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Der britische Regierungschef David Cameron möchte Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsidenten verhindern.

© dpa

Tauziehen um Juncker: Merkel darf die Wähler nicht enttäuschen

In der vergangenen Woche hat sich Angela Merkel für den Luxemburger Jean-Claude Juncker als neuen Chef der EU-Kommission ausgesprochen. Es ist zu hoffen, dass es die letzte Volte der Kanzlerin in der Causa Juncker ist.

Politik ist die Kunst des Möglichen. Wo liegt nun, eine gute Woche nach der Europawahl, das Mögliche für Europa? Die vergangene Woche war ziemlich turbulent: Erst brachte sie ein klares Wahlergebnis, dann führte sie ins altbekannte Europa der Hinterzimmer und schließlich nach Regensburg. Wie soll es jetzt weitergehen?
Noch ist nicht ausgemacht, wie das parteipolitische Experiment, erstmals Spitzenkandidaten bei der Europawahl aufzustellen, ausgeht. Ob Jean-Claude Juncker am Ende doch einpacken muss, weil der britische Regierungschef David Cameron bei seinem „No“ bleibt, oder ob ihn der geballte Zorn der Europaabgeordneten ins Amt des EU-Kommissionschefs trägt – der unübersichtliche Verhandlungsbasar zwischen Brüssel und den Nationalstaaten ist eröffnet, aber noch lange nicht beendet. Aber seit sich Kanzlerin Angela Merkel beim Katholikentag in der Oberpfalz ungewohnt deutlich für Juncker aussprach, ist zumindest klar, wohin die Reise geht: ins Offene. Am Ende könnte das demokratische Fundament des Brüsseler EU-Betriebs verbreitert werden – oder die Wähler stehen als Verlierer da.
Es sind große demokratietheoretische Fragen, die in diesen Tagen in Europa verhandelt werden. Als Cameron vor vier Jahren zum Premierminister gewählt wurde, gaben immerhin 65 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Das ist deutlich mehr als bei der Europawahl, die von den Sozialdemokraten und – nach einigem Zögern – auch von den Konservativen als Votum über den nächsten EU-Kommissionschef gewollt war. Cameron und alle anderen Regierungschefs, die den Luxemburger auf diesem Posten verhindern möchten, können auf den Wählerwillen verweisen, der sie seinerzeit in ihre Ämter beförderte. Aber die Millionen Europäer, die dem Spitzenkandidatenrennen zwischen Juncker und seinem sozialdemokratischen Rivalen Martin Schulz etwas abgewannen und einen von beiden zum Wahlsieger machten, lassen sich nun auch nicht mehr ignorieren. Eine klassische Pattsituation.

Merkel ließ eine klare Linie vermissen

Spät hat Merkel dabei Farbe bekannt. Von Anfang an folgte ihre Linie – sofern man davon überhaupt sprechen kann – in der Spitzenkandidatenfrage eher einem Zickzackkurs: Erst wollte sie vom ganzen Verfahren nichts wissen, dann machte sie, getrieben von den Sozialdemokraten, doch mit. Und in der zurückliegenden Woche beschied sie Junckers Ambitionen in Brüssel zunächst mit Eiseskälte, um sich dann vom Geist von Regensburg leiten zu lassen. Eine gute Wendung. Es ist zu hoffen, dass es Merkels letzte Volte in dieser Angelegenheit war. Wer nun Politik als Kunst des Möglichen begreift, könnte zu dem Ergebnis kommen, dass Merkels Optionen begrenzt sind, um die Briten von Junckers Vorzügen zu überzeugen. Die Brüsseler Top-Personalie muss im Kreis der Staats- und Regierungschefs schließlich im Konsens entschieden werden. Europa mit der Brechstange – das funktioniert schon lange nicht mehr. Die Kanzlerin müsste Cameron schon einen hohen Preis zahlen, damit die Briten – Juncker zum Trotz – beim Europa-Projekt an Bord bleiben.

Merkel hat in Regensburg erklärt, sie führe „jetzt alle Gespräche in diesem Geist, dass Jean-Claude Juncker auch Präsident der Europäischen Kommission werden sollte“. Ein europäischer Aufbruch hört sich anders an. Aber bei aller vornehmen Zurückhaltung sollte die Kanzlerin jetzt alles unternehmen, damit die Wähler am Ende kein zweites Mal enttäuscht werden.

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