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Taliban: Ganz Pakistan ist Kampfgebiet

Eine Terrorwelle erschüttert Pakistan. In der Taliban-Hochburg Süd-Wasiristan finden heftige Kämpfe statt.

„Rah-i-Nijaat“, Pfad der Erlösung, hat das Militär die Offensive getauft, die Medien sprechen von Pakistans „großer Schlacht“. Seit einer Woche greifen 28 000 Soldaten die Taliban in ihrer Hochburg Süd-Wasiristan an der afghanischen Grenze an. Doch die Militanten wehren sich erbittert. Am Freitag erschütterte erneut eine blutige Terrorserie den Atomstaat. Ganz Pakistan sei nun Kampfgebiet, drohte Qari Hussain, einer der Taliban-Führer. In nur drei Wochen starben bald 200 Menschen durch Terrorakte.

Nahe der Luftwaffenbasis Kamra, 65 Kilometer von Islamabad, sprengte sich ein Selbstmordattentäter an einer Straßensperre in die Luft. Sieben Menschen wurden getötet. Kamra wurde in Zusammenhang mit Atomwaffen erwähnt. Die Armee bestreitet dies. Im Nordwesten fuhr eine Hochzeitsgesellschaft auf eine Landmine, die vermutlich für die Armee bestimmt war. 18 Menschen, darunter vier Kinder, starben. In Peshawar explodierte eine Autobombe vor einem Restaurant, 15 Menschen wurden verletzt.

Amerikanische und indische Militärexperten äußern Sorge, ob Pakistan die Schlacht gewinnen kann. Die Offensive zielt auf den Verband Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP) und seinen neuen Führer Hakimullah Mehsud. Die Militanten scheinen stärker als gedacht. Seit Tagen liefern sich Militär und Extremisten heftige Kämpfe um die Stadt Kotkai, die als Tor zu den Taliban-Stützpunkten gilt.

Lange hatte sich Pakistans Führung in dem Glauben gewiegt, sie könne sich mit den Taliban arrangieren. Doch immer dreister greifen nun Hakimullahs Kämpfer, die angeblich mit Al Qaida vernetzt und vereint sind, Staat und Sicherheitskräfte an. 5000 bis 15 000 Taliban- und Al Qaida-Kämpfer sollen sich in Süd-Wasiristan tummeln, darunter auch 2000 usbekische und arabische Kämpfer.

Die Menschen sind in Angst. Die Verunsicherung sei riesengroß, sagt Gregor Enste von der Heinrich-Böll-Stiftung in Lahore. Vor allem der Anschlag auf die Islamische Universität in Islamabad am Dienstag, bei dem sechs Menschen starben, sendete Schockwellen aus. Damit überschritten die Extremisten eine neue Grenze. Die Regierung ließ alle Universitäten und Schulen bis auf Weiteres schließen. Studenten demonstrierten gegen diese Entscheidung, die sie für die falsche Antwort halten.

Die zivile Regierung gibt keine allzu gute Figur ab. Die meisten Politiker ducken sich weg und lassen die Menschen allein mit der Angst. „Wo sind unsere Führer?“, fragte die Zeitung Dawn irritiert. Rund 120 000 Menschen sollen vor den Kämpfen geflohen sein. Es gibt Kritik, dass die Notcamps nicht für die absehbaren Menschenmassen gewappnet sind. Im Kampfgebiet sollen Zivilisten im Kreuzfeuer sterben. Mindestens 300 Häuser sollen zerbombt worden sein.

Auch in Pakistans Nachbarländern nährt die Offensive Angst vor Terrorakten. Die Extremisten könnten versuchen, mit Anschlägen Grenzkonflikte zu entfachen, damit die Armee die Offensive in Süd-Wasiristan abbrechen muss. In Indien geht die Angst vor einem „zweiten Mumbai“ um. Der Iran vermutete, dass Kräfte aus Pakistan in den Anschlag auf die Revolutionsgarden mit 41 Toten am vergangenen Sonntag verwickelt sind.

Der Ausgang der „großen Schlacht“ um Süd-Wasiristan ist ungewiss. Zwar erwägt das Militär, die Zahl der Soldaten in Süd-Wasiristan von 28 000 auf 60 000 aufzustocken. Doch Sri Lanka brauchte drei Jahre und 100 000 Soldaten, um die 10 000 Tamilen-Rebellen der LTTE zu besiegen. Indien soll zeitweise bis zu 600 000 Soldaten im Unruheherd Kaschmir stationiert gehabt haben. Und in Afghanistan erlebt man, dass 100 000 ausländische Truppen offenbar viel zu wenig sind, um der Taliban Herr zu werden. Auch das Gezänk in den USA über die neue Strategie für die Region stärkt den Kampfeswillen in Pakistan kaum.

Christine Möllhoff[Neu Delhi]

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