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Ein Pegida-Anhänger in Dresden mit einem Eier-Karton - "für Frau Merkel und Herrn Gauck".

© Arno Burgi/AFP

Tag der Deutschen Einheit in Dresden: "Merkel muss weg" - oder eben nicht!

Es ist eine List der Geschichte: Je lauter rechte Claqueure "Merkel muss weg" rufen, desto stärker immunisieren sie die Kanzlerin gegen echte Kritik. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Vor zwei Jahren veröffentlichte der „Spiegel“-Redakteur Dirk Kurbjuweit ein Buch über Angela Merkel mit dem Titel „Alternativlos“. Darin heißt es: „Früher hat man ja Sätze gehört wie ,Kohl muss weg’ oder ,Schröder muss weg’. Ich glaube, niemand sagt jetzt ,Merkel muss weg’, weil sie niemand bedroht oder lästig wird, weil sie einfach so ist, wie sie ist.“ Das war, man muss es fairerweise betonen, vor der Flüchtlingskrise, vor Pegida, vor den Erfolgen der AfD. Denn „Merkel muss weg“ wird inzwischen landauf, landab skandiert. Es gibt entsprechende Petitionen, Aufkleber, T-Shirts. Die Merkel-muss-weg-Bewegung blüht und gedeiht.

Doch genau die, die diese Parole verbreiten, kontaminieren ihre eigene Botschaft. Denn es sind ja vor allem Rechte und Rechtspopulisten, die die Kanzlerin wegen ihrer Flüchtlingspolitik als Inkarnation des Niederträchtigen an- und begreifen. Sie werfen ihr außerdem vor, eine „Volksverräterin“ zu sein. Plötzlich zieht Merkel Hass auf sich. Sie wirkt wie das Objekt niedrigster politischer Instinkte. Das führt, fast automatisch, zu Solidarisierungseffekten.

„Merkel muss weg“: Kaum ein Demokrat kann und will sich künftig mit einer solchen Parole noch gemein machen. Das immunisiert die Kanzlerin sowohl gegen eine offene parteiinterne Rebellion als auch gegen einen harten personalisierten Wahlkampf der parlamentarischen Opposition. Kein Linker, kein Grüner und erst recht kein Sozialdemokrat – und nicht einmal Horst Seehofer – wird je vor seinen Anhängern stehen und diese drei Worte sagen. Schließlich schwingt in ihnen weit mehr mit als eine Rücktrittsforderung. Sie klingen wie ein Schlachtruf.

Ein kurzes, klitzekleines Lächeln im Gesicht der Kanzlerin

Das war früher in der Tat anders. „Kohl muss weg“ schallte es herzhaft aus den Mündern prominenter Sozialdemokraten wie Franz Müntefering oder Oskar Lafontaine. In Bierzelten der Sozialdemokratie wurde rhythmisch dazu geklatscht. „Schröder muss weg“ riefen Zehntausende bei den Montagsdemonstrationen gegen die Agenda 2010 und Hartz-IV-Gesetze. Der DGB stimmte mit ein, und Edmund Stoiber blies in dasselbe Horn. Es ist ja auch weder despektierlich noch unstatthaft, sich pointiert gegen die Politik eines amtierenden Kanzlers auszusprechen. Vielmehr ist es ein ganz normaler demokratischer Vorgang.

Doch ganz normal ist seit dem Vormarsch der Rechtspopulisten in Deutschland immer weniger. Insofern erinnert die Dynamik an die Unterstützungsbereitschaft, die Merkel ebenfalls in Deutschland erfuhr, nachdem sie von griechischen, polnischen und türkischen Zeitungen mit Hitler-Bart und in Nazi-Montur gezeigt worden war. Ob bei angeblichem Spar-Diktat, einer angeblichen EU-Dominanz oder wegen der Armenien-Resolution, stets gilt die alte Regel: Je bösartiger der Angriff, desto größer die Bereitschaft, der oder dem Angegriffenen zur Seite zu stehen.

„Merkel muss weg“: Die Geschichte ist meist listiger als ihre Protagonisten. Und lustiger zumal. War da nicht in Dresden ein kurzes, klitzekleines Lächeln im Gesicht der Kanzlerin zu sehen, als sie den Slogan der rechten Claqueure hörte? Einen Grund dafür hätte sie gehabt.

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