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Politik: Tee, Öl, Gas – und Mord

Die schlimmste Gewaltwelle seit Jahren erschüttert den indischen Bundesstaat Assam: Separatisten töten 65 Wanderarbeiter

In der Nacht zum Montag haben mutmaßliche Rebellen nach Angaben der Polizei eine Wohnsiedlung von Fabrikarbeitern aus Bihar und sieben Menschen erschossen. Weitere drei Menschen wurden bei einem anderen Angriff getötet. Am Freitag und Samstag wurden bereits sechs Siedlungen von Zuwanderern angegriffen und 48 Menschen getötet. Dabei eröffneten die Angreifer auch das Feuer auf eine Gruppe schlafender Arbeiter.

Die Polizei macht die „Vereinte Befreiungsfront Assam“ (Ulfa) für die Massaker verantwortlich. Es sind die blutigsten an Indern aus anderen Landesteilen seit 2000, als Ulfa-Rebellen mehr als 100 Menschen töteten. Nach Regierungsangaben will die Ulfa Menschen aus anderen Regionen aus Assam vertreiben. Assam wird überschwemmt von Wanderarbeitern. Die Separatisten werfen der Regierung seit Jahren vor, die Zuwanderung zu fördern, um einheimische Assamesen zur Minderheit zu machen.

Aus Angst vor den Attacken sind Medienberichten zufolge inzwischen Tausende Migranten auf der Flucht. Die Bahnhöfe in den betroffenen Regionen sollen überfüllt von Flüchtenden sein. „Die örtliche Polizei kann uns nicht beschützen. Wir müssen fliehen oder werden getötet“, zitiert der britische Sender BBC den Wanderarbeiter Parshuran Gupta. Die Regierung verhängte in Teilen des Landes eine Ausgangssperre, indische Truppen durchkämmten den Dschungel nach Rebellencamps. Indiens Regierungschef Manmohan Singh verurteilte die Massaker als einen „Akt von Feigheit und Unmenschlichkeit“.

Die Gewalt in Assam eskaliert, seit die indische Regierung im September einen Waffenstillstand mit der Ulfa wegen deren anhaltender Übergriffe aufkündigte. Die jüngste Angriffswelle begann, nachdem vor Tagen fünf führende Ulfa-Männer von Spezialeinheiten getötet und zwei weitere festgenommen wurden.

Assam mit seinen rund 27 Millionen Einwohnern liegt im äußersten Nordosten Indiens und gehört zu den „sieben Schwestern“, die nur durch eine schmale Landzunge mit dem Rest Indiens verbunden sind. Der Bundesstaat ist weltweit vor allem für seinen feinen Tee bekannt, verfügt aber auch über ansehnliche Öl- und Gasreserven. Die Ulfa wirft Indien vor, das Land wirtschaftlich auszubeuten und die einheimischen Assamesen zu unterdrücken und sozial zu benachteiligen. Die Ulfa kämpft seit 27 Jahren für ein unabhängiges, sozialistisches Assam. Erklärtes Ziel ist Asssams Befreiung „aus den Fängen der illegalen Besetzung durch Indien“. In den Kämpfen mit der indischen Armee starben zwischen 10 000 und 20 000 Menschen. Während die Ulfa sich als Befreiungsbewegung sieht, stuft Indien sie als Terrororganisation ein.

Nach 1990 überschritten die Auseinandersetzungen erstmals die Kriegsschwelle. Die Ulfa überfiel Sicherheitskräfte, sprengte Eisenbahnlinien und Ölpipelines, tötete politische Gegner und attackierte Teeplantagenbesitzer. In weiten Teilen Assams hat die Bewegung eine Parallelverwaltung aufgebaut, die sich durch die Erpressung von „Schutzgeldern“ finanziert. Umgekehrt werden auch Indiens Truppen schlimmste Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.

Christine Möllhoff[Neu-Delhi]

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