergplatz in Berlin jetzt besonders laut klatscht.

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"In einer Situation wie heute", sagt Eberhard Diepgen und guckt nach rechts, wo Helmut Kohl steht, "in einer solchen Situation wäre mir wohler, wenn wir einen Kanzler mit ähnlicher internationaler Erfahrung hätten." Der Altkanzler verzieht keine Miene, obwohl das Publikum auf dem Wittenbergplatz in Berlin jetzt besonders laut klatscht. Die weißhaarige alte Dame an der Absperrung vor dem Rednerpult nickt sehr heftig mit dem Kopf. Ihr wäre auch wohler, wenn alles noch so wäre, wie es einmal war.

Es liegt viel Nostalgie über dieser Kundgebung der CDU am Dienstagnachmittag, und das nicht nur des offiziellen Anlasses wegen. Dass am Vorabend des Tages der Einheit Erinnerungen heraufbeschworen werden, zumal wenn der Hauptredner Helmut Kohl heißt, ist nur natürlich. Aber das Gestern dominiert die knapp zwei Stunden noch auf andere Weise. Es ist der alte Westen Berlins, der hier beisammen steht. "Niemals", murmelt ein Chor älterer Männer jedesmal, wenn wieder einer der Redner die Schreckensvision an die Wand gemalt hat, Berlin könnte sich nach der Wahl vom 21. Oktober von der "Stadt der Freiheit" (CDU-Chefin Angela Merkel) in die "dritte sozialistische Hauptstadt nach Peking und Havanna" (Spitzenkandidat Frank Steffel) verwandeln.

Es ist schon beim Einzug ein bisschen wie damals: Kohl dreht, rechts und links Hände schüttelnd, eine Runde durch das Publikum, hinter ihm Merkel, dann die zwei Berliner Lokalmatadoren. Merkel bekommt in ihrer kurzen Einführungsrede besonders viel Beifall, als sie Diepgen für seine mehr als 15-jährige Regentschaft dankt. Steffel malt die drohende rote Gefahr so markig aus, dass die weißhaarige alte Dame in der ersten Reihe ganz ängstlich dreinschaut.

Dann kommt Kohl. Es ist der erste öffentliche Auftritt nach dem Tod seiner Frau. Fast reglos hat er bisher neben Merkel gestanden. Am Rednerpult, von Beifall umspült, lächelt er zum ersten Mal. Und dann erzählt er, dass der 3. Oktober für ihn immer wieder "ein Tag der Freude" sei, und erzählt noch einmal, wie es dazu kam. Dazwischen ein erster Seitenhieb auf die Sozialdemokraten: "Sie wollten die Teilung verewigen!" Das ist sein Thema, immer noch: Die Roten, die erst mit den Knallroten nichts zu tun haben wollen und nun mit ihnen paktieren. "Es ist eine unglaubliche Dreistigkeit, die hier vor allem Volk vonstatten gegangen ist", ruft Kohl. "Aber so lange es die Christlich Demokratische Union gibt, werden wir alles, aber auch alles tun, dass solche Leute in Deutschland nie wieder das Sagen haben!" Die weißhaarige alte Dame klatscht. Sie sieht jetzt wieder etwas zuversichtlicher aus. Es ist jetzt auf dem Platz neben dem Kaufhaus des Westens ein bisschen so, wie es einmal war.

Auch in Stuttgart, wo Helmut Kohl am Mittwoch aufgetreten ist, darf er den Staatsmann geben. Er sei überzeugt, dass dem Euro eine "Erfolgsgeschichte wie der Mark" beschieden sein wird, sagte er bei einer Feierstunde der CDU vor 1000 Zuhörern. Der Euro werde nach dem Dollar und vor dem Yen die große Weltwährung, seine Einführung im nächsten Jahr die europäische Einigung "unumkehrbar" machen. Schon in fünf Jahren werde man in London, in zehn Jahren in Zürich damit zahlen, "denn die Schweizer können besser rechnen als wir". Hart ins Gericht ging Kohl mit seinem Nachfolger Bundeskanzler Gerhard Schröder und mit Außenminister Joschka Fischer, die sich in Sachen deutsche Einheit heute als "Geschichtsfälscher" betätigten.

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