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Krisenmanager. Für das „Moratorium“ von Kanzlerin Angela Merkel versuchte ihr Umweltminister Norbert Röttgen, ein rechtliches Konstrukt zu finden.

© Tobias Schwarz/Reuters

Atomdebatte: "Tendenz zum Verfassungsbruch"

Ein Berliner Verwaltungsrechtler wirft der Bundesregierung in der Atomdebatte Missachtung des Grundgesetzes und des Parlaments vor.

Berlin - Das Zeugnis für die schwarz- gelbe Bundesregierung ist vernichtend. Michael Kloepfer, Professor für Verwaltungsrecht an der Humboldt-Universität Berlin, sieht bei der amtierenden Regierung eine Tendenz zum „Verfassungsbruch“ aus „politischem Kalkül“. Am Donnerstag erinnerte Kloepfer die Bundesregierung bei einer von ihm organisierten Tagung zu „Hochrisikotechnologien“ daran, dass sie durch das Grundgesetz daran gebunden ist, sich an Gesetze zu halten. Schon gar, wenn es ihre eigenen Gesetze sind. Was Kloepfer so in Rage gebracht hat, war das von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der Atomkatastrophe in Fukushima angekündigte Moratorium, also die zeitweise Nichtanwendung der gerade erst in Kraft getretenen Atomnovelle, mit der im vergangenen Herbst die Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke verlängert worden sind. „Diese Befugnis der Regierung besteht auf keinen Fall“, sagte er.

Dass sich Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) in der weiteren Debatte mit dem Paragrafen 19, Absatz 3 des Atomgesetzes zu retten versuchte, findet Michael Kloepfer zwar „gut gemeint“. Er hegt aber Zweifel, ob der Paragraf das hergibt. In dem betreffenden Paragrafen ist geregelt, dass die Atomaufsichtsbehörden Anlagen zeitweise stilllegen dürfen, um „Gefahren abzuwehren“. Neue Gefahren für die deutschen Anlagen konnten aber auch andere Tagungsteilnehmer nicht erkennen, obwohl in Fukushima nach einem Erdbeben und einem Tsunami drei Atomkraftwerke und mehrere Brennelementebecken außer Kontrolle geraten waren.

Zu welchen Verrenkungen diese Gesetzesauslegung geführt hat, zeigte Dieter Majer, Unterabteilungsleiter im Bundesumweltministerium für die „Sicherheit kerntechnischer Anlagen“, in seinem Vortrag auf. Er betonte, dass es ja die Landesatomaufsichten gewesen seien, die die Stilllegungsanordnung erlassen hätten. „Der Bund hat sich dieser Rechtsauffassung angeschlossen und den Ländern Hilfestellung gegeben“, sagte er. In der folgenden Diskussion fasste er das Zusammenspiel zwischen der Kanzlerin und den Atomaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder mit der Bemerkung zusammen: „Letztendlich kommt es auf das Ergebnis an.“

Michael Kloepfer hat gemeinsam mit seinem Kollegen David Bruch in einem Aufsatz für die „Juristenzeitung“ sämtliche verfassungsrechtlichen und demokratietheoretischen Bedenken zusammengefasst, die er mit der „paktierten Gesetzgebung“ seit dem ersten Atomkonsens im Jahr 2000 hat. Den Förderfondsvertrag zwischen dem Finanzministerium und den vier großen Energiekonzernen bezeichnete er schlichtweg als „verfassungswidrig“. Allerdings, fügte er am Donnerstag hinzu, handele es sich ja offenbar „um verderbliche Ware“, die sich womöglich „von selbst erledigt“, noch bevor ein Gericht darüber eine Einschätzung abgeben kann. Schließlich werde gerade der „Atomkonsens Nummer drei“ vorbereitet, der nach seiner Einschätzung erneut auf der Basis einer Vereinbarung mit der Industrie fußen dürfte. So werde „ein Übel vom nächsten abgelöst“, meinte er und wies darauf hin, dass seit dem ersten Atomkonsens stets das Parlament aus den Entscheidungen herausgehalten und lediglich nachträglich durch die auf Vereinbarungen folgenden Gesetze noch formal beteiligt worden sei.

Dass die aktuellen Entscheidungen zur Revision der Laufzeitverlängerung vermutlich ähnlich auflaufen dürften, zeigt schon der enge Zeitplan, den sich die Kanzlerin dafür wünscht. Mitte Juni will sie die entsprechenden Gesetze im Bundestag behandelt und schnellstens verabschiedet wissen. Dass dem Parlament dabei vor allem eine Zuschauerrolle zugewiesen wird, zeigt auch eine Antwort, die die grüne Atomexpertin Sylvia Kotting-Uhl auf ihre Frage bekommen hat, wie denn die konkrete Fragenliste für den Atomstresstest aussieht, die die Gesellschaft für Reaktor- und Anlagensicherheit (GRS) im Auftrag der Reaktorsicherheitskommission (RSK) gerade abarbeitet. Umweltstaatssekretär Jürgen Becker schrieb ihr, dass dem Ministerium die Fragenliste vorliege. Aber: „Die Beratungsunterlagen der RSK unterliegen der Vertraulichkeit“.

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