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Politik: Teenager an der Front

Die ganze zivilisierte Welt ist gegen Kindersoldaten. Theoretisch.

Die ganze zivilisierte Welt ist gegen Kindersoldaten. Theoretisch. Soeben sprach sich der UN-Sicherheitsrat gegen die Rekrutierung von unter 18-Jährigen aus. Die Praxis ist aber anders - sogar in Europa. Ein Beispiel aus Großbritannien: Das Mädchen ist erst 17 Jahre alt und mit der Royal Navy auf dem Weg nach Oman.

In der britischen Armee dienen laut Verteidigungsministerium in London (M.O.D.) 5828 Freiwillige, die noch nicht volljährig sind, darunter auch etwa 800 Frauen. Nach Angaben der internationalen "Koalition gegen den Einsatz von Kindersoldaten" schicken sowohl Großbritannien als auch die USA routinemäßig Minderjährige in Kampfeinsätze. "Wie viele im Krieg gegen Afghanistan eingesetzt werden, ist unklar", sagt Judith Arenas, Sprecherin der Organisation. "Von dem Mädchen wissen wir nur, weil sie ihrer Großmutter eine Karte geschickt hat, bevor sie an Bord ging"

Das M.O.D. bestätigte dem Tagesspiegel, dass unter 18-Jährige im aktuellen Konflikt ihren Dienst tun - auf Schiffen der Royal Navy, die aber "gegenwärtig" nicht im Kampfeinsatz seien. Die USA rekrutieren nach Angaben des Pentagon zwar 17-Jährige, in der Regel seien diese aber nach der Ausbildung volljährig.

13 der 19 Nato-Mitglieder rekrutieren Freiwillige unter 18 Jahren. Auch die Bundeswehr versucht, auf diese Weise ihre Nachwuchsprobleme zu lösen. Die jungen Soldaten kommen meist frisch von der Schule, haben die Mittlere Reife oder einen Realschulabschluss, aber keine festen Zukunftspläne. "Das ist genau der biographische Punkt, an dem man sie erwischen will", sagt Andreas Rister von der deutschen Sektion der "Koalition". In Kampfeinsätze dürfen sie aber erst, wenn sie volljährig sind. Nur Großbritannien, so ein Bericht der "Koalition", kenne als einziges europäisches Land eine solche Schutzklausel nicht.

Etwa 50 Soldaten des britischen Kontingents der Kfor-Truppe im Kosovo seien erst 17 Jahre alt. Auch im Falkland- und im Golf-Krieg hätten Unter-18-Jährige gekämpft. "Wir wissen, dass im Golfkrieg zwei 17-Jährige starben, wahrscheinlich waren es mehr, aber es ist praktisch unmöglich, an Informationen zu kommen, auch weil massiver Druck auf die Angehörigen ausgeübt wird, nicht an die Öffentlichkeit zu gehen", sagt Arenas. Wer sich freiwillig zur britischen Armee meldet, muss sich für drei Jahre verpflichten. Erst dann kann er die Truppe wieder verlassen. Der Haken dabei ist, dass die Dienstjahre erst ab 18 gezählt werden. Wer also mit 16 Soldat wird, kann frühestens mit 21 aussteigen. Arenas nennt das "die Fünf-Jahres-Falle". "Die Formulare sind so kompliziert, dass die meisten gar nicht wissen, was sie da unterschreiben", sagt sie. Auch die Unterschrift der Eltern sei keine ausreichende Sicherung. "Die verstehen die bürokratische Sprache oft selbst nicht und ahnen gar nicht, dass sie gerade dem Kriegseinsatz ihres Kindes zugestimmt haben." Gezielt konzentriere sich die Armee bei der Anwerbung auf Gebiete, in denen der Bildungsstand niedrig und die Arbeitslosigkeit hoch sei.

In einer Stellungnahme des Londoner Verteidigungsministeriums heißt es, die Armee setze "bei Operationen" kein Personal unter 18 Jahren ein, außer "in Umständen, in denen es nicht ratsam ist, sie vom Einsatz auszuschließen". Es könne zu Situationen kommen, "bei denen der Abzug, besonders ein kurzfristiger, die Effektivität herabsetzen würde - mit Einfluss auf den Erfolg der Operation". "Unsere Streitkräfte müssen schon 16-Jährige rekrutieren. Es nicht zu tun, könnte unsere Fähigkeit einschränken, Verteidigungsverpflichtungen nachzukommen", hieß es im M.O.D. Amnesty International kritisiert: Schon das Training gefährde die "physische und psychische Unversehrtheit" der Kinder. Minderjährige seien schon oft tödlich verunglückt.

Seit sechs Jahren kämpft die "Koalition" für eine völkerrechtliche Regelung, die für Kriegseinsatz und Rekrutierung ein Mindestalter von 18 Jahren vorschreibt. Im Mai 2000 verabschiedeten die UN schließlich ein Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention. Danach ist zwar der Kriegseinsatz Minderjähriger verboten, die Rekrutierung Freiwilliger ab 16 Jahren allerdings noch nicht. Auf diesem Kompromiss hatten vor allem die USA und Großbritannien bestanden.

Ruth Franziska Hoffmann

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