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Politik: Tarifpolitik: Gemeinsam eine Niederlage erringen

Bis zum 6. Mai sind es noch 17 Tage.

Bis zum 6. Mai sind es noch 17 Tage. 17 Tage anstatt einer einzigen langen Nacht, in der sich Arbeitgeber und Gewerkschafter am Freitag nicht aufs Geld verständigen konnten. Deshalb soll nun im Arbeitskampf der Konflikt gelöst werden; vom 6. Mai an stehen voraussichtlich die Räder still. Das ist eine schlimme Aussicht für die Konjunktur und den Kanzler. Der zarte Frühlingsaufschwung wird den Streik nicht überstehen. Und ähnlich kann es - ohne Aufschwung - Arbeitslosenkanzler Gerhard Schröder bei der Wahl ergehen. Also Händeringen allerorten: Wie kann die Katastrophe noch verhindert werden? Wie schützt man die Wirtschaft vor größerem Schaden?

Die Arbeitgeber gehen ein hohes Risiko ein. Wegen ein paar zehntel Prozentpunkten haben sie die Verhandlungen scheitern lassen und den Arbeitskampf in Kauf genommen. Es hätte Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser klar sein müssen, dass Klaus Zwickel nur einen Abschluss unterschreiben wird, der über den 3,3 Prozent der Chemieindustrie liegt. Dafür ist die IG Metall zu stolz und zu mächtig; und dafür hat die Gewerkschaft nicht viele hunderttausend Metaller in den vergangenen Wochen auf die Straße gerufen, um der Lohnforderung Gewicht zu geben. Wenn es zum richtigen Streik kommt, dann kann die Sache für die Unternehmen böse enden, weil mit jedem Kampftag die Ansprüche der Arbeitnehmer steigen. Je härter und länger der Arbeitskampf, desto teurer der Abschluss. Und dennoch: Die Arbeitgeber haben die Verhandlungen nicht leichtfertig platzen lassen. Ein zehntel Prozentpunkt mehr Lohn macht in der gesamten Metallindustrie immerhin 165 Millionen Euro aus. Anders gesagt: Was die Arbeitgeber der IG Metall angeboten haben, kostet die Firmen rund 5,5 Milliarden Euro.

Ist das nichts? Der IG Metall ist es nicht genug. Dabei scheinen die Gewerkschafter in Anbetracht der Lage jedes Maß verloren zu haben: Im Februar haben die Unternehmen 9,6 Prozent weniger produziert als ein Jahr zuvor. Der wichtigste Wirtschaftszweig, die Autoindustrie, erleidet derzeit die größte Absatzkrise seit Jahren. Trotzdem will die IG Metall mit einer Vier vor dem Komma abschließen. Ist das Ende der Bescheidenheit auch das Ende der Vernunft?

Die Arbeitnehmer haben Nachholbedarf, weil es in den letzten Jahren nicht viel Geld gegeben hat. Das ist sozusagen das ausgleichende Momentum in der Tarifpolitik: Die gegenwärtige Forderung ist so hoch, weil die vergangenen Abschlüsse so gering waren. Umgekehrt funktioniert das genauso. In den Jahren nach 1995 - damals wurde in Bayern eine deftige Lohnerhöhung erstreikt - gab es moderate Abschlüsse. Anders gesagt: In der Tarifpolitik sind die Siege von heute die Niederlagen von morgen. Und weil das so ist, kommt meistens ein Kompromiss zustande, mit dem alle ganz ordentlich leben können.

Das wird dieses Mal schwer. Ein Abschluss über vier Prozent ist für viele Unternehmen zu hoch, bei einem Abschluss unter vier Prozent fliegen Klaus Zwickel die Mitgliedsbücher um die Ohren. Die Sache ist verzwickt. An dieser Stelle tritt normalerweise der Schlichter auf. Nicht so im Tarifdrama 2002, in dem die IG Metall keine Schlichtung, sondern einen Arbeitskampf will. Und dennoch: Bis zum 6. Mai kann viel passieren. Kannegiesser und Zwickel sind keine Rabauken, die ihre Interessen auf Kosten der gesamten Wirtschaft durchsetzen. Im Übrigen wird Schröder nicht nur das weitere Geschehen beobachten, das wissen beide Seiten. Zwickel lehnt einen Schlichter zwar ab. Aber den Kanzler als Vermittler wird er nicht aussperren.

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